Sextourismus

Zweifelhafter Ruf

Die Zahl der Touristen in Kambodscha hat sich in den vergangenen vier Jahren verdoppelt. 2014 zählte das südostasiatische Land mehr als vier Millionen ausländische Besucher. Sie kamen wegen der Tempel von Angkor, tropischer Sandstrände – und manche auch wegen des käuflichen Sex, der billig und leicht zu haben ist.
Prostituierte warten in einem Park in Phnom Penh auf Kundschaft. Chor Sokunthea/Reuters Prostituierte warten in einem Park in Phnom Penh auf Kundschaft.

Der neueste Trend scheint sexueller Missbrauch von Kindern in kambodschanischen Waisenhäusern zu sein. Männliche Täter, die sich als Touristen oder freiwillige Mitarbeiter tarnen, kommen dort leicht an minderjährige Jungen und Mädchen heran. In den vergangenen Jahren sind mehrere derartige Fälle bekanntgeworden. Der UN-Kinderrechtsausschuss (Committee on the Rights of the Child, CRC) äußerte sich in einem im Februar veröffentlichten Bericht besorgt über den kambodschanischen „Waisenhaustourismus, der ein immer häufiger auftretendes Phänomen zu sein scheint, bei dem Kinder in Einrichtungen und Waisenhäusern sexueller Ausbeutung durch Ausländer ausgesetzt sind“ (siehe Kasten).

Kambodscha ist seit langem ein beliebtes Ziel männlicher Sextouristen aus Asien und westlichen Ländern. Prostitution ist zwar gesetzlich verboten, aber im ganzen Land weit verbreitet und besonders in den Touristenhochburgen unübersehbar. Ob in Siem Reap, dem Tor zu den berühmten Tempeln von Angkor, in der Hauptstadt Phnom Penh oder im Badeort Sihanoukville – Prostituierte sind überall zu haben. Sie arbeiten in Karaoke-Bars, Massage-Salons oder auf der Straße.

Tourismusminister Thong Khon sagte laut der Zeitung Cambodia Daily, es gebe landesweit 659 Stätten für Erwachsenenunterhaltung mit insgesamt mehr als 11 000 Mitarbeitern. Natürlich sind nicht alle von ihnen Prostituierte. Mehr als ein Viertel der Betriebe sei nicht behördlich erfasst, was die Überwachung deutlich erschwert.

Die meisten Sexarbeiterinnen kommen vom Land, wo die Armut am größten ist. Einige stammen aber auch aus Kambodschas Nachbarländern, vor allem aus Vietnam. Sex ist in Kambodscha billig: Manche Frauen sollen schon für fünf Dollar zu haben sein. Touristen aus dem Westen bezahlen aber im Schnitt 20 bis 30 Dollar. Das ist immer noch deutlich weniger als in Thailand, Kambodschas Nachbarland und eins der berüchtigtsten Sextourismus-Ziele weltweit. Niedrige Preise und einfacher Zugang gehören zu den Gründen dafür, dass das Geschäft in Kambodscha blüht. „Während der Großteil derjenigen, die in Kambodscha für Sex bezahlen, Kambodschaner sind“, expandiere auch die Sextourismus-Branche des Landes, erklärte das UN-Büro für Drogen und Kriminalität (UN Office of Drugs and Crime, UNODC) 2013 in einer Studie über grenzüberschreitendes organisiertes Verbrechen in Ostasien und der Pazifikregion.


Jede dritte Prostituierte ist unter 18

Sowohl Sextouristen als auch Einheimische verlangen nach minderjährigen Mädchen und Jungen. Das US-Außenministerium stellt in seinem Bericht über Menschenhandel 2014 fest, dass die größte Nachfrage nach Kinderprostitution von kambodschanischen Männern kommt. Zusätzlich kämen „Männer aus anderen asiatischen Ländern, den Vereinigten Staaten und Europa“ mit dem Ziel nach Kambodscha, Kinder sexuell zu missbrauchen.

Der UN-Kinderrechtsausschuss schätzt, dass ein Drittel der Prostituierten in Kambodscha unter 18 Jahre alt ist. Menschenhandel ist in diesem Zusammenhang ein großes Problem. Laut UNICEF sind rund 37 Prozent der Menschen, die zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Kambodscha gehandelt werden, Kinder. Das US-Außenministerium berichtet aber auch von Fällen, in denen Kinder sich von sich aus prostituieren, um zu überleben.

