BMZ

Richtungswechsel in der Entwicklungspolitik

Der häufige Wechsel strategischer Ansätze hat die deutsche Entwicklungspolitik in den vergangenen 60 Jahren geprägt. Relevant waren dabei deutschland-, außen-, sicher¬heits-, wirtschafts-, umwelt- und friedenspoliti¬sche Motive. Angesichts großer Weltkrisen muss die deutsche Entwicklungspolitik aber künftig konsequent auf globale Kooperation ausgerichtet werden.
Walter Scheel, der erste Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1963 in Ägypten. Rohwedder/picture-alliance Walter Scheel, der erste Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1963 in Ägypten.

Mein neues Buch (Bohnet 2015) über die Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik analysiert die Paradigmenwechsel der Vergangenheit und zeigt mehrere große Herausforderungen für die Zukunft auf. Bevor ich auf diese eingehe, will ich zunächst die historischen Etappen kurz skizzieren:

  • Von 1961 bis 1966 stellte der erste Entwicklungsminister Walter Scheel seine Arbeit in den Dienst der Deutschlandpolitik. Zentrales Anliegen war, Partnerländer an Westdeutschland zu binden und von diplomatischen Beziehungen zur DDR abzuhalten.
  • Angesichts des angespannten Arbeitsmarkts rückte sein Nachfolger Hans-Jürgen Wischnewski (1966 bis 1968) beschäftigungspolitische Interessen in den Vordergrund. Die Entwicklungspolitik sollte Jobs in Deutschland schaffen.
  • Erhard Eppler (1968 bis 1974) betonte dagegen die ökologischen Grenzen des Wachstums. Im Zentrum seines politischen Handelns standen entsprechend der Umweltschutz, aber auch die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse.
  • Egon Bahr (1974 bis 1976) stand unter dem Eindruck des Ölpreisschocks und wollte durch Zusammenarbeit mit den Ölländern die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern fördern.
  • Marie Schlei (1976 bis 1978) stellte Entwicklungspolitik in den Dienst der Frauenförderung.
  • Rainer Offergeld (1978 bis 1982) konzipierte Entwicklungspolitik als Friedenspolitik, als sich die Ost-West-Spannungen wieder verschärften.
  • Jürgen Warnke (1982 bis 1987) betonte angesichts neuerlicher Arbeitsmarktprobleme  wieder die Beschäftigungs­wirksamkeit der Entwicklungspolitik.
  • Hans „Johnny“ Klein (1987 bis 1989) sah die Entwicklungspolitik im geschichtlichen Zusammenhang und erinnerte gern an wissen­schaftliche Leistungen der großen deutschen Afrikaforscher des 19. Jahrhunderts.
  • Warnke gelang es in seiner zweiten BMZ-Amtszeit (1989 bis 1991) zusammen mit Hans Wilhelm Ebeling, dem letzten DDR-Minister für wirtschaftliche Zusammen­arbeit, das westdeutsche und das ostdeutsche Entwicklungsministerium zusammenzulegen. Über zwei Drittel der DDR-Entwicklungsprojekte wurden fortgeführt.
  • Carl-Dieter Spranger (1991 bis 1998) konnte danach die Entwicklungspolitik frei von ideologischen und geostrategischen Orientierungen gestalten. Er legte besonderen Wert auf  die Armutsbekämpfung und die Achtung der Menschenrechte.
  • Heidemarie Wieczorek-Zeul (1998 bis 2009) erweiterte das Spektrum der Entwicklungspolitik und betonte die Bedeutung multilateraler Abkommen und Regeln. Sie setzte sich unter dem Schlagwort „globale Strukturpolitik“ beispielsweise für eine entwicklungsfreundliche Handels-, Klima- und Sicherheitspolitik ein. 
  • Dirk Niebel (2009 bis 2013) betonte die Bedeutung des Marktes und wollte den Privatsektor fördern. Er bemühte sich um wirtschafts- und unternehmerfreundliche Konzepte.
  • Gerd Müller (seit 2013) rückt ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit ins Zentrum seines Handelns.

Der häufige Paradigmenwechsel in einem Zeitraum von 60 Jahren war legitim und nachvollziehbar. Wegen drei globaler Krisen (Finanzen, Ernährung, Klimawandel) wird aber künftig mehr Konsistenz und Kohärenz nötig sein. Um die nötige globale Kooperation zu ermöglichen, muss sich die Entwicklungspolitik großen Herausforderungen stellen.

Die klassische Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) ist dafür aber nicht das richtige Instrument. Sie ist überholt und muss weiterentwickelt werden. Dabei ist zu beachten, dass die etablierten Industrienationen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Cooperation and Development) längst nicht mehr die einzigen „Geber“ sind. Wachsende Bedeutung haben vor allem Schwellenländer, aber auch ölreiche Länder wie Saudi-Arabien oder Venezuela. Auch philanthropische Stiftungen, allen voran die Bill & Melinda Gates Foundation, nehmen zunehmend internationalen Einfluss. OECD-Länder wenden jährlich rund 135 Milliarden Dollar für ODA auf, die diversen anderen Geber kommen zusammen auf etwa 20 Milliarden Dollar. Es wäre gut, wenn sich alle Geber an gemeinsame Regeln hielten.

