Kleinbäuerliche Landwirtschaft

Vernachlässigtes, aber wichtiges landwirtschaftliches Erbe

Es mag erstaunen, aber die Zukunft der Menschheit hängt von armen Dorfgemeinschaften in Entwicklungs- und Schwellen­ländern ab. Sie hüten wertvolle Ressourcen und unverzichtbares Wissen und sollten für diese wertvolle Dienstleistung belohnt werden.
Klein, aber hoch diversifiziert: Familienhof am Kilimandscharo. Klein, aber hoch diversifiziert: Familienhof am Kilimandscharo.

Traditionelle Landwirtschaft und Familienhöfe verdienen mehr Aufmerksamkeit. Die weltweite Ernährungssicherheit hängt von ihnen ab. Laut FAO (UN Food and Agri­culture Organization) erzeugten Farmen mit weniger als fünf Hektar 2014 mehr als 70 Prozent der Nahrungsmittel weltweit. Weil ohne kleinbäuerliche Gemeinschaften die UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs – Sustainable Development Goals) unerreichbar bleiben, hängt die Zukunft der Menschheit von ihnen ab.

Traditionelle Familienbetriebe

  • produzieren eine große Bandbreite gesunder Lebensmittel,
  • sorgen für Beschäftigung, wo es wenig Arbeitsplätze gibt,
  • nutzen und pflegen die agrarische Biodiversität und
  • sind so gut an lokale Ökosysteme angepasst, dass sie deren Vorteile stärken.

Ihr althergebrachtes Wissen ist wertvoll, auch wenn manche Fachleute das nicht anerkennen. Tatsächlich beruhen aber moderne Agrarinnovationen auf diesen Kenntnissen. Wer Hochertragssorten züchtet, greift typischerweise auf das Genmaterial traditioneller Landsorten zurück.

Die Dorfgemeinschaften, um die es hier geht, sind meist sehr arm und gehören oft zu indigenen und anderen ausgegrenzten Gruppen. Es ist paradox: Extrem vernachlässigte Menschen halten existenziell wichtige Agrarsysteme aufrecht. Sie sollten dafür belohnt werden. Ihre Kultur darf jedenfalls auf keinen Fall unterdrückt oder verdrängt werden, sondern muss sich so weiterentwickeln, dass die Lebensqualität steigt.

Fehlgeleitete Modernisierungsbemühungen

Die Agrarpolitik folgt bislang einem falschen Modernitätsverständnis. Zu den Folgen des engen Fokus auf industriell betriebene Höfe mit möglichst hohen Erträgen gehören:

  • nichtnachhaltige Methoden,
  • übernutzte Ressourcen,
  • erodierende genetische Vielfalt,
  • degradierte Böden,
  • die Einfuhr exotischer Nutzpflanzen und -tiere,
  • verlorene Werte und Wissen,
  • sozioökonomische Unsicherheit und
  • Verdrängung marginalisierter Menschen.

So sind die Probleme der Menschheit nicht zu lösen. Ein anderes Konzept ist nötig (siehe Susanne Neubert auf www.dandc.eu).

Die traditionelle Landwirtschaft darf nicht geringgeschätzt werden. Sie sollte behutsam intensiviert werden. Dabei sollten Innovationen

  • Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren,
  • zielgenau anwendbar sein und
  • Verschwendung in Verarbeitung, Transport und Vermarktung verringern.

In vielen Weltgegenden sind die Agrartraditionen kollabiert oder verschwunden – und zwar vor allem in den vermeintlich hoch entwickelten Ländern. Es werden aber immer noch Millionen von Hektar traditionell bewirtschaftet – auf Terrassenfeldern, erhöhten Äckern, mit Mischkulturen (mit mehreren Pflanzenarten auf demselben Stück Land), Agro-Forstwirtschaft et cetera. Diese resilienten Systeme wurden über Jahrhunderte kreativ und kontinuierlich weiterentwickelt, um Meschen Nahrung und Überleben zu sichern.

Politisch wurden sie lange vernachlässigt. Priorität hatte die Ertragsmaximierung durch Intensivierung, Spezialisierung, Technisierung und Preissubventionen. Wie bereits ausgeführt, hatte das hohe ökologische und soziale Kosten. Die ländliche Armut hat zugenommen und die Landflucht in städtische Slums angefeuert.

Erodierende Grundlagen

Kaum subventioniert wurden dagegen Kleinbetriebe mit Mischkulturen und mehreren Tierarten. Es gibt auch nicht viel Agrarforschung, die auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet wäre. Dementsprechend erodieren die Grundlagen alter ländlicher Kulturen und mit ihnen die von ihnen bewahrte biologische Vielfalt.

Um nachhaltige Landwirtschaftskonzepte zu entwickeln, sollte an inkrementell verbesserte Traditionen angeknüpft werden, dank derer die Landbevölkerung seit Jahrhunderten überlebt – und zwar sogar in ausgesprochen unfreundlichen Ökosystemen. Meist erfordern solche Agrarsysteme weder externen Input noch moderne Technik.

