Migration

„Wir sind alle aus Kyaka“

In Uganda leben Flüchtlinge bereits seit Jahrzehnten friedlich Seite an Seite mit der heimischen Bevölkerung. Allerdings wird allmählich das Ackerland knapp. Wie viele andere Entwicklungsländer und die internationale Gemeinschaft insgesamt steht Uganda vor der Frage, wie Flüchtlingen eine dauerhafte Perspek­tive verschafft werden kann.
Flüchtlingsfrau in Kyangwali. Edward Echwalu/Reuters Flüchtlingsfrau in Kyangwali.

Der Jeep ruckelt kaum schneller als in Schrittgeschwindigkeit über die rote Staubpiste, die sich durch die Hügellandschaft im Südwesten Ugandas schlängelt. Plötzlich dreht sich unsere Begleiterin vom regierungsunabhängigen Refugee Law Project zu uns um: „Wir sind jetzt in Kyaka. Achtet darauf, die Häuser aus Stein mit Wellblechdach, das sind die Einheimischen. Die Hütten aus Lehm mit Strohdach gehören den Flüchtlingen.“ Ohne dass wir es gemerkt hätten, sind wir eben über die Grenze zur Flüchtlingssiedlung Kyaka II gefahren.

Flüchtlinge haben in Uganda viele Möglichkeiten, sie dürfen aber keine permanenten Strukturen aufbauen. Der Bau fester Dächer oder das Ziehen von mehrjährigen Pflanzen wie der Kochbanane wird gezielt verhindert. Es soll sichergestellt werden, dass die Flüchtlinge bei entsprechender Sicherheitslage schnell in die Heimatländer zurückgebracht werden können.

Kyaka II ist eine von drei großen Flüchtlingssiedlungen im Südwesten Ugandas. Seit der ruandische Genozid 1994 den Krieg in der Demokratischen Republik Kongo angefacht hatte, waren es zunehmend kongolesische Flüchtlinge, die dort Schutz vor Gewalt und einen neuen Lebensraum suchten. Heute beheimatet Kyaka etwa ein Zehntel der 170 000 Flüchtlinge in Uganda. Viele von ihnen leben wegen der anhaltenden Konflikte in der Grenzregion im Ostkongo seit mehreren Jahren dort – oft auch bereits in zweiter Generation.

Die Situation der kongolesischen Flüchtlinge ist exemplarisch für viele Vertriebene weltweit, die auch nach vielen Jahren keine Perspektive auf Rückkehr in ihre Heimat haben. Das gängige Bild vom Flüchtling, der nach wenigen Monaten in seine Heimat zurückkehren kann, trügt: Im Schnitt verbringen Flüchtlinge heute 17 Jahre im Gastland.

Typischerweise ist das Gastland ein benachbartes Entwicklungsland, das Mühe hat, seine eigene Bevölkerung zu versorgen. Unterstützung bekommen die Gastländer von internationalen karitativen Organisationen, deren Finanzkraft von der mit dem Medieninteresse schwankenden Spendenbereitschaft in reichen Nationen abhängt, und multilateralen Institutionen wie dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Das Mandat der Hilfswerke ist aber häufig auf akute Nothilfe beschränkt und schließt langfristige Entwicklungshilfe für Flüchtlinge aus.

Beim UNHCR hat ein Umdenken eingesetzt: Statt Flüchtlingen nur kurzfristige Nothilfe zu gewähren, sollen sie beim Aufbau einer Existenzgrundlage stärker unterstützt und in die Gesellschaft des Gastlandes integriert werden. Für Flüchtlinge sollen in Entwicklungsländern keine zusätzlichen oder separaten Einrichtungen und Infrastrukturen geschaffen werden.

Uganda ist eines der wenigen Aufnahmeländer weltweit, das bereits seit Jahren einiges dafür tut, Flüchtlinge zu integrieren. In Kyaka erinnert deshalb auch wenig an die bekannten Bilder von improvisierten Zeltstädten. Das Siedlungsgebiet umfasst 28 Dörfer, die häufig direkt an die Gemeinden der heimischen Bevölkerungen angrenzen. Krankenstationen und Schulen dienen Ugandern ebenso wie Kongolesen. „Je öfter beide Gruppen interagieren, desto geringer ist die Konfliktgefahr“, erläutert ein Mitarbeiter des Refugee Law Projects.

Seit langem gehen die ugandischen und kongolesischen Kinder gemeinsam in die Schule. Ohne die Kongolesen würde es sich in diesem entlegenen Gebiet kaum lohnen, eine Grundschule zu betreiben. Viele Kinder haben immer noch lange Schulwege von bis zu fünf Kilometern und kommen zu Fuß.

