Ländliche Entwicklung

Informelle Energieversorgung

Nach wie vor haben viele Menschen in ländlichen Gegenden in Entwicklungsländern keinen Zugang zu Elektrizität. Erneuerbare Energieträger bieten sich an, denn sie erfordern weder aufwändige Infrastruktur noch ein landesweites Stromnetz. In vielerlei Hinsicht entsprechen sie den Lebensgewohnheiten dörflicher Gemeinschaften.


Von Johannes Fischbeck

1,5 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu moderner Energieversorgung: kein helles Licht, keine saubere Kochenergie, keine Geräte zur Arbeitserleichterung und häufig auch keine Massenkommunikationsmittel. Von ihnen leben 85 Prozent in isolierten, ländlichen Gegenden. Man nennt sie auch RRAs (für Remote Rural Areas). Angeschlossen an das Elektrizitätsnetz sind in Lateinamerika nur 30 Prozent der Dörfer, in Asien nur 20 Prozent und in Afrika sogar nur fünf Prozent. Laut der International Energy Agency (IEA) wird sich die Zahl der Menschen ohne Stromanschluss bis 2030 nur um 200 Millionen verringern und in Afrika aufgrund des Bevölkerungswachstums sogar steigen.

Bisher nutzen diese Dörfer vor allem Holz und Kohle zur Energieerzeugung. Massive Abholzung ist eine Folge des steigenden Energiebedarfs wachsender Bevölkerungen. Das verursacht Bodenerosion, schadet dem Wasserhaushalt und verändert das regionale Klima. Rauch, der bei der Nutzung von Feuerholz und Holzkohle auf primitiven Herden entsteht, wird von der WHO zudem als weltweit vierthäufigste Todesursache eingeschätzt.

Energie für die Wirtschaft

Dass die Unterversorgung mit Energie Entwicklung hemmt, ist in den RRAs, wo besonders viele arme Menschen leben, deutlich zu spüren (siehe Kasten). Effiziente Energieversorgung würde ihre wirtschaftliche Produktivität steigern. Es gäbe mehr Arbeitskraft und Land, wenn die Bewohner kein Feuerholz mehr sammeln müssten. Durch künstliche Beleuchtung wären längere Arbeitstage möglich, man könnte Wasserpumpen betreiben und die Produktion mechanisieren. Der Einsatz von Massenkommunikationsmitteln würde lokale Märkte wachsen lassen.

Um die Energieversorgung zu verbessern, eignen sich erneuerbare Energieträger besonders gut: Solarenergie und Biomasse sind fast überall verfügbar und lassen sich dezentral einsetzen. Die Systeme, die auf erneuerbaren Energiequellen beruhen (EE-Systeme), brauchen keine aufwändige Infrastruktur und können in Form kleiner Inselsysteme eingesetzt werden. Für den Energiebedarf und die Rahmenbedingungen in RRAs geeignet sind zum Beispiel „verbesserte Herde“, Biogasanlagen und Photovoltaik-Systeme.
– Am meisten Energie wird zum Kochen gebraucht. Verbesserte Herde als einfachste und billigste Technologie nutzen Holz oder Kohle, brauchen aber durch thermische Isolierung 70 bis 80 Prozent weniger Brennmaterial. Rauchabzüge vermindern die Emissionsbelastung.
– Biