Beschäftigung

Arbeit muss ­menschenwürdig sein

Mehr Beschäftigung ist wichtig. Dabei geht es vor allem darum, qualitativ hochwertige Jobs zu schaffen. Diese sind für ein Leben in Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und Würde entscheidend. Sambia ist auf dem Weg zur Schaffung menschenwürdiger Arbeit schon ein gutes Stück vorangekommen.
Die meisten Kleinunternehmer arbeiten im informellen Sektor: Markt in Lusaka. sb Die meisten Kleinunternehmer arbeiten im informellen Sektor: Markt in Lusaka.

Die Arbeitslosigkeit wächst. Nach Informationen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO waren 2013 weltweit fast 202 Millionen Menschen ohne Job. Und diese Anzahl wird voraussichtlich in den kommenden Jahren noch steigen. Vor allem junge Menschen sind betroffen: Sie machen mehr als ein Drittel der Arbeitslosen auf der Welt aus.

Die Schaffung von Arbeitsplätzen allein löst das Problem jedoch nicht. Denn Menschen wollen nicht nur irgendeine, sondern eine lukrative, erfüllende Arbeit haben. Der Aufstand in Ägypten hat deutlich gemacht, dass die Qualität von Jobs von großer Bedeutung ist. Der Mangel an befriedigenden Perspektiven vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene hat die sozialen Unruhen befeuert, die schließlich zum Arabischen Frühling geführt haben.

Dementsprechend sollten Quantität und Qualität von Arbeitsplätzen die gleiche Priorität haben, zum Beispiel bei der Definition der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs), die nach 2015 die Millenniumentwicklungsziele (Millennium Development Goals – MDGs) ablösen werden.


Globale ­Herausforderung

Die Qualität von Beschäftigung zu messen ist nicht einfach. Ein in diesem Zusammenhang häufig verwendeter Begriff ist „menschenwürdige Arbeit“. Auf das Konzept dahinter haben sich Vertreter von Regierungen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern 1999 gemeinsam geeinigt. Es trägt den multidimensionalen Auswirkungen von Beschäftigung Rechnung, die diese auf das Leben der Menschen hat: Lebensstandard, Selbstverwirklichung und soziale Teilhabe werden zu einem großen Teil von Arbeit bestimmt. Laut ILO ist sie „eine Quelle persönlicher Würde, Stabilität in der Familie und Frieden in der Gemeinschaft“.

Mit dem Begriff „menschenwürdige ­Arbeit“ ist also gemeint, dass Frauen und Männer produktiv in Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und Würde arbeiten können. Die Bedingungen dafür sind komplex und schwierig zu messen. Menschenwürdige Arbeit in Beschäftigungsagenden auf nationaler und internationaler Ebene auf eine Weise zu implementieren, die eine belastbare Kontrolle und Bewertung ermöglicht, ist daher eine große Herausforderung.

Das ist vermutlich einer der Gründe dafür, dass die MDGs Aspekte menschenwürdiger Arbeit kaum berücksichtigen. Nur die Zielvorgabe 1.B geht explizit darauf ein. Sie lautet: „Produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle, einschließlich Frauen und junger Menschen, verwirklichen.“ Es gibt nur einen Indikator, der, wenn auch in unbefriedigender Weise, Aufschluss über das nicht Vorhandensein von menschenwürdiger Arbeit gibt: Das ist der Anteil der Erwerbstätigen, die mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Auch der Anteil der Selbstständigen und der mithelfenden Familienangehörigen an der Gesamtbeschäftigung könnte als Indikator dienen. Problematisch ist dabei jedoch, dass er alle Selbstständigen per Definition zu prekär Beschäftigten macht. Dabei führen manche erwiesenermaßen profitable Unternehmen und schaffen dauerhafte Jobs. Bleibt zu hoffen, dass die SDGs menschenwürdige Arbeit stärker berücksichtigen. Auf internationaler Ebene wächst die Einigkeit über ihre Wichtigkeit. Aspekte, die mit den SDGs in Zusammenhang stehen, haben daher an Popularität gewonnen.

Trotz der beschriebenen Schwierigkeiten haben bereits viele Entwicklungsländer in den vergangenen Jahren Programme zu menschenwürdiger Arbeit entwickelt. Im September 2014 waren es nach Informationen der ILO 79 Entwicklungsländer. Viele von ihnen haben zudem Strategien für menschenwürdige Arbeit in ihre Entwicklungspläne aufgenommen.


Beispiel Sambia

In Sambia ist das erste Landesprogramm für menschenwürdige Arbeit 2005 aus Gesprächen zwischen der Regierung, Industrieverbänden und Gewerkschaften auf Initiative der ILO hervorgegangen. Es deckte den Zeitraum von 2007 bis 2011 ab. Derzeit läuft das Nachfolgeprogramm, das bis 2016 gültig ist. Es verfolgt vier Prioritäten:

  • die Einhaltung der Menschenrechte am Arbeitsplatz,
  • einen wirkungsvollen sozialen Dialog zur Stärkung guter Arbeitsbeziehungen,
  • einen Ausbau der Sozialsysteme und
  • bessere Beschäftigungsmöglichkeiten für bestimmte Zielgruppen. Dazu gehören junge Menschen, Frauen, Migranten sowie Menschen mit HIV und Menschen mit Behinderungen. Die Auswahl basierte auf einer Identifizierung besonders benachteiligter Gruppen durch die ILO.

