Beschäftigung

Radikalismus ist nicht immer falsch

Afrikas Jugend braucht Jobs. Die strukturellen Gründe von Arbeitslosigkeit müssen angegangen werden.
WAVE schafft Perspektiven in Lagos. Screenshot: https://waveacademies.org/ WAVE schafft Perspektiven in Lagos.

Fähigkeiten sind wichtiger als Klassenzimmer, und Kompetenz ist wichtiger als Zeugnisse. Das sollte in Afrika generell beherzigt werden, findet Misan Rewane, die in Lagos die Initiative WAVE (West Africa Vocational Education) leitet. Sie hilft jungen Arbeitslosen, Jobs zu finden. Wie Rewane erläutert, muss ihnen klar werden, was sie schon können müssen, was sie schon können und was sie noch lernen können. Selbst kurze Zwei-Wochen-Kurse ließen sie neue Perspektiven finden, weil ihnen oft gar nicht klar sei, wozu sie in der Lage seien.

Die junge Frau legt zugleich Wert darauf, potenziellen Arbeitgebern bewusstzumachen, auf welche Kompetenzen es wirklich ankommt. Sie müssten lernen, besser anzuheuern.

Rewane beklagt, in Nigeria gebe es keinen Austausch zwischen Bildungswesen und Arbeitgebern. Personalmanager legten zu viel Wert auf formale Abschlüsse. Diese seien aber häufig gekauft und spiegelten nicht den wirklichen Kenntnisstand von Bewerbern wider.

Laut Rewane sind viele Schulabbrecher in der Lage, Einstiegsjobs zu übernehmen und später beruflich aufzusteigen. Teilweise bildeten Unternehmen auch aus, aber oft sorgten Arbeitgeber sich, ihre Leute würden sich abwerben lassen, sobald sie über marktrelevante Fähigkeit verfügten. Rewanes Standardantwort darauf ist: „Und was ist, wenn Sie nicht ausbilden und die Leute bleiben?“

Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit sind in Afrika außerhalb Nigerias schnell wachsender Wirtschaftsmetropole Lagos erst recht bekannt. Die Probleme sind systemisch und im abgelegenen ländlichen Raum besonders ausgeprägt. Fast zwei Drittel der Bevölkerung des Kontinents sind jünger als 25. Rund ein Drittel aller jungen Menschen wird Schätzungen zufolge 2100 in Afrika leben. Gute Arbeitsplätze werden dringend gebraucht.

Charles Vincent Dan von der International Labour Organization (ILO) weiß darüber Bescheid. Schon heute sei Migration „ein Symptom mangelnder Chancen“. Er benennt vier Kernprobleme:

  • den Mangel an guten Jobs,
  • den Mangel an guter Ausbildung,
  • den Mangel an sozialer Sicherung und
  • die Benachteiligung von Frauen, weil beispielsweise vier von zehn Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag heirateten.

Aus Dans Sicht muss die Politik dafür sorgen, dass die Privatwirtschaft Arbeitsplätze schafft. Landwirtschaft und Technologie seien besonders wichtig – weil in Ersterer viele Menschen ihr Einkommen erwirtschaften und weil Letztere droht, durch Automatisierung viele Arbeitsplätze zu vernichten.

Bei einer Tagung der Stiftung Frieden und Entwicklung (sef) in Potsdam sagte Dan Anfang April, Arbeitslosigkeit führe zu Instabilität. Er berief sich auf die Weltbank, der zufolge 40 Prozent aller Jugendlichen, die sich 2011 militanten Organisationen anschlossen, keine Jobs hatten.

sef-Beiratsmitglied Henning Melber urteilt, eine Möglichkeit, militanten Tendenzen vorzubeugen, sei, die politische Teilhabe von Jugendlichen zu verbessern. Deren Teilhabe sei leider alles andere als selbstverständlich.

Tatsächlich sollen junge Leute in von Traditionen geprägten Gesellschaften Älteren möglichst nicht widersprechen. In Somalia zum Beispiel gilt das als „Schande“, wie Ilwad Elman vom Elman Peace and Human Rights Center in Mogadischu ausführt. Religionskritische Argumentation sei kontraproduktiv, und junge Leute müssten angesprochen werden, „bevor sie gewalttätig werden“.

In vielen afrikanischen Ländern versagt aus Sicht von Job Shipululo Amupanda von der African Youth Commission der AU die Politik. Die Führungspersönlichkeiten der Unabhängigkeitsbewegungen hätten sich einfach „in dasselbe Bett“ gelegt, das Kolonialherren und rassistische Machthaber zurückgelassen hätten (siehe auch Artikel von Henning Melber in E+Z/D+C e-Paper 2017/02).

Amupanda beklagt, afrikanische Politiker hätten Jugendthemen immer für zweitrangig gehalten. Mit Blick auf den arabischen Frühling oder den Sturz von Blaise Compaoré, der Burkina Faso von 1987 bis 2014 autoritär regierte, sagt er, jugendlicher Radikalismus sei nicht immer falsch. Nichts ändere sich, „wenn wir nicht protestieren und Diktatoren stürzen“.

 

 

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