Lebenslanges Lernen

Virtuelle Fortsetzung

Im Alltag verpufft die Wirkung von journalistischen Fortbildungskursen oft. Seminare sind zu kurz, um neu Erlerntes zu Routine werden zu lassen. Veranstalter sollten deshalb mit E-Learning-Angeboten im Anschluss an Präsenzveranstaltungen die Zusammenarbeit von Trainern und Teilnehmern verstetigen. Von Werner Eggert
Das Wesentliche nicht verpassen: Pressekonferenz in Nairobi 2010. Dembowski Das Wesentliche nicht verpassen: Pressekonferenz in Nairobi 2010.

Vor fast 20 Jahren arbeitete ich als Trainer und Berater bei der Namibian Broadcasting Corporation (NBC) in Windhuk. Das war kurz nach der Unabhängigkeit des Landes und dem Ende der Apartheid. Mit internationaler Hilfe sollte der staatliche Rundfunk des alten Regimes in einen öffentlich-rechtlichen Sender für das demokratische Namibia umgebaut werden. Neues Personal in den Redaktionen und der Verwaltung sollte die alten Propagandisten ersetzen.

Zu dem Zweck holte die NBC-Leitung Berater in den Sender. Sie schickte Ressortleiter und Redakteure auf Fortbildungen nach Europa und Nordamerika. Obendrein veranstalteten diverse Geberinstitutionen Medienworkshops in der Hauptstadt Windhuk und sogar im Sender selbst. Die Hoffnung war, dass die jungen schwarzen Journalisten mit frischen Einsichten und neuen Fähigkeiten aus der Fortbildung zurückkämen. Stück für Stück sollte so eine demokratische und unabhängige Medienlandschaft entstehen.  

Die Fortbildungen waren bei den Journalisten beliebt. Zu manchen Zeiten war das Personal im Newsroom so stark ausgedünnt, dass der Sendebetrieb gefährdet war. Zunächst dachte ich, das sei mit Blick auf die zu erwartende positive Wirkung vor­übergehend hinzunehmen.
Die große Frage

Nach einer Weile wurde mir aber klar, dass das nicht stimmte. Die Redakteure kehrten zwar stolz mit ihren Abschlusszertifikaten an den Schreibtisch zurück; die Qualität ihrer Arbeit stieg aber nicht nennenswert. Wie zuvor waren Nachrichten und Berichte voller handwerklicher Unzulänglichkeiten und auch Fehler. Warum nur?

Diese wichtige Frage treibt mich immer noch um. Denn nach wie vor wird viel Geld dafür auszugeben, Journalisten aus Entwicklungsländern in internationalen Seminaren und Workshops zu schulen. Und wie damals in Namibia gibt es weiterhin eine Vielzahl von Gründen dafür, dass die Ergebnisse im Verhältnis zum Aufwand zu wünschen übrig lassen:

  •  Manche Fortbildungsangebote sind schlecht.
  •  Manchmal werden Redakteure auf Seminare geschickt, deren Themen mit ihrer Alltagsarbeit wenig zu tun haben.
  •  Manchmal interessieren sich die Fortbildungsteilnehmer auch gar nicht für das Lehrangebot, sondern sie wollen einfach nur mal raus aus dem Alltagstrott und dabei auch noch Tagegelder kassieren.

 Oft kommen fortgebildete Kollegen aber auch hochmotiviert zurück und scheitern an ihren Vorgesetzten, die sie – aus Gewohnheit, aus politischer Rücksichtnahme oder aus anderen  Gründen – die neuen Ideen nicht umsetzen lassen.

Letzteres ist umso wahrscheinlicher, als viele Fortbildungsanbieter es vernachlässigen, den Transfer des Neugelernten in den Arbeitsalltag vorzubereiten. Dafür böte E-Learning neue Chancen, die noch viel zu wenig genutzt werden.   

Grundsätzlich machen sich die Veranstalter zu wenig Gedanken über die Wirkung ihrer Fortbildungen. Für sie ist eine Schulung erfolgreich verlaufen, wenn das Feedback der Teilnehmer am Ende positiv ist. Damit ist das Programm aus ihrer Sicht dann auch abgeschlossen. Die Veranstalter lassen die Teilnehmer mit der Aufgabe allein, in der Heimatredaktion die Alltagsroutinen zu modernisieren und das neue Wissen zu nutzen. Das ist aber eine schwierige Aufgabe, die viele Journalisten überfordert.


Viele Veranstalter haben aus der mangelnden Effizienz der internationalen Fortbildungskurse den Schluss gezogen, verstärkt innerbetriebliche Beratungen und On-the-job-Trainings anzubieten. Das ist auch sinnvoll. Allerdings haben überbetriebliche Workshops einen Wert an sich – und das gilt für internationale Kurse besonders. Sie führen Teilnehmer mit unterschiedlichen Erfahrungen zusammen und tragen zum Aufbau eines Netzwerks bei, das sich gemeinsamen professionellen Standards und Werten verpflichtet fühlt.

Wer internationale Kurse um eine E-Learning-Komponente ergänzt („blended“ oder „hybrid“ Learn­ing genannt), macht den Transfer des Gelernten wahrscheinlicher. Der Lernprozess beginnt im Workshop und wird dann später zu Hause und am individuellen Arbeitsplatz online fortgesetzt.

Neue journalistische Fertigkeiten und neues journalistisches Wissen (skills and knowledge) werden oftmals – wie in vielen anderen Sektoren auch – in drei Schritten vermittelt. Zunächst geben die Trainier einen Input. Dann wenden die Teilnehmer diese neuen Anregungen und Kenntnisse in einer Übung an. Im dritten Schritt erhalten sie dann auf ihre Arbeit eine Rückmeldung. Sie erfahren, was sie gut gemacht haben und was sie verbessern könnten.   