Das Land hat den zweifelhaften Ruf, ein Paradies für Pädophile zu sein. Oft reicht es aus, den nächsten Tuktuk-Fahrer, Gästehaus-Besitzer oder Kellner nach einem kleinen Jungen oder Mädchen zu fragen. Es gibt sogar verzweifelte Eltern, die die Jungfräulichkeit ihrer eigenen Töchter verkaufen. Die Autoren des US-Außenministeriums schreiben: „Der Verkauf jungfräulicher Frauen und Mädchen ist in Kambodscha nach wie vor ein Problem.“

Kambodschas Gesetz gegen Menschenhandel sieht Haftstrafen von zwei bis 15 Jahren für die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern vor. Auch Kinderpornographie ist gesetzlich verboten. Nicht­regierungsorganisationen (NGOs) kritisieren die Durchsetzung der Rechtsvorschriften jedoch als ungenügend. Zudem sorge die weit verbreitete Korruption dafür, dass Polizei und andere Behörden von dem illegalen Geschäft profitierten, das sie bekämpfen sollten.

Immerhin hat sich die Lage schon etwas verbessert. Es gibt Gerichtsverfahren und Verurteilungen, über die nationale und internationale Medien berichten. Nach Erhebungen der kambodschanischen Nichtregierungsorganisation (NGO) Action Pour Les Enfants (APLE) wurden 115 Ausländer zwischen 2003 und 2014 wegen sexueller Verbrechen an Kindern verurteilt. Aktuell wurde ein Brite im Februar zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht befand ihn für schuldig, vier Jungen unter 15 Jahren in seinem Café in der Stadt Battambang sexuell missbraucht zu haben. Bei der Recherche für diesen Artikel Anfang März lief ein Verfahren gegen einen britischen Touristen, der vier Mädchen zwischen sieben und elf Jahren in Phnom Penh missbraucht haben soll, und ein weiteres Verfahren gegen einen US-amerikanischen Lehrer einer Privatschule in der Hauptstadt. Ihm wird vorgeworfen, sich an vier kambodschanischen Jungen zwischen fünf und 11 Jahren vergangen zu haben.

2014 kündigte das Arbeitsministerium neue Richtlinien zum Schutz von Sexarbeiterinnen und anderen Beschäftigten in Unterhaltungsbetrieben an. Laut Cambodia Daily will Minister Ith Sam Heng unter anderem die Bereiche Arbeitsbedingungen, Sicherheit, Gesundheit und Zugang zu HIV-Behandlung neu regeln. Die Zeitung zitiert ihn mit den Worten, Mitarbeiter dieser „florierenden“ Branche würden erstmals gesetzlich geschützt. Anfangs soll die Einhaltung der Regeln freiwillig sein. Die Regierung plane aber, zu einem späteren Zeitpunkt Strafen einzuführen.


Mehr Jungen als Mädchen

Viele Kinderprostituierte sind Straßenkinder und daher besonders schutzlos. Mehrere lokale NGOs setzen sich für sie ein. APLE arbeitet nach eigenen Angaben seit 2003 daran, Kinder besser vor sexueller Ausbeutung durch Touristen zu schützen. Die NGO betreibt eine Hotline, unter der Missbrauch anonym gemeldet werden kann. Außerdem bietet APLE Opfern recht­lichen und sozialen Beistand und macht auf das Thema in der Öffentlichkeit aufmerksam.

Die NGO hat mehr mit Jungen als mit Mädchen zu tun. Der Grund liegt in ihrem Fokus auf Straßenprostitution, von der vor allem Jungen betroffen sind. Ausländische Täter halten laut APLE aktiv nach Jungen Ausschau, während Mädchen eher in Etablissements und von Gelegenheitstätern missbraucht würden.

Das 1995 gegründete zivilgesellschaftliche Netzwerk ECPAT Cambodia (End Child Prostitution, Abuse and Trafficking in Cambodia) mit 26 Mitgliedsorganisationen führt regelmäßig Workshops durch, um für den Missbrauch von Kindern im Tourismus zu sensibilisieren. An der jüngsten Veranstaltung im Januar in Zusammenarbeit mit dem Tourismusministerium nahmen Vertreter von 28 Unternehmen aus der Branche teil. ECPAT versucht Hotels und andere Anbieter davon zu überzeugen, einen Verhaltenskodex zum Schutz von Kindern einzuführen.

Die meisten Kambodschaner schämen sich für das Image ihres Landes als Sextourismusziel. Ändern wird es sich aber nur, wenn alle Beteiligten sich gemeinsam dafür einsetzen.

 

Katja Dombrowski ist Redakteurin von E+Z/D+C. Sie hat von 2004 bis 2007 in Kambodscha gelebt.
euz.editor@fs-medien.de


Links:
UNODC: Transnational organized crime in East Asia and the Pacific.
http://www.unodc.org/documents/data-and-analysis/Studies/TOCTA_EAP_web.pdf
U.S. Department of State: Trafficking in Persons Report 2014.
http://www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/2014/?utm_source=NEW+RESOURCE:+Trafficking+in+Persons+R

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.