Trotz der Bemühungen ist Sambia von menschenwürdiger Arbeit für alle noch weit entfernt. Fortschritte verzeichnet vor allem der formelle Sektor. So sank beispielsweise der Anteil der Arbeitnehmer, die mehr als die vorgegebenen 48 Stunden pro Woche arbeiten mussten, im Zeitraum von 2005 bis 2008 von 23,2 auf neun Prozent, wie die ILO herausfand. Außerdem verabschiedete das Land mehrere Gesetze zum Schutz von Arbeitnehmerrechten. Im Arbeitsgesetz sind jetzt beispielsweise Bestimmungen zum Kündigungs- und zum Mutterschutz verankert.

Zudem haben Angestellte vieler Unternehmen im formellen Sektor ein Recht auf Sozialleistungen wie Rente und Krankenversicherung. Allerdings kommen nur wenige tatsächlich in den Genuss davon. In den Jahren 2008 bis 2012 erfüllten offiziellen Statistiken zufolge nur rund fünf Prozent der Arbeitsplätze im formellen Sektor die Kriterien menschenwürdiger Arbeit. Das waren ganze 28 000 Jobs.

Sorge bereitet vor allem die zunehmende Prekarisierung von Arbeitsplätzen. Manche Unternehmen stellen Zeitarbeiter und andere befristet Beschäftigte langfristig ein und umgehen so ihre sozialrechtlichen Pflichten. Im formellen Sektor trifft das auf mehr als ein Viertel der Arbeitnehmer zu. Sie sind mehrheitlich in den Branchen Bergbau und Tourismus tätig.

Im informellen Sektor, der 85 Prozent der Gesamtbeschäftigung in Sambia ausmacht, ist die Lage noch deutlich schlechter. Die Einkommen dort sind typischerweise niedrig, unregelmäßig und unvorhersehbar. Viele Menschen arbeiten selbstständig. Andere helfen als Familienangehörige oder Angestellte in Kleinunternehmen mit. Letztere gehören zu den Menschen mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen und den niedrigsten Einkommen.

Eine Arbeitskräfteerhebung im Jahr 2012 kam zu dem Ergebnis, dass 70 Prozent der Selbstständigen im informellen Sektor weniger verdienten als den Mindestlohn ihrer jeweiligen Branche. Die gesetzlichen Mindestlöhne lagen zu der Zeit zwischen 700 000 und 1,7 Millionen sambischer Kwacha ($ 131 bis $ 310) im Monat.

Arbeitnehmer im informellen Sektor haben in der Regel weder eine soziale Absicherung, noch werden sie durch Gewerkschaften oder andere Interessenvertreter öffentlich repräsentiert. Sie stellen außerdem den höchsten Anteil der unterbeschäftigten Erwerbstätigen.


Maßnahmenkatalog

Die Formalisierung seiner informellen Wirtschaft und die Schaffung durchgehend menschenwürdiger Beschäftigungsverhältnisse stellt eine große Herausforderung für den sambischen Staat dar. 2012 setzte er sich in einem Strategiepapier Industrialisierung und die Schaffung von einer Million neuer Jobs bis 2016 zum Ziel. Davon ist das Land jedoch noch weit entfernt. Zielgenauere Arbeitsmarktstrategien sind vonnöten, um das ambitionierte Ziel noch zu erreichen.

Zu den nötigen Verbesserungen gehören unter anderem bessere gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen, eine Entbürokratisierung, die Behebung von Versorgungsengpässen und mehr Ausbildung, die sich am Bedarf der Industrie orientiert. Kleine und mittlere Betriebe, die hauptsächlich im informellen Sektor operieren, brauchen mehr Unterstützung. Dabei muss die Regierung sicherstellen, dass ihre Strategien für die Schaffung menschenwürdiger Arbeit im Einklang mit der SDG-Agenda stehen – damit die neuen Jobs nicht nur menschenwürdig, sondern auch ökologisch nachhaltig sind.

Diese Maßnahmen sind nicht nur wichtig für die Schaffung von Arbeitsplätzen in Sambia, sondern für eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit weltweit. Es liegt jetzt an der internationalen Gemeinschaft und den Regierungen einzelner Länder, eine sinnvolle, tragfähige und umsetzbare SDG-Agenda zu entwerfen. Diese sollte unbedingt Zielvorgaben und Indikatoren für menschenwürdige Arbeit enthalten.
 

Gibson Masumbu ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zambia Institute of Policy Analysis and Research (ZIPAR).
gmasumbu@zipar.org.zm

Martin Ostermeier ist Doktorand für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Göttingen und wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA German Institute of Global and Area Studies.
martin.ostermeier@giga-hamburg.de

Kacana Sipangule ist Doktorandin für Wirtschaftswissen­schaften an der Universität Göttingen. Sie arbeitet außerdem am Institut für Weltwirtschaft und beim Poverty Reduction, Equity and Growth Network (PEGNet).
kacana.sipangule@ifw-kiel.de

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