Zugleich ist zu beachten, dass ODA für Länder mit niedrigem Einkommen unverzichtbar bleibt, aber andere Finanzierungsströme für die Entwicklung von Ländern mit mittleren Einkommen wichtiger sind. Dazu gehören insbesondere ausländische Direktinvestitionen, Exportkredite, Portfolioinvestitionen und Heimatüberweisungen von Migranten. Die Entwicklung dieser Länder ist aber von zentraler Bedeutung, nicht nur, um bei der klassischen Aufgabe der Entwicklungspolitik, der Armutsbekämpfung, voran zu kommen, sondern auch, um globale Herausforderungen  im Sinne der 2030 Agenda mit den Sustainable Development Goals zu meistern.

 

Das hat für die deutsche Entwicklungspolitik Konsequenzen:

  • Die weltweite Finanzkrise hat gezeigt, was passiert, wenn der Finanzsektor die reale Weltwirtschaft zu stark bestimmt. Auch der Entwicklungspolitik kommt bei der Bändigung der Probleme eine gewisse Rolle zu. Sie sollte innovative Steuern wie etwa die Finanztransaktionssteuer vorantreiben und Entwicklungsländer bei der  Aktivierung eigener Steuerquellen unterstützen. Es geht beispielsweise um den Aufbau von Finanzämtern, Rechnungshöfen und Finanzaufsichtsbehörden.
  • In Ländern mit mittlerem Einkommen und in den Schwellenländern wächst die Ungleichheit und gefährdet Wirtschaftswachstum und politische Stabilität. Die große Mehrheit der Armen weltweit lebt heute in solchen Staaten, zu denen beispielsweise Indien, China, Mexiko und Brasilien zählen. Allerdings können Mittel- und Oberschichten dieser Länder selbst Beiträge zur Armutsbekämpfung leisten. Die deutsche Entwicklungspolitik sollte sich auf die För­derung sozialer Sicherungssysteme, auf den gemeinsamen Schutz öffentlicher Güter wie Klima- und Umweltschutz und den Erhalt der Biodiversität sowie die Wissenschaftskooperation konzentrieren.
  • Trotz beachtlicher Erfolge bei der Armutsbekämpfung sind weiterhin 850 Millionen Menschen unterernährt. Zu den vielfältigen Ursachen gehören das hohe Bevölkerungswachstum, aber auch ungenügende ländliche Infrastruktur und Agrarentwicklung, sowie ökologische Schäden und die Spekulation mit Nahrungsmitteln. Hier besteht Handlungsbedarf: Förderung der Kleinbauern, Anlage von Lebensmittelreserven, Wasserprojekte.
  • Der Klimawandel erweist sich mittlerweile als noch größeres Problem als beim Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro erwartet. Regenzeiten werden unberechenbar, Dürren und Hochwasser wechseln sich ab; Stürme erreichen bisher nicht gekann­te Heftigkeit. Nötig sind Anpas­sungsstrategien an den nunmehr unvermeidlichen Klimawandel (Frühwarnsysteme, Katastrophenvorsorge) aber auch Senkung des Ressourcenverbrauchs, Förderung erneuerbarer Energien, Tropenwaldschutz und Schutz der Artenvielfalt.
  • Von fragiler Staatlichkeit und Gewaltkonflikten sind etwa 40 Länder mit 1,5 Milliarden Menschen betroffen. Diese Länder sollten deshalb im Fokus entwicklungspolitischen Handelns stehen. Geeignete Instrumente dafür sind unter anderem klassische Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe, Nahrungsmittelhilfe, der zivile Friedensdienst, Verwaltungs- und Rechtshilfe und die Förderung der Zivilgesellschaft.
  • Die Entwicklungspolitik hat bislang Fragen von Kultur und Religion weitgehend vernachlässigt. Die entwicklungsfördernden und -hemmenden Wirkun­gen der großen Weltreligionen und Kulturen müssen aber verstanden werden, um Politik möglichst erfolgreich zu gestalten.
  • Die deutsche Entwicklungspolitik braucht zudem institutionelle Reformen. Dass es zwei große Durchführungsorganisationen, die GIZ und die KfW Entwicklungsbank, gibt, ist nämlich für ausländische Partner verwirrend, und da die beiden Institutionen tendenziell miteinander konkurrieren, gibt es auch Reibungsverluste. Beide Institutionen sollten zusammengelegt werden.

Die nächsten Jahrzehnte werden entscheiden, ob Armut und Hunger ebenso Geschichte werden wie die Sklaverei oder ob ein neues, von Konflikten, Ausgrenzung und Chaos bestimmtes Zeitalter die Errungenschaften der vergangenen 60 Jahre wieder zunichtemachen wird.


Michael Bohnet ist ein langjähriger, ehemaliger Abteilungsleiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
bohnetmichael@web.de

 

Buch:
Bohnet, M., 2015: Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik: Strategien, Innenansichten, Zeitzeugen und Herausforderungen, München: Lucius-Verlag, utb.

 

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