Seit 1997 können alle Kinder in Uganda kostenfrei Grundschulen besuchen, und davon profitieren Flüchtlingsfamilien ebenso wie heimische. Zwar haben Flüchtlinge häufiger als Ugander Probleme, Geld für Hefte, Stifte und Schuluniformen aufzubringen. Die Schulleiterin berichtet jedoch, dass sie, was die Kleidung angeht, nicht immer so genau hinschaut. Das gemeinsame Lernen helfe, Vorurteile und Berührungsängste abzubauen. Fragt man die Kinder selbst, mit wem sie befreundet sind, ist die klare Antwort: „Wir sind alle aus Kyaka, natürlich sind wir Freunde und spielen zusammen.“

Dass Ugander und Flüchtlinge so eng zusammenleben, ist das Ergebnis gezielter Flüchtlingspolitik. Vor Jahrzehnten erkannte die ugandische Regierung die Chance, dass neu angesiedelte Flüchtlinge große Flächen ungenutzten Landes kultivieren könnten. Das berichtet ein Vertreter des zuständigen Ministeriums.

In der Tat entwickelte sich die Region um Kyangwali, eine weitere große Flüchtlingssiedlung im Westen Ugandas, schnell zum „Brotkorb der Nation“. Noch heute wird jedem Flüchtling bei der Ankunft ein Stück Land von etwa 50 mal 100 Metern zugewiesen. Als Starthilfe ­erhält jeder Haushalt zusätzlich eine Grundausstattung an Werkzeug, Saatgut und Nahrungsmitteln.

Laut Erhebungen des Oxford Human Innovations Project haben sich etwa in Kyangwali zehn bis 30 Prozent der Flüchtlingshaushalte Einkommensquellen erschlossen, die sie von Hilfsleistungen zumindest ein Stück weit unabhängig machen. Sie verkaufen landwirtschaftliche Erzeugnisse, führen kleine Betriebe oder verdienen etwas Geld als Fahrer von Motorradtaxis. Flüchtlinge dürfen sich in Uganda frei bewegen und erwerbstätig sein. Allerdings dürfen sie, wie oben erwähnt, keine permanenten Strukturen schaffen. Also tätigen sie auch keine größeren Investitionen, die ein Schlüssel zu echter wirtschaftlicher Eigenständigkeit sein könnten.

Tatsächlich erhalten selbst in Kyangwali, das als besonders erfolgreich gilt, noch alle Siedlungsflüchtlinge Nahrungsmittelhilfen. Rund die Hälfte braucht die vollen Rationen. Nur etwa fünf Prozent könnten ohne solche Hilfe auskommen.

Die Abhängigkeit von externer Unterstützung schränkt die vom Gesetz gewollte Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge ein. Für sie ist es riskant, die Siedlungen dauerhaft zu verlassen, denn die Leistungen der ugandischen Regierung und des UNHCR bekommen sie nur dort.


Streit um Land

Im Lauf der Jahre sind über Gruppengrenzen hinweg Freundschaften und Geschäftsbeziehungen entstanden. „Sowohl die Flüchtlinge als auch die einheimische Bevölkerung können von der gegenseitigen Präsenz profitieren“, betont ein UNHCR-Vertreter. „Viele Flüchtlinge sind jung und wollen sich im Gastland engagieren – für die ugandische Wirtschaft birgt das große Wachstumschancen.“Die Harmonie ist aber nicht selbstverständlich. Robert lebt seit über 17 Jahren in Kyangwali und ist einer der Repräsentanten, die der Siedlungsverwaltung gegenüber die Interessen der Flüchtlinge vertreten. Er berichtet, früher habe es ausreichend Land gegeben, und zumindest diejenigen, die von Bauernhöfen stammten, hätten sich weitgehend selbst ernähren können.

Mittlerweile ist die Bevölkerung aber deutlich gewachsen. Nach einer Welle der Gewalt im Kongo Mitte 2013 hat sie sich fast verdoppelt: von 21 000 auf 37 000. Das führt zu Spannungen. Wo produktives Ackerland knapp wird, werfen sich Einheimische und Flüchtlinge gegen­seitig vor, Grenzmarkierungen nicht zu ­respektieren. Der soziale Frieden wird schnell brüchig, wenn die Konkurrenz um lebenswichtige Ressourcen wächst. Wie Uganda stehen viele Entwicklungsländer und die internationale Gemeinschaft insgesamt vor der Frage, wie sie mit Flüchtlingen auf Dauer umgehen wollen. Die Frage, ob Flüchtlingen überhaupt eine langfristige Perspektive im Gastland aufgezeigt werden soll, wird dabei eine zentrale Rolle spielen. Ungewiss ist aber, ob dazu die politische Bereitschaft besteht und die nötige Akzeptanz der heimischen Bevölkerung gewonnen werden kann.

Klar ist: Tiefere wirtschaftliche und soziale Integration einerseits und die Bestrebungen, Flüchtlinge schlussendlich in ihr Heimatland zurückzuführen, andererseits führen in der Realität zu einem flüchtlingspolitischen Dilemma. Ein Erfolg der ugandischen Integrationsmaßnahmen könnte ein starkes Signal für andere Gastländer sein. Vorerst blicken die Flüchtlinge in Uganda aber weiter in eine unsichere Zukunft.


Merle Kreibaum ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen.

steffen.lohmann@wiwi.uni-goettingen.de

Steffen Lohmann ist dort ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter.
steffen.lohmann@wiwi.uni-goettingen.de

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