Rechter Autoritarismus

Machtvolle Lügen

Dem philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte verhalf vor zwei Jahren eine Welle von Falschinformationen zur Macht. Seine Wahlversprechen hat er nicht eingehalten – außer einem: Sein erfundener „Krieg gegen Drogen“ forderte rund 12 000 Menschenleben.
Proteste gegen Präsident Duterte am 21. September 2017, 45 Jahre nachdem Diktator Ferdinand Marcos das Kriegsrecht ausrief. Marquez/picture-alliance/AP Photo Proteste gegen Präsident Duterte am 21. September 2017, 45 Jahre nachdem Diktator Ferdinand Marcos das Kriegsrecht ausrief.

Rodrigo Duterte ist laut der NASA (National Aeronautics and Space Administration) der beste Präsident im Sonnensystem. Königin Elizabeth II. bewundert ihn und findet, alle Staatslenker der Welt sollten ihn um Rat fragen. Microsoft-Gründer Bill Gates ist so beeindruckt davon, wie friedlich die Philippinen unter Duterte geworden sind, dass er in Manila 20 Milliarden Dollar investiert hat.

All das sind grobe Lügen – nur einige von vielen, die auf Facebook kursieren. Sie werden als „Nachrichten“ präsentiert, mit erfundenen Überschriften, gefälschten Fotos und Zitaten in gebrochenem Englisch. Oft beziehen sie sich auf irreführende Websites wie aljazeera-tv, bbc101.co.uk, dai1lymail oder dw-tv3.

Zehntausende Facebook-User liken, unterstützen und teilen diese Lügen, die schließlich wie Giftmüll auf den Bildschirmen vieler Filipinos auftauchen. Das ist weder ein Versehen noch Zufall: Diese Flut an Falschinformationen wird bewusst erstellt, verbreitet und aufrechterhalten, um Duterte gut darzustellen, das Volk zu verwirren und Kritiker zu diskreditieren.

Desinformation ist nichts Neues in der Politik. „Fake News“ sind Propaganda – und die gibt es seit Jahrhunderten. Allerdings erlangen sie heutzutage durch Social-Media-Plattformen enorme Bedeutung. Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels hätte von einer solchen sofortigen Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit und maßgeschneiderten Anwendung nur träumen können.

Drei Dinge ermöglichen die schnelle Verbreitung falscher Nachrichten auf den Philippinen: mobile Geräte, Facebook und Trolle – das sind Internet-Nutzer, denen es nur um Provokation und Propaganda geht. Fast jeder Filipino hat ein Smartphone, und jeder kommt dank günstiger Verträge jederzeit ins Internet. Facebook ist die beliebteste Plattform. Laut der Website www.rappler.com gibt es auf den Philippinen derzeit 101 Millionen Einwohner, 119 Millionen Handy-Verträge und 47 Millionen Facebook-Konten.

Unbekannt ist, wie viele dieser Facebook-Accounts Trollen gehören. In den Anfängen des Internets waren Trolle unangenehme Personen, die gerne Diskussionen sprengten und Ärger machten. Heute organisieren Berater gegen Bezahlung ganze Troll-Armeen. Diese versprühen ihr Gift über gefälschte Konten oder automatisierte Softwareprogramme („Bots“).

Viele glauben, Donald Trump sei der erste populistische Führer mit autoritären Neigungen, den Fake News im November 2016 an die Macht gebracht haben. Dabei trug schon sechs Monate zuvor eine Welle von Falschinformationen im Internet Duterte an die Macht. Er polarisierte die Wähler, indem er Ängste, Hass und Groll schürte.


Cyberangriff

Forscher und Journalisten konnten rekonstruieren, wie Dutertes Strategen Trolle nutzten, die öffentliche Meinung manipulierten und gestohlene Daten verwendeten, um die Wähler individuell zu erreichen. Sie konsultierten auch ausländische Berater – so vermutlich auch Alexander Nix, den ehemaligen Leiter von Cambridge Analytica. Die Firma wurde jüngst beschuldigt, persönliche Daten von 87 Millionen Facebook-Nutzern gestohlen zu haben, um die Trump-Kampagne zu unterstützen.

Die South China Morning Post aus Hongkong berichtete, dass Nix Manila 2015 als Leiter der Strategic Communication Laboratories (SCL), einer Muttergesellschaft von Cambridge Analytica, besuchte. Vor dem nationalen Presseclub sagte er: „Wahlen sind am wirkungsvollsten, wenn die Leute selbst den Wahlkampf betreiben.“ Strategen sollten lieber Daten als Umfragen nutzen, um das Wählerverhalten zu beeinflussen. Laut Nix könnten selbst „komplett unfähige“ Kandidaten, die unter normalen Umständen nie gewinnen würden, mithilfe der richtigen Strategie „likeable“ werden.

SCL behauptet, viele Kandidaten weltweit erfolgreich beraten zu haben. Auf einer inzwischen gelöschten SCL-Website stand, ein Kunde sei ein philippinischer Kandidat gewesen, dem man geraten habe, den geradlinigen, hart gegen Kriminalität vorgehenden Anführer zu spielen. Duterte wurde nicht namentlich genannt, aber er muss gemeint gewesen sein. Der Präsident des nationalen Presseclubs ist inzwischen übrigens Dutertes Staatssekretär für Kommunikation.

Im April 2018 gab Facebook bekannt, Cambridge Analytica habe private Daten von mehr als einer Million philippinischer Facebook-Nutzer gestohlen. Was SCL und Cambridge Analytica auf den Philippinen bewirkten, bleibt unklar. Gleiches gilt für eine als „rumänisch“ bezeichnete, ausländische Gruppe. Der Kampagnen-Manager eines anderen Kandidaten sagte, man habe ihm ein automatisiertes System angeboten, das spezielle Software nutzte, um die Aktivitäten auf sozialen Medien zu überwachen, Themen zu identifizieren, Unterstützer zu mobilisieren, Inhalte zu verbreiten und tausende gefälschte Konten zu generieren. Das alles würde von einem High-Tech-Kommandozentrum aus gesteuert werden. Dieser Kandidat lehnte das Angebot ab – andere haben es aber womöglich akzeptiert.

Facebook hat Duterte ziemlich offen geholfen. Der multinationale Konzern schulte Mitarbeiter interessierter Kandidaten darin, die Social-Media-Plattform optimal zu nutzen. Dutertes Strategen nahmen die Empfehlungen dankbar an. Laut Bloomberg.com war das ein Service von Facebooks „Global Governments and Politics Team“. Unter Leitung von Katie Harbath, einer ehemaligen Strategin der US-Republikaner, brachte das Team politischen Parteien bei, Kampagnenseiten einzurichten und Inhalte und Livestreams zu erstellen. Es könnte auch Werbefläche verkauft haben.

2016 sagte Harbath in einem Interview: „Wir versuchen den Nutzern Zugang zu ermöglichen und sie zu informieren.“ Das ist aber nicht geschehen. Dutertes Strategen organisierten in realen und in Online-Gruppen Unterstützer, die zwei wichtige Aufgaben erledigten: Sie lieferten einen nicht endenden Strom von Fake News und Desinformationen über Duterte und seine Gegner, und sie schüchterten Kritiker ein, indem sie mit tausenden von wütenden Kommentaren auf jeden Facebook-Post reagierten, der es wagte, ihren Kandidaten zu kritisieren. Trollen geht es nicht unbedingt darum, jeden zu überzeugen. Einschüchterung und Verwirrung erfüllen auch ihren Zweck.

Facebook vermeldete stolz, 22 Millionen philippinische Nutzer hätten sich aktiv am Wahlkampf beteiligt. Leider war das kein rühmliches Beispiel für breite Beteiligung an einem demokratischen Prozess. Der Aktivismus war meist vergiftet und sorgte dafür, dass falsche Informationen in Umlauf kamen.

Eine aktuelle Studie des Newton Tech4Dev Network schlussfolgert, dass an Dutertes Kampagne nicht nur Freiwillige und Fans beteiligt waren, sondern auch Profis aus Werbe- und PR-Agenturen. Die Newton-Studie ergänzt: "Unter Duterte haben Trolle oder ‚Dutertards‘, wie seine fanatischen Anhänger genannt werden, der politischen Debatte die Basis entzogen und haben politische Gegner mundtot gemacht, indem sie lärmend Fake News und Hassreden verbreitet haben.“

Die Horde von Trollen nennt sich stolz „Cyberwarriors“. Während der Kampagne unterstützten sie alle die Mär, eine dramatische Drogenkrise bedrohe das Land und nur Duterte könne die Nation retten. Weder nationale noch internationale Statistiken belegen jedoch eine solche Drogenkrise.

Duterte war damals 70 Jahre alt und bekannt als unflätiger Ex-Bürgermeister von Davao City mit Kontakten zu Killertruppen. Auf Facebook aber wurde er als ein ungeschliffener Diamant dargestellt und als Reformer, der gegen Drogensyndikate und etablierte Eliten wie auch Wirtschaftsoligarchen, Politiker und Mainstream-Medien gleichermaßen vorgeht.

Zwei Jahre nachdem er die Wahl mit einer Mehrheit von knapp 40 Prozent der Stimmen gewonnen hat, hat Duterte seine Versprechen nicht eingelöst. Politisch versucht er vor allem, eine neue Verfassung durchzudrücken, die seine Macht verlängert (siehe meinen Aufsatz in E+Z/D+C e-Paper 2017/02). Die Eliten sind weiterhin fest verwurzelt, und begünstigt sind offenbar vor allem Dutertes Kumpane – darunter die Familie des ehemaligen Diktators Ferdinand Marcos.

Allerdings hatte Duterte auch angekündigt, die Bucht von Manila mit den Leichen zehntausender Krimineller und Drogenabhängiger zu füllen. Tatsächlich kostete der „Krieg gegen Drogen“, den er nach seinem Amtsantritt im Juni 2016 startete, nach Schätzung von Human Rights Watch „12 000 Menschen das Leben, hauptsächlich armen Slumbewohnern, darunter auch Kindern“. Die Killer gehören offenbar zu Todesschwadronen und Polizei. Wegen der vielen außergerichtlichen Tötungen könnte Präsident Duterte eines Tages vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden. Doch er bleibt populär, seine Trolle agieren weiter auf Facebook, und die Fake-News-Maschinerie verbreitet fleißig ihre Storys.

Einen kleinen Gegenschlag gab es: Verspätet hielt der Senat eine Anhörung zu Falschnachrichten ab, leider ohne Ergebnis. Wikipedia hat eine Liste philippinischer Fake-News-Websites veröffentlicht. Mainstream-Medien, die die Fehlinformationen auf Facebook lange ignorierten, beginnen langsam, darüber zu berichten. Vergangenes Jahr analysierte Vera Files, eine Gruppe investigativer Journalisten in Manila, 16 Wochen lang Fake-News-Aktivitäten und fand heraus, dass dabei eindeutig zwei Personen favorisiert wurden: Duterte und Ferdinand Marcos Jr., Sohn des gleichnamigen früheren Diktators.


Alan Robles ist freier Journalist und lebt in Manila.
twitter.com/hotmanila

 

 

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