Die Menschheit braucht stimmige Agrarkonzepte, um Armut abzuschaffen (SDG1) und Hunger zu beenden (SDG2). Andere SDGs wie Klimaschutz (SDG13) oder Ökosystemerhalt (SDG15) sind auch wichtig. Landwirtschaft muss produktiv, umweltfreundlich, genetisch vielfältig und sozial gerecht sein. Diesen Ansprüchen genügen die Agrartraditionen, welche Menschen durch die Geschichte ernährt haben und auch heute noch Massen von Menschen in armen Regionen ernähren. Deshalb hat der Autor bei der FAO vor 20 Jahren das GIAHS-Programm gestartet. Das Kürzel steht für Globally Important Agricultural Heritage System (weltweit bedeutsame Agrarerbe-Systeme – siehe Kasten).

Nachhaltigkeit muss lokal erreicht werden. Folglich muss die Landwirtschaft den sozialen und ökologischen Bedingungen vor Ort entsprechen. Seit Langem bewährte Praktiken sollten nicht abgelegt, sondern behutsam verbessert werden. Das ist eine schwierige Aufgabe, weil es keine Blaupausen für alle Situationen geben kann. Schließlich ist jedes Ökosystem irgendwie besonders. Das bedeutet, dass Wissenschaft und traditionelle Praxis zusammenkommen müssen, wofür es viele Hürden zu überwinden gilt. Diese Einsicht ist eine Grundlage der neuen Disziplin Agrarökologie.

Perspektiven für die Jugend

Seit den 1980er Jahren wurden hunderte von agrarökologischen Projekten gestartet. Vorangetrieben haben sie kleinbäuerliche Verbände, visionäre Forschende und zivilgesellschaftliche Organisationen. In geringerem Maß waren auch Behörden beteiligt. Erfahrungsgemäß kann traditionelles Wissen die Forschung bereichern, und so lassen sich Erträge und Ernährungssicherheit verbessern. Sozioökonomisch wichtig ist obendrein, dass die junge Generation Perspektiven in den Dörfern erkennt. Denn sonst wandert sie ab, anstatt mit klugen Innovationen langfristige agrarische Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.

Forschung für kleinbäuerliche Betriebe

Lokale Ernährungssouveränität ist wichtig. Sie beruht auf örtlicher Autonomie im Hinblick auf Produktion, Verarbeitung, Vermarktung und Verbrauch. Ländliche Familien brauchen Zugang zu Land, Saatgut, Wasser, technischen Mitteln und Energie. Bewährt haben sich bei der Versorgung mit diesen Dingen Netzwerke der Betroffenen.

Lokale Ernährungssouveränität bedeutet auch, dass die Höfe nicht auf die Zulieferung von Saatgut oder Agrarchemikalien von großen multinationalen Konzernen angewiesen sein dürfen. Oft drängen solche Unternehmen ihre Kundschaft in die Abhängigkeit von Innovationen, die zwar Profite und Ernteerträge steigern, aber nicht unbedingt dem Wohlstand ländlicher Familien dienen. Weltweit sollte sich die Agrarforschung auf die Interessen von Klein- und Familienbetrieben konzentrieren (siehe Hildegard Lingnau auf www.dandc.eu).

Historisch belegt ist, dass die Kleinlandwirtschaft wesentliche Beiträge dazu leistet,

  • Armut zu lindern,
  • Wachstum voranzutreiben,
  • Arbeit zu schaffen und
  • die Chancen ausgegrenzter Gemeinschaften zu verbessern.

Dafür muss die kleinbäuerliche Landwirtschaft politisch unterstützt und staatlich gefördert werden. Die ländliche Infrastruktur hat dabei eine zentrale Bedeutung. Die Politik sollte nie vergessen, dass kleine Höfe Nahrungsmittel für den örtlichen Bedarf produzieren, und zwar auf recht resiliente Weise. Zudem bilden sie ein soziales Sicherheitsnetz. Auch die Ernährungsvielfalt sollte bedacht werden. Denn die kluge Nutzung ökologischer Nischen durch den Anbau verschiedener Pflanzen und die Haltung mehrerer Tierarten stellt auf der lokalen Ebene eine nährstoffreiche Nahrungspalette bereit (siehe Rabson Kondowe auf www.dandc.eu). Eine bestimmte Nutzpflanze statt einer anderen zu kultivieren, kann Nährstoffmangel verhindern.

Ländliche Gemeinschaften haben sehr vielfältige Landsorten über viele Generationen hinweg gezüchtet – mit wichtigen Eigenschaften, die zu unterschiedlichsten Umweltbedingungen passen. Das macht sie zur wertvollen Grundlage für die Züchtung von Hochertragssorten (siehe Melaku Worede auf www.dandc.eu).

Ohne die pflanzengenetischen Ressourcen und das traditionelle Wissen marginalisierter und indigener Gemeinschaften ist globale Ernährungssicherheit nicht zu erreichen. Die Ernährungssicherheit dieser Gemeinschaften selbst hängt indessen von der graduellen Produktionssteigerung auf ihren Höfen ab.

Einige der ärmsten Menschen der Welt sorgen für den Erhalt wichtiger biologischer Ressourcen, sichern den Fortbestand von Ökosystemdienstleistungen und verstetigen kulturelle Kenntnisse. Ihre Lebensqualität zu steigern, ist der beste Weg, Hunger zu bekämpfen.


Parviz Koohafkan ist Gründer und Vorsitzender der World Agricultural Heritage Foundation. Als Direktor der FAO (UN Food and Agriculture Organization) startete er vor 20 Jahren das Programm GIAHS (Globally Important Agricultural Heritage Systems).
parvizkoohafkan@gmail.com
https://worldagriculturalheritage.org/

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