Interview

„Es ist ein großes Spiel“

Ghana bekommt seit Jahrzehnten Entwicklungshilfe, aber die Unterstützung aus Europa hat weder geholfen, unabhängige Institutionen zu schaffen, noch die regionale Integration voranzubringen. Das sagt Vladimir Antwi-Danso von der University of Ghana im Interview mit Hans Dembowski.
Obstverkäuferin in Accra: Agrarrohstoffe sind Säulen der ghanaischen Wirtschaft. dem Obstverkäuferin in Accra: Agrarrohstoffe sind Säulen der ghanaischen Wirtschaft.

Ghanas Pro-Kopf-Einkommen hat sich in zwei Jahrzehnten verdreifacht. Sie hatten auch mehrere freie Wahlen und friedliche Regierungswechsel. Ghana ist also erfolgreich?
Im Vergleich zu vielen afrikanischen Nachbarn ja, und der Lebensstandard vieler Menschen ist auch gestiegen. Aber echter Erfolg ist mehr, als besser als andere abzuschneiden. Er muss von Dauer sein, und ich zweifele, ob das gelingt.

Warum tun Sie das?
Es gibt mehrere Probleme. Meine größte politische Sorge ist, dass die Institutionen des ghanaischen Staats nicht ausreichend unabhängig sind. Ihre Spitzenleute sind vom Präsidenten ernannt und akzeptieren seine Führung. Alles ist politisiert. Korruption und Patronage sind normal. Sogar Kriminalität hat heute politische Dimensionen. Um die Demokratie zu stärken, bräuchten wir ein System von „Checks and Balances“. Dass es daran hapert, hat ökonomische Konsequenzen. Zu viele Firmen hängen vom Staat ab, so dass Klientelismus den Wettbewerb aushöhlt. Also ist der Privatsektor schwächer als er sein sollte. Das Ausmaß von Armut, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung  ist schlimm. Es stimmt, dass die vergangenen Jahrzehnte gut waren, aber ich denke nicht, dass Ghana eine ernste Krise verkraften kann.  

Weshalb waren die vergangenen Jahrzehnte gut?
Die Weltmarktnachfrage war günstig. Die Rohstoffpreise waren hoch; Ghana hat von der Ausfuhr von Gold, Kakao, Ananas und so weiter profitiert. Mittlerweile fallen die Preise aber, was kein gutes Zeichen ist. Wir bräuchten jetzt eine intelligentere Wirtschaftspolitik.

Hat Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) von der EU beispielsweise etwas gebracht?
Ja, sie hat es ermöglicht, Kapazitäten und Infrastruktur zu entwickeln und die Staatsausgaben zu erhöhen. Viele Institutionen haben davon profitiert, vom Parlament über die Wahlkommission bis hin zu diversen Thinktanks. EU-Mittel haben dazu beigetragen, dass unsere Wirtschaft gewachsen ist – und das gilt ebenso für Geld von individuellen Geberländern und multilateralen Institutionen.  Aber es gäbe immer noch viel zu tun, unsere Stromversorgung ist beispielsweise nicht zuverlässig.   

Sie sagen, die öffentlichen Institutionen sind nicht so stark und unabhängig, wie sie sein sollten. Der Aufbau von Institutionen ist aber ein Ziel, auf das die EU Wert legt.
Ja, es ist Geld in Institutionen geflossen, wie zum Beispiel die Polizei oder die Justiz. Es reicht aber nicht, Personal einzustellen, auszubilden und in Büros unterzubringen. Die große Herausforderung ist, dass diese Institutionen so selbstständig werden müssen, dass sie nicht mehr auf informelle Anweisungen des Präsidenten warten. In Ghana wird politische Macht kaum kontrolliert.

Ein Ziel der Budgethilfe, die die EU, ihre Mitgliedsländer und andere Geber leisten, ist, den Staat zu modernisieren. Dabei einigen sich Geber und Regierung auf ein Reformprogramm. Das hat also keine moderne Behörden entstehen lassen. 
Nein, das ist nicht gelungen, jedenfalls nicht im Sinn der Korruptionsbekämpfung. Ich habe den Eindruck, dass es unter dem früheren Präsidenten John Kufuor etwas besser lief, aber jetzt ist das gesamte Institutionengeflecht politisiert. Es gibt verfassungswidriges Verhalten – und das sieht auch die EU. Sie hat kürzlich die Auszahlung von 130 Millionen Euro Budgethilfe wegen eines Korruptionsfalls gestoppt.

Ich habe von Beamten in Europa erfahren, dass makroökonomische Bedenken der Grund für die Einbehaltung der Budgethilfe in den vergangenen beiden Jahren war.
Das ist möglich, aber das bedeutet, dass die EU sich über die Regierungsführung Sorgen macht. Schlechte makroökonomische Daten und Korruption haben miteinander zu tun. Wenn die Regierung nicht sauber ist, ist ihr Budget das auch nicht – zu Lasten der makroökonmische Rahmenbedingungen. In Ghana ist mangelnde Haushaltsdisziplin die Ursache, und das liegt vor allem an Korruption.