Zeitnot

In reinen Präsenz-Workshops fehlt in der Regel die Zeit, diese Übungen und das Feedback mehrmals zu wiederholen. Zeit ist knapp; Zeit ist Geld. Wenn die Teilnehmer das Gelernte später im Job anwenden wollen, merken sie, dass sie die neuen Techniken noch nicht routiniert genug beherrschen.

E-Learning ist hier eine wertvolle Möglichkeit. Denn mittels Internet können sich Teilnehmer und Trainer nach Workshop-Ende immer wieder kurzschließen. Wenn die Trainer mit individuellen Ratschlägen weiter zur Verfügung stehen, steigern sie die Wirkung ihres Kurses.

Diese Art von Rückkopplung ist wichtig, wenn ein Kursteilnehmer beispielsweise bei der Anwendung eines neues Computertools vergessen hat, welche Klicks in welcher Reihenfolge nötig sind. Sie ist aber auch nützlich, wenn ein Journalist eine Recherche strategisch konzipieren oder auch nur ein Interview systematisch vorbereiten will. E-Learning kann sogar bei medienethischen Dinge relevant sein. Nach der Diskussion einer Fragestellung im Präsenzseminar können die Teilnehmer zu Hause ähnlich gelagerte Fälle recherchieren und dann online zur Diskussion stellen.


E-Learning ist ein sehr weiter Begriff und kann vieles bedeuten: vom elektronischen Versand von Texten über Massive Open Online Courses (MOOCs) hin zu voll automatisierten Selbstlernmodulen. Es herrscht Aufbruchsstimmung in der Branche, und die Vielzahl der Angebote und Lernplattformen ist schwer zu überschauen (siehe Kasten, S.  27). Um die Qualität von Workshops zu steigern und die Nachhaltigkeit des Gelernten zu sichern, sind aber maßgeschneiderte Angebote nötig. Der reale Seminarraum bekommt eine virtuelle Fortsetzung, und die Teilnehmergruppe bleibt identisch. Das schafft im virtuellen Raum eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre.   


Kontinuität der Beziehungen

Wer seine Kollegen persönlich kennt und bereits gute Erfahrung mit konstruktiver wechselseitiger Kritik gemacht hat, stellt seine Arbeitsergebnisse ohne Scheu online. Wer die anderen Teilnehmer kennt, äußert sein Feedback auch einfühlsamer. Und wer mit der Gruppe vertraut ist, reagiert offener auf Anregungen. Die Kontinuität der Beziehungen ist wichtig.     

Relevant ist zudem Interaktivität. Der entscheidende Vorteil von E-Learning ist, dass Trainer und Trainees sich austauschen können. Sie führen das fachliche Gespräch auch nach der Präsenzphase weiter. Das ist lebendig und macht Spaß. Online profitieren alle Teilnehmer von eingereichten Arbeitsergebnissen und den darauf gegebenen Feedbacks.  

Für den Erfolg kommt es weniger darauf an, welche digitale Plattform genutzt wird, als darauf, dass Trainer motiviert und kompetent mit ihr umgehen. Wenn Trainer die E-Learning-Phase lediglich als lästigen Anhang begreifen und halbherzig bei der Sache sind, werden sich die Teilnehmer online ebenfalls nur eingeschränkt engagieren. Die Trainer müssen den gesamten Blended-Learning-Block mit seinen Präsenz- und Onlinephasen als untrennbares Ganzes konzipieren.

Folglich sind E-Learning-Komponenten aufwendig. Sie erfordern Aufmerksamkeit und Trainerstunden, also Zeit und Geld. Wenn eins von beidem zu kurz kommt, können die Ergebnisse des Präsenzseminars nicht digital verstetigt werden. Blended-Learning-Kurse sind also nicht billiger als konventionelle Fortbildungskonzepte. Sie sind aber wirksamer.

Es kommt auf die Qualität der Feedbacks an. Schon in der Präsenzphase im Schulungsraum heißt es für die Trainer, den Teilnehmern einfühlsam und dennoch genau und ehrlich eine Rückmeldung zu geben. Das gilt noch stärker für Feedbacks auf einer Lernplattform. Denn deren Nachteil ist, dass der Trainer nicht spontan auf die Teilnehmer reagieren kann. Er sieht nicht, wenn einem Teilnehmer eine Kritik nahegeht oder sogar Tränen fließen, und er kann nicht spontan gegensteuern. Das ist der Nachteil des zeitversetzten Unterrichts. Gerade wenn die Feedbacks für alle Kursteilnehmer sichtbar sind, ist also größte Sensibilität geboten.  

Der Prozess von Übungsaufgabe und Feedback kann noch mehrfach durchlaufen werden. Und die Teilnehmer können die Aufgaben am eigenen Computer lösen und das zudem zeitlich mit ihren anderen beruflichen und privaten Verpflichtungen vereinbaren. E-Learning erlaubt lernen zur eigenen Zeit am eigenen Ort. Das versöhnt die vielen anderen Verpflichtungen gegenüber Familie und Arbeitgeber mit dem Wunsch nach Fortbildung.

Entscheidend ist aber, mit dem E-Learning den Präsenzworkshop fortzusetzen und das Erarbeitete zu verstetigen und zur Alltagsroutine zu machen. Wer sich einen Monat mit einer Materie beschäftigt und nicht nur eine Woche, wird sie besser beherrschen.

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