Editorial

Ländliche Urbanisierung

Leben auf dem Land bedeutet in Deutschland etwas ganz anderes als in Afrika oder anderen wenig entwickelten Weltgegenden und ähnelt in vieler Hinsicht dem Stadtleben.
Markt in Burkina Faso. Böthling/Photography Markt in Burkina Faso.

Selbst in entlegenen Winkeln der Bundesrepublik gibt es Arbeit in verschiedenen Branchen und Berufen – wenn auch die Vielfalt kleiner ist als in den Ballungszentren. Die Straßen sind gut. Es gibt Schulen, Ärzte und Supermärkte sowie eine zuverlässige Stromversorgung. Das Leben der Landbevölkerung entspricht heute in vielen reichen Ländern in Bezug auf Wahlmöglichkeiten, Bildungschancen, Berufswahl, Gesundheitsversorgung und Freizeitangebot durchaus urbanen Standards.

Ganz anders sieht es in den ländlichen Gegenden in Entwicklungsländern aus. Leben auf dem Land bedeutet für viele Menschen Armut und Chancenlosigkeit. Die Not ist auf den ersten Blick nicht so offensichtlich wie in den Städten mit ihren Slums und Armenvierteln, doch ist sie auf dem Land stärker verbreitet und oft noch bitterer.

In den ländlichen Gebieten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas fehlt es häufig grundsätzlich an staatlichen Leistungen, angefangen von Straßen und Strom bis hin zu Gesundheitswesen und Bildungseinrichtungen. Als Folge dessen gibt es in ländlichen Gebieten auch wenig Handels- und Gewerbebetriebe und somit fast keine  formalen Arbeitsplätze.

Die einzige Einnahmequelle ist vielfach die Landwirtschaft. Auf ihr ruht ein besonderes Augenmerk. Die landwirtschaftlichen Betriebe und Kleinbauern zu stärken bedeutet, Entwicklung auf dem Land voranzubringen. Das ist vielerorts allerdings nicht einfach und bedarf laut Experten einer Anschubfinanzierung durch Geber – nicht zuletzt, um die Infrastruktur auszubauen. Dabei geht es um Straßen, Wasserleitungen und so weiter, aber auch um Schulen, Gesundheitszentren oder einfach nur um Zugang zu staatlicher Verwaltung. Wichtig ist zudem die Vermittlung von regionalspezifischem Wissen über Dinge wie Anbaumethoden, Pflanzenzüchtung, Bewässerung, Düngung und so weiter. Dabei müssen heute unbedingt auch die durch den Klimawandel veränderten Bedingungen berücksichtigt werden.

Optimal wäre eine ländliche Entwicklung, die viele Kleinstädte als Knotenpunkte zwischen den Dörfern entstehen lässt. Wenn die Bauernhöfe gedeihen, könnten dort neue Märkte entstehen – und die Kleinstädte könnten als Mikrozentren einerseits Agrarprodukte verarbeiten und andererseits den Bauern die Güter und Dienste bereitstellen, die sie brauchen. So entstünden neue Erwerbschancen. Solch eine Entwicklung wäre die ökologisch, ökonomisch und sozial attraktivere Alternative zur Landflucht in die Megastädte, die oft ohnehin schon überfordert sind. Das Leben im ländlichen Raum der ärmeren Weltregionen würde allmählich auf ähnliche Weise urbanisiert, wie es das in Deutschland heute ist.

Auch für die Demokratisierung eines Landes ist die Entwicklung des ländlichen Raums essenziell. In dünnbesiedelten Gegenden, wo der Staat oft gar nicht präsent ist, geben Traditionen und Clans den Ton an, nicht gewählte Regierungen. Modernisieren im demokratischen Sinn bedeutet auch, ländliche Infrastruktur auszubauen. Denn Straßen, Strom, Schulen oder Krankenhäuser gehören zum Aufgabenbereich des Staats. Können sich Bürger in dieser Hinsicht auf den Staat verlassen, stärkt das seine Legitimation. Die Menschen identifizieren sich dann zunehmend mit Staat, Regierung und Demokratie, und die Tradition verliert an Bedeutung.


Sabine Balk ist Redakteurin von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@fs-medien.de

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