Verfolgen die EU und ihre Mitglieder eine gemeinsame Strategie zur Unterstützung Ghanas oder verfolgen sie eigene Interessen?
Sie reden ähnlich, und es gibt auch Abstimmungen. Andererseits hat jede Regierung Eigeninteressen, und im Lauf der Jahre haben unsere Spitzenpolitiker mit der EU und den einzelnen Gebern Geschäfte gemacht. Es ist ein großes Spiel, und jeder Teilnehmer versucht die anderen zu spalten, um ans Ziel zu kommen. Die Geberregierungen wollen Entwicklung, aber sie wollen auch, dass ihre Länder – und vor allem die Unternehmen aus ihren Ländern – von unserer Entwicklung etwas haben. Das britische Königreich und die USA, die natürlich nicht zur EU gehören, verstehen sich in der Entwicklungspolitik gut, aber die Briten waren enttäuscht, als neulich der US-Konzern General Electric einen großen Infrastrukturauftrag bekam. Es ist doch klar, dass afrikanische Regierungen den Wettbewerb zwischen den Gebern ausnutzen.

Die EU will auch regionale Integration in Afrika fördern. Ist das gelungen?
Regionale Integration ist eine schwierige Aufgabe, weil es so viele verschiedene zwischenstaatliche Organisationen gibt. Es ist wie eine Spaghetti-Schüssel. In Westafrika haben wir die Economic Community of West African States (ECOWAS), deren frankofone Mitglieder aber zugleich die Union Économique et Monétaire Ouest Africaine (UEMOA) bilden. Sie verwenden den CFA Franc, der früher an den französischen Franc und jetzt an den Euro gekoppelt ist. ECOWAS und UEMOA verfolgen nicht immer dieselbe Politik, aber die EU unterstützt wegen Frankreich tendenziell UEMOA gegen ECOWAS. Es scheint das Verständnis dafür zu fehlen, welche der beiden Organisationen wichtiger ist.

London und Paris pflegen enge Beziehungen zu ehemaligen Kolonien. Behindert eine Art postkolonialer Konkurrenz zwischen ihnen die regionale Integration in West Afrika?  
So ist es, wobei die Briten mittlerweile aufgeschlossener geworden sind, die Franzosen aber nicht.  

Vermutlich fürchten UEMOA-Mitglieder, dass Nigeria mit seiner riesigen Bevölkerung und großen Wirtschaftskraft zu dominant wird. Ist das nicht berechtigt?  
Die Sorge teilen alle, nicht nur die UEMOA-Mitglieder. Sie wäre aber nicht nötig, wenn ECOWAS sich stärker integrieren würde. Es geht um handelsinduzierte Integration, und dafür müssen die Mitglieder Handelshemmnisse beseitigen und Institutionen schaffen, die kompetent gemeinsame Regeln durchsetzen. Es gibt in Westafrika aber viele Handelshemmnisse. Relevant ist zum Beispiel, dass  

  • Waren, Menschen und Kapital sich nicht frei über Grenzen bewegen können,   
  • die Regierungen miteinander konkurrieren anstatt zu kooperieren,  
  • die Infrastruktur nicht ausreicht und
  • die Volkswirtschaften der Mitgliedsländer auf Handel mit nördlichen Partnern ausgerichtet sind anstatt auf Handel miteinander.   

Die EU hat kürzlich nach fast anderthalb jahrzehntelangen Verhandlungen ein Economic Partnership Agreement (EPA) mit ECOWAS abgeschlossen. Wird es regionale Integration vorantreiben?
Nein, es schafft sogar neue Hürden. Laut UN-Definition sind zwölf der 15 ECOWAS-Länder Least Developed Countries. Ihnen gewährt die EU für alle Produkte außer Waffen freien Marktzugang. Sie bräuchten also gar kein EPA. Sie sind jetzt aber wegen Ghana, Cote d’Ivoire und Nigeria, drei höher entwickelten Ländern mit jeweils spezifischen Interessen, involviert. Das EPA läuft für alle afrikanischen Ländern und besonders die am wenigsten entwickelten auf geringeren wirtschaftspolitischen Gestaltungsraum hinaus. Außerdem signalisiert sein Inkrafttreten, dass es keine Integration mehr im Rahmen der gesamten AKP-Gruppe von Ländern aus Afrika, Karibik und Pazifik mit besonderen Bindungen an die EU geben wird.   

Aber das EPA garantiert doch allen ECOWAS-Ländern denselben Status als Least Developed Country und erlaubt den afrikanischen Partnern noch über viele Jahre hinweg Marktschutz. Es sollte also keine Probleme geben.
Das Abkommen ist ein sehr langes Rechtsdokument. Es enthält alle möglichen Regeln. Der bürokratische Aufwand ist für sich genommen schon beachtlich, und der komplette Text wurde noch nicht veröffentlicht. Es ist sehr schwer abzuschätzen, was das EPA wirklich bewirken wird.

Wird es denn die Entwicklung Ghanas vorantreiben?
Ich glaube das nicht. Wir sind immer noch Rohstoffproduzenten und können mit der verarbeitenden Industrie der EU nicht konkurrieren. Die Welthandelsorganisation sieht Differenzierung und Diskriminierung vor, um Entwicklung zu fördern. Das fehlt im EPA. Ich bezweifele, dass Ghana ein starkes verarbeitendes Gewerbe wird aufbauen können. Wir werden weder auf die Schnelle alle möglichen Standards erfüllen, noch mit europäischen Unternehmen konkurrieren können. Über das EPA ist lange diskutiert worden – jetzt werden wir sehen, was es in der Praxis bringt.


Vladimir Antwi-Danso ist ein Senior Research Fellow am Legon Centre for International Affairs and Diplomacy (LECIAD) der University of Ghana.
vladanso@yahoo.com

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