Naher und Mittlerer Osten

Gestrampel beim Abgleiten

Alte Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Iran wachsen weiter. Die Saudis haben mit der Hinrichtung eines hochrangigen schiitischen Geistlichen Öl ins Feuer gegossen.
Zataari/AP Photo/picture-alliance Lebanese Shias are angry about the execution of Nimr al-Nimr. Zataari/AP Photo/picture-alliance

Sheikh Nimr Baqir al-Nimr, der am 2. Januar 2016 hingerichtet wurde, war ein prominenter schiitischer Theologe aus der Ostprovinz des Landes. Die Bevölkerung dieser ölreichen Gegend ist den Daten zufolge mehrheitlich schiitisch. Nimr wurde dort in einem Dorf 1959 geboren.

Um zu studieren, zog er 1979 nach Iran. Damals stürzten schiitische Revolutionäre Schah Reza Pahlevi und errichteten ein religiöses Regime. Nimr kehrte 1994 heim und wurde zum führenden schiitischen Geistlichen des Landes.

Er kritisierte das Königshaus – besonders in Hinsicht auf dessen Umgang mit der konfessionellen Minderheit. Er bestand auf Gewaltfreiheit, befürwortet aber Irans postrevolutionäres Prinzip der Führung durch den „Obersten Rechtsgelehrten“, der das letzte Wort hat. Zugleich äußerte sich Nimr aber kritisch über Syriens Präsident Bashar al-Assad und dessen Unterdrückung der Opposition. Iran unterstützt dagegen Assad.

Nimrs Hinrichtung muss im Kontext des sektiererischen Konflikts, den die Saudis anfachten, um ihre Macht zu festigen, gesehen werden. Relevant ist auch die geopolitische Rivalität zwischen dem Königreich und seinem historischen Widersacher, Iran, die sich heute in Bürgerkriegen in Syrien und Jemen sowie anderen Konflikten der Weltregion manifestiert.

Die Saudis beunruhigt die jüngste Annäherung von Iran und dem Westen. Das Abkommen über das Ende von Atomprogramm und vielen Wirtschaftssanktionen stärkt Teheran.

Das saudische Regime hat mit der Hinrichtung seiner schiitischen Minderheit gezeigt, dass es Opposition nicht duldet. Zugleich wollte es den Iran provozieren – in der Hoffnung auf eine Reaktion, die ihm helfen würde, arabische Verbündete um sich zu scharen und die Verschiebung der regionalen Machtbalance zu bremsen oder sogar umzukehren.

Tatsächlich setzten Fanatiker die saudische Botschaft in Teheran in Brand. Präsident Hassan Rouhani verurteilte ihr Treiben, aber das Königshaus bekam, was es wollte: die Gelegenheit, sich als Opfer zu gerieren und arabische Ängste zu schüren.

Die Spannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien sind alt. Sie bestanden schon vor der iranischen Revolution, als der Schah als Gendarm des Westens im überwiegend arabischen Nahen und Mittleren Osten diente. Iran war den arabischen Nachbarn militärisch und ökonomisch überlegen.

Nach der Revolution wurden die Spannungen offensichtlich – und nahmen weiter zu. Nun wurden auch religiöse Ideologie und konfessionelle Differenzen wichtig. Arabische Regierungen nahmen Iran als aufstrebendes schiitisches Machtzentrum wahr, das seine Revolution exportieren und die regionale Ordnung verändern wollte. Herrscher sunnitischen Glaubens fühlten sich bedroht.

Um die Revolution einzudämmen, griff der autoritäre irakische Präsident Saddam Hussein 1980 Iran an. Damals wurde er vom Westen unterstützt – sowie von Saudi-Arabien. Der blutige Krieg dauerte bis 1988 und verursachte schreckliches Leid. Iraner wissen auch noch, dass saudische Sicherheitskräfte 1987 mit schiitischen Demonstranten aneinander-gerieten, wobei mehr als 400 Menschen starben. Die meisten waren Iraner.

Riad hat nun die diplomatischen Beziehungen zu Teheran abgebrochen und Bahrein, Sudan und Dschibuti auch dazu bewogen. Somalia hat sich angeschlossen, nachdem die Saudis dafür Entwicklungshilfe im Wert von 50 Millionen Dollar in Aussicht stellten.

Trita Parsi, der Gründer des National Iranian American Council in den USA, erkennt in der Politik von König Salman und seinem Sohn Muhammad, dem Verteidigungsminister, neues Draufgängertum. Ihr Handeln wirkt wie das überdrehte, reaktiv-aggressive Gestrampel eines sektiererischen Regimes, dessen Einfluss abgleitet.

Westlichen Spitzenpolitikern ist klar, dass Iran und Saudi-Arabien beide an Bord sein müssen, damit internationale Verhandlungen den syrischen Bürgerkrieg beenden können und der militärische Kampf gegen ISIS gelingt. Ob das auch saudische Prioritäten sind, ist offen. Irans Bevölkerung freut sich derweil über den Abbau von Sanktionen.


Maysam Behravesh forscht am Center for Middle Eastern Studies (CMES) an der Universität Lund in Schweden.
maysam.behravesh@gmail.com

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