Cyberkrieg

Digitaler Dschihad

Das Internet ist zum Schauplatz internationaler Kriegsführung geworden. Vor allem islamistische Extremisten nutzen soziale Medien und nehmen Einzelpersonen oder Communities in der virtuellen Welt ins Visier, um ihre Ideologie zu verbreiten und Leute anzuwerben. Regierungen demokratischer Länder reagieren nur sehr langsam.
Die Nutzung von sozialen Netzwerken kann schwerwiegende Folgen haben. Martin Moxter/Lineair Die Nutzung von sozialen Netzwerken kann schwerwiegende Folgen haben.

Der Krieg in Syrien und im Irak spielt sich nicht nur in diesen beiden Ländern ab. In den vergangenen drei Jahren haben sich 20 000 ausländische Kämpfer militanten islamistischen Gruppen wie ISIS angeschlossen. Im Vergleich dazu: In zehn Jahren Afghanistan-Krieg unterstützten nur 10 000 ausländische Kämpfer die Taliban. Offensichtlich kann ISIS seine Botschaften erfolgreicher als die Taliban verbreiten. ISIS rekrutiert seine Unterstützer nicht nur in entlegenen Koranschulen, sondern auch in den Wohnzimmern – etwa mit Hilfe von Facebook und Twitter. Allein ISIS hat geschätzte 46 000 Twitter-Accounts.

Soziale Medien sind ein sehr wirksames Werkzeug, um junge Menschen für extremistische Gruppen zu ködern. Im Internet haben „Journalisten ihre Torwächter-Funktion verloren“, sagt Maria Ressa von der philippinischen Website www.rappler.com. „Extremisten schaffen virtuelle Communities in den sozialen Netzwerken, zielen auf einsame Jugendliche ab, und transportieren Emotionen mit einem politischen Ziel dahinter.“

Heutzutage kennen sich auch viele Dschihadisten mit Computertechnologie aus, zum Beispiel die sogenannte „Electronic Militia“ in Ägypten, sagt der ägyptische Journalist Fathy Mohamed Abou Hatab. So etwa verändern sie die Aussagen bestimmter Websites, indem sie unzählige Kommentare posten. Aus diesem Grund „müssen Social-Media-Redakteure deren Diskurs gut kennen.”

Waslat Hasrat-Nazimi ist Afghanistan-Korrespondentin der Deutschen Welle. Sie erklärt, dass extremistische Gruppen soziale Medien nutzen, um

  • ihre Ideologie zu verbreiten, beispielsweise durch die Veröffentlichung von Gewaltvideos,
  • Kämpfer zu rekrutieren, und
  • Geld zu sammeln, zum Beispiel via Bitcoin, einer digitalen Internet-Währung.

Bei der jungen Zielgruppe ist Religion gar nicht der entscheidende Faktor. In europäischen Ländern sind es beispielsweise oft einsame Jugendliche, die auf die digitale Propaganda anspringen. Viele kommen aus christlichen Mittelklasse-Familien. Auf der anderen Seite werden junge Frauen mit Migrationshintergrund über soziale Medien von weiblichen Dschihadisten kontaktiert. Diese nutzen das Gefühl der Ausgrenzung, das viele muslimische Mädchen spüren, aus, um sie mit einer „islamistischen Schwesternschaft“ zu locken.

Die Motive sind von Land zu Land unterschiedlich. In Somalia, beispielsweise, schließen sich arbeitslose junge Leute aus sozioökonomischen Gründen der Extremistengruppe Al-Shabab an, weil sie hoffen, damit Geld zu verdienen, erklärt Gulmina Bilal von der pakistanischen Friedensorganisation Individualland.

Weltweit kontaktieren islamistische Extremisten junge Menschen mit Hilfe sozialer Medien auf höchst personalisierte Art und Weise. „In dem Maße, wie die Radikalisierung zunimmt, schrumpft der Einfluss der Familien,“ sagt Extremismus-Expertin Maria Ressa. Die Familien merken oft gar nicht, was sich abspielt, bis der Prozess der Radikalisierung bereits weit fortgeschritten ist. 

Beim Global Media Forum Ende Juni in Bonn diskutierten Experten mögliche gangbare Wege, um den Cyber-Dschihadismus zu bekämpfen. Kyle Matthews, Gründer des Digital Mass Atrocity Prevention Lab der kanadischen Concordia University, forderte Regierungen auf, den digitalen Dschihad zu unterbinden, und nannte fünf zentrale Punkte:

  • Regierungen müssen aktiv werden, mit adäquater Politik und den entsprechenden Experten.
  • Innovative zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich um diese Themen kümmern, brauchen mehr Geld.
  • Mithilfe von Hackern müssen die ISIS-„Anfeuerer“ gefunden, identifiziert und bloßgestellt werden, um ihre Webaktivitäten zu unterbinden.
  • Mehr Kooperation des Privatsektors und soziale Verantwortung der Unternehmen ist vonnöten: Google, Facebook und Twitter müssen ihre Plattformen besser kontrollieren, damit sie nicht für kriminelle Aktivitäten missbraucht werden können.
  • Eine „Gegenerzählung“ muss entwickelt werden: Vor allem Internet-versierte Muslime sollten der ISIS-Propaganda mit Informationen gegensteuern. Man muss das extremistische Narrativ hinterfragen und die Interpretation des Korans nicht den Fanatikern überlassen.

„Wenn wir sie online nicht ausbremsen, werden wir offline noch mehr Probleme bekommen“, fasst Matthews zusammen. Die beste Gegenstrategie ist seiner Ansicht nach ein mutiges, alternatives Narrativ. Dennoch müssen sozioökonomische und politische Missstände wie Jugendarbeitslosigkeit angegangen werden. Solange junge Menschen keine Perspektiven haben, wirkt jeglicher Radikalismus attraktiv für sie.

Sheila Mysorekar

 

Links:
Digital Mass Atrocity Prevention Lab:
http://www.concordia.ca/research/migs/projects/dmap.html
Individualland, Pakistan:
http://www.individualland.com/
The Rappler, Philippines:
http://www.rappler.com/

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