Konfliktforschung

Ins Feld gehen

Konflikte und organisierte Gewalt nehmen neue Formen an. Krieg zu verstehen wird durch zunehmende Komplexität immer schwieriger. Die Forschung sollte deshalb bestehende Annahmen überdenken und anpassen. Feldforschung bietet eine solide Grundlage für eine erfolg­versprechendere Friedenspolitik.
Friedenssicherung wird immer komplexer: Abgesperrtes Radiogebäude in Kabul, Afghanistan. Mohammad Ali Friedenssicherung wird immer komplexer: Abgesperrtes Radiogebäude in Kabul, Afghanistan.

Technologische Innovation und komplexe globale Trends verändern den Charakter von Konflikten und Gewaltausbrüchen. Milizen und Selbstverteidigungsgruppen scheinen so radikal wie nie zuvor und verbinden sich zunehmend mit Terrororganisationen. Ihre politischen Forderungen sind nicht immer eindeutig. Friedenssichernde Maßnahmen wurden von störenden Gruppen behindert, die nicht in Friedensabkommen einbezogen wurden. „Unsere Arbeit wird immer schwieriger“, sagt Simon Yazqi von der UN-Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze.

Diesen Herausforderungen müssen sich auch Forscher stellen. Conrad Schetter vom Bonn International Center for Conversion (BICC) betont, dass eine klare Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden in vielen Ländern nicht mehr möglich sei. Auf einer Konferenz von BICC Ende Oktober räumte Schetter ein, dass die Forschung heute nur über „begrenzte Fähigkeiten zur Bewältigung und Kategori­sierung von Gewalt“ verfüge. Sein BICC-Kollege Herbert Wulf fordert überdies eine neue Forschungsagenda, die sich mit den grundlegenden Ursachen von Gewaltbildung befasst.

Wissenschaftler greifen allzu oft auf reine Statistiken über Waffenverteilung und Abrüstungsmaßnahmen zurück, warnt Sami Faltas von der Universität Groningen, obwohl Waffen nicht immer zwangsläufig mit Gewalt verbunden seien. Waffen sind Symbole von Macht, Geld, Nahrung, Erwachsensein und Männlichkeit. Seiner Ansicht nach sei es irreführend, die Anzahl beschlagnahmter Waffen mit potenziell geretteten Leben gleichzusetzen. Es schmälere die Verantwortung, „wenn die Waffe anstelle des Schützen beschuldigt wird“, argumentiert er. Feldforschung könne dazu beitragen, Annahmen, die nicht der Realität entsprechen, zu vermeiden.

Laut Benedikt Korf von der Universität Zürich ist die Vorhersage sogenannter Klimakriege ein Beispiel für einen realitätsfernen Ansatz in der Konfliktforschung. Mit diesen Klimakriegen hat sich das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in seinem jüngsten Bericht befasst. Korf betont, dass der Mangel an Wasser oder Nahrung nicht automatisch zu Gewalt führe. Feldforschung habe ­gezeigt, dass Konflikte in soziale Beziehungen eingebettet sind. Wenn Konflikte nicht friedlich gelöst werden können, bedeute dies, dass das bestehende soziale Gefüge auseinanderbricht, fügt Korf hinzu. Gründe dafür könnten geopolitische oder wirtschaftliche Veränderungen sein.

Die internationale Wahrnehmung von Konflikten ist von zentraler Bedeutung. William Reno von der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois spricht von einer „legitimierenden Geschichte“, die das Handeln der Akteure rechtfertigt oder auch nicht rechtfertigt. Diese Legitimationsgeschichte beeinflusst Kriegsführung und -ziele sowie die materielle und politische Unterstützung für die Kämpfer. In den vergangenen Jahrzehnten ist in den internationalen Legitimationsgeschichten der Begriff des Befreiungskriegs gegen den verbrecherischen Krieg ausgetauscht worden. Dies habe internationalen Interventionen einen neutralen Charakter verliehen, erklärt Reno. Er warnt, dass Legitimationsgeschichten machtvolle Instrumente derer sein können, die sie erzeugen. Diese Geschichten seien nie neutral und dienten immer einem bestimmten Interesse. Deshalb sollte die Forschung diese berücksichtigen, betont Korf. Die Legitimations­geschichten haben auch Einfluss auf politische Entscheidungen. „Friedensstrategien müssen den Kontext von Konflikt und Gewalt sowie von Chancen und Risiken berücksichtigen“, meint Owen Greene von der University of Bradford. Gründliche und unvoreingenommene Analysen seien notwendig.

Laut der Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Svenja Schulze, muss sich Entwicklungspolitik angesichts grenzüberschreitenden Terrorismus neuen Herausforderungen stellen. Dem stimmt Jakob Rhyner von der United Nations University (UNU) zu – und betont, dass Gewalt unbedingt in Schach gehalten werden muss, um eine nachhaltige Entwicklung erreichen zu können.

Floreana Miesen

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