Europäische Union

Abschottung ist keine Lösung

Viele europäische Länder haben sich lange fein herausgehalten, aber Flucht ist kein neues Thema. Seit Jahren macht das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) auf das weltweite Problem aufmerksam: 60 Millionen Vertriebene gab es 2014 laut den aktuellsten zuverlässigen Daten – die höchste je dokumentierte Zahl. Das sind rund 8 Millionen mehr als 2013 und 22 Millionen mehr als 2004. Mehr als die Hälfte waren 2014 Kinder.
Flüchtlinge in Mazedonien. AP Photo/picture-alliance Flüchtlinge in Mazedonien.

Den größten Teil – 38 Millionen – bildeten die sogenannten Binnenvertriebenen. Sie flohen innerhalb ihres eigenen Landes.

Laut UNHCR waren mit 7,6 Millionen 2014 in Syrien die meisten Menschen innerhalb ihres Landes vertrieben, gefolgt von Kolumbien (6 Millionen) und Irak (3,6 Millionen). Angesichts der aktuellen Situation, die keinerlei Hoffnung auf eine Lösung der Konflikte in Syrien und anderswo in Nahost verheißt, werden diese Zahlen weiter steigen.

Die Fluchtkrise, die in Europa seit vorigem Jahr Schlagzeilen macht, kam nicht aus heiterem Himmel. Seit fünf Jahren tobt ein unbarmherziger Krieg in Syrien, dem die Zivilbevölkerung schutzlos ausgeliefert ist. Afghanistan und Irak sind derweil dysfunktionale Staaten, in denen Terrorbanden wie ISIS und die Taliban ihr Unwesen treiben.

Viele Menschen aus Syrien und Afghanistan sind bereits in Nachbarländer geflohen. Die Türkei, Pakistan und Libanon sind die Länder, die weltweit die meisten ausländischen Flüchtlinge aufgenommen haben. Die Bedingungen in den Lagern in Syriens Nachbarländern verschlechtern sich jedoch zunehmend, was den Massenexodus nach Europa antreibt.

Dass UN-Organisationen seit Monaten über Finanzmangel klagen und teils sogar Essenrationen kürzen mussten, ist ein Skandal. Das Leben in den Lagern ist immer schwerer zu ertragen. In ihren Heimatländern sehen die Flüchtlinge aber keine Perspektive für sich und ihre Kinder. Hoffnungslosigkeit hat Folgen: Manche junge Leute beginnen, mit Extremisten zu sympathisieren, und schließen sich Terrorgruppen an. ISIS und die Taliban rekrutieren Kämpfer in den Lagern. Viel mehr Menschen aber machen sich auf den Weg nach Europa, das paradiesisch reich und friedlich wirkt.

Doch welch einen Empfang bietet ihnen Europa! Zehntausende Menschen fanden seit dem Jahr 2000 den Tod an europäischen Grenzen. Allein 2015 starben rund 3700 Menschen im Mittelmeer. Die EU bietet keine legale Einreisemöglichkeit. Als vergangenes Jahr das Leid der Vertriebenen endlich einer breiten europäischen Öffentlichkeit bewusst wurde, hieß Bundeskanzlerin Angela Merkel Flüchtlinge in Deutschland grundsätzlich willkommen. Dies brachte ihr international viel Anerkennung ein. Zuvor hatte sich schon die deutsche Zivilgesellschaft mit erstaunlichem ehrenamtlichen Engagement bemüht, Flüchtlinge menschenwürdig zu empfangen.  

Weil der Zustrom der Flüchtlinge nicht abreißt, spürt Merkel nun Gegenwind – sogar aus der eigenen Partei. Forderungen nach einer Flüchtlingsobergrenze oder Grenzschließungen hält sie – zu Recht – für nicht menschenrechtskonform.

Europas Regierungen stehen in der Pflicht. Sie predigen Entwicklungsländern ständig und aus gutem Grund, dass die Menschenrechte eingehalten werden müssen. Die EU muss sich selbst an diese Prinzipien halten. Wenn sie sich aus purer Bequemlichkeit davor drückt, verliert sie in Afrika, Asien und Lateinamerika weiter an Glaubwürdigkeit und Einfluss. Muslimische Verbündete im Kampf gegen den Terrorismus kann sie so auch nicht motivieren.


Sabine Balk ist Redakteurin von E+Z/D+C.
euz.editor@fs-medien.de

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.