Kindliche Entwicklung

Eltern ermächtigen

Ohne fördernde Fürsorge im frühen Kindsalter können sich Kinder schlechter entwickeln und haben lebenslang Nachteile. Um soziale Gleichstellung zu erreichen, ist eine entscheidende Strategie, das Entwicklungspotenzial von Kindern maximal auszureizen. Zwei Maßnahmen, die in der Karibik entwickelt und evaluiert wurden, befähigen Eltern, die Entwicklung ihres Kindes zu fördern.
Kinder lernen viel, wenn man ihnen Dinge zeigt und erklärt. Jessie North Kinder lernen viel, wenn man ihnen Dinge zeigt und erklärt.

Etwa 250 Millionen Kinder in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen – 43 Prozent der unter Fünfjährigen weltweit – können, bedingt durch Armut und den daraus folgenden Nachteilen, nicht ihr volles Potenzial entwickeln. Die frühe Kindheit ist entscheidend für die Entwicklung. Unzureichende Nahrung verlangsamt physisches Wachstum, und frühe Erfahrungen können langfristige Auswirkungen auf Hirnfunktion, geistige Fähigkeiten und Verhalten haben.

Kinder, die entsprechende Früherfahrungen nicht haben, sind im Nachteil, wenn sie in die Schule kommen; sie lernen beispielsweise langsamer und bleiben auf einem niedrigeren Bildungsniveau. Dies hat später Auswirkungen auf Wahrnehmung, Verhalten und Einkommen als Erwachsene. Der Kreislauf der Armut kann so nicht durchbrochen werden.

Um frühkindliche Entwicklung zu fördern, braucht man Fürsorge mit Fokus auf Ernährung, Gesundheit und Sicherheit. Enger Umgang der Betreuungspersonen mit den Kindern ist notwendig. In der Regel sind sich reiche Eltern dessen eher bewusst und haben die besseren Möglichkeiten, dies zu bieten.

Meist werden Kleinkinder von der Familie betreut. Strategien und Programme, die benachteiligte Eltern darin unterstützen, ihren Kleinkindern gute Pflege zukommen zu lassen, sorgen daher für eine gute Grundlage. Sie tragen dazu bei, gleiche Startbedingungen zu schaffen. Die Eltern in ihren Fürsorgefähigkeiten zu unterstützen kommt somit der Lernkapazität und dem Verhalten der Kinder zugute.

In der Karibik wurden zwei Methoden entwickelt, um die Fähigkeit der Eltern zu steigern, Stimulation und hochwertige Betreuung zu geben: Sie heißen „Reach up“ und „What You Do with Baby Matters“. Beide Maßnahmen sind auch mit geringen finanziellen Mitteln umsetzbar und konzentrieren sich darauf, elterliche Betreuung zu verbessern.


Reach Up

Reach Up basiert auf dem Jamaica Home Visit (JHV)-Programm, das in den 1970ern und 80ern von Sally Grantham-McGregor, einer bekannten englischen Kinderentwicklungsexpertin, entworfen wurde. Sein Ziel war ursprünglich, die Entwicklung unterernährter Kinder voranzubringen. Es zeigte Erfolge bei unterentwickelten Kindern oder solchen mit niedrigem Geburtsgewicht und kommt eigentlich allen Kindern zugute. Das JHV-Programm ist bereits in anderen Ländern durchgeführt worden wie etwa Bangladesch, Kolumbien und Peru. Es wird von Sozialarbeiterinnen verbreitet und kann zusammen mit Gesundheitsleistungen durchgeführt werden.

Das JHV besteht aus wöchentlichen Hausbesuchen durch das Community-Gesundheitspersonal (CHW), das ausgebildet ist, um Spielsitzungen mit Mutter und Kind durchzuführen. Das Hauptziel ist es, die Mutter in die Lage zu versetzen, die Kindesentwicklung durch Spiel zu fördern. Die Besuche sind interaktiv, mit CHW, Mutter und Kind. Die Mütter lernen, welche Spiele dem Kind gefallen und ihm nützlich sind. Die Konzepte dafür basieren auf selbstgebastelten Spielzeugen, Liedern und Sprachaktivitäten. Die Mutter-Kind-Interaktion wird betont; sowohl Mutter als auch Kind bekommen Lob. Die CHWs bauen eine unterstützende Beziehung zu der Mutter auf und ermutigen sie, diese Art Spiele in ihren Alltag zu integrieren. Die Familie bekommt Spielzeuge, die beim nächsten Mal ausgetauscht werden.

Obwohl Evaluationen gezeigt haben, dass diese Art von elternbezogenen Maßnahmen effektiv ist, werden sie kaum ausgeweitet. Ein Grund ist, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Regierungsbehörden nicht die Kompetenzen haben, um sie umzusetzen. Um diese Lücke zu füllen, hat die Kindesentwicklungs-Forschungsgruppe der University of the West Indies das „Reach Up Early Childhood Parenting Programme“ in Kooperation mit internationalen Partnern entwickelt, einschließlich Grand Challenges Canada, einer regierungsfinanzierten Gesundheitsinitiative.

Reach Up besteht aus einem Curriculum, einem Leitfaden für die Trainings der CHWs und Supervisoren, Filmen, einem Spielzeug-Bastelbuch und einer Anleitung zur Anpassung und Umsetzung. Die Filme erleichtern das Training der CHWs, indem sie die Hauptschritte bei einem Hausbesuch schildern und bestimmte Aktivitäten und Techniken herausstellen. Gefilmt wurde in Jamaika, Peru und Bangladesch. Die Filme gibt es auf Englisch, Spanisch, Französisch und Bengali.

Die Trainingsanleitung beinhaltet Ziele und Aktivitäten für jede Sitzung. Das Training ist interaktiv, mit Brainstorming und Übungen in Kleingruppen. Das Curriculum ist so gestaltet, dass es von Menschen mit einem Minimum an Grundschulbildung durchgeführt werden kann. Um es weiter zu verbessern, arbeitet das Reach-Up-Team jetzt mit Kollegen in Brasilien, Simbabwe und Guatemala. Ziel ist es, die Probleme bei der Umsetzung besser zu verstehen, so dass die Unterstützung verbessert werden kann. Reach Up is anpassungsfähig. Das Training kann wöchentlich oder zweiwöchentlich gegeben werden und wird in Asien, Afrika und Lateinamerika genutzt.


What You Do with Baby Matters

In vielen Ländern der Karibik haben staatliche Gesundheitszentren auch kostenlose Kinderkliniken, die mit Krankenschwestern und CHWs besetzt sind. Hierher werden Kinder zwischen dem dritten und 18. Lebensjahr insgesamt fünf Mal für Impfungen gebracht. „What You Do with Baby Matters“ wurde entwickelt, um die Zeit zu nutzen, die Eltern in diesen Kliniken in der Warteschlange verbringen. Die Maßnahme wurde in Antigua, Jamaika und St. Lucia mit Hilfe der Interamerikanischen Entwicklungsbank durchgeführt und ausgewertet.

Die CHWs, die das Wachstum der Kinder in den Kliniken messen, wurden beauftragt, den Eltern in der Wartezone das Programm nahezubringen. Das CHW-Training war ähnlich wie das im Reach-Up-Programm. Es gab Workshops, Inhalte und Methoden wurden diskutiert und in Kleingruppen geübt. Die CHWs bekamen einen Leitfaden, und die Krankenschwestern wurden entsprechend instruiert. Ein Team der University of the West Indies überwachte das Programm.

Im Wartebereich der Klinik führte man Kurzfilme vor. Diese zeigten Mütter, die genau die Verhaltensweisen hatten, zu denen man die Eltern ermutigen wollte. Neun Filme von jeweils drei Minuten Länge wurden mit fünf verschiedenen Mutter-Kind-Paaren in Jamaika produziert. Drei Filme mit unterschiedlichen Themen wurden bei jeder Kliniksitzung gezeigt. Danach diskutierte die CHW die Filme mit den Müttern, wies auf bestimmte Verhaltensweisen hin und ermutigte die Eltern, sich zu Hause mehr mit ihren Kindern zu beschäftigen. Die CHWs zeigten auch, wie man aus Haushaltsgegenständen einfache Spielzeuge basteln kann.

Bei jedem Besuch gaben die Krankenschwestern den Müttern Karten mit, auf denen in einfacher Sprache und mit Bildern die Themen der Filme verstärkt wurden. Sie besprachen diese Karten mit den Müttern und ermutigten sie, diese Aktivitäten durchzuführen. Die Schwestern gaben den Eltern auch einfache Bilderbücher mit, wenn das Baby zwischen neun und 12 Monaten alt war, und ein Puzzle und Bauklötze, wenn es anderthalb war.

Mütter und CHWs schätzten das Programm sehr und hatten den Eindruck, dass es den Kindern half. Auch die Erwachsenen hatten etwas davon. Mütter sagten, dass sie mehr Liebe zeigten und mehr mit ihrem Baby sprachen und spielten. „Früher spielte ich nicht mit ihr“, sagte eine Mutter. „Seit ich das Programm kenne, setze ich mich zu ihr und singe und spiele mit ihr.“ Sie fanden auch, dass die Kinder profitierten. Die Mütter berichteten, dass die Kinder durch diese Erfahrungen schneller lernten. 

Auch die CHWs fühlten sich gestärkt. Eine CHW meinte: „Ich bin stolz, dass ich jetzt in der Lage bin, Leuten Rede und Antwort zu stehen. Ich kann die Eltern beraten, und das fühlt sich wundervoll an.“

Die Evaluierung zeigte, dass Eltern gelernt hatten, wie sie die Entwicklung ihres Kindes fördern konnten. Kinder, die zu Kliniken mit diesem Programm kamen, zeigten eine bessere kognitive Entwicklung als diejenigen, die in den regulären Kliniken behandelt wurden. Diese Maßnahme bietet einen neuen Ansatz, wie Eltern ihre Kinder fördern können, der auch gut in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen durchgeführt werden kann.

 

Susan Walker ist Direktorin des Caribbean Institute for Health Research an der University of the West Indies. Sie lebt in Kingston, Jamaika, und ist Hauptautorin des Leitfadens „What You Do with Baby Matters”.
susan.walker@uwimona.edu.jm

 


Links

Reach Up:
https://bernardvanleer.org/blog/helping-children-families-reach-new-training-package-support-parents/

What You Do with Baby Matters (auf Englisch und Spanisch): 
https://publications.iadb.org/handle/11319/7575

Grand Challenges Canada:
http://www.grandchallenges.ca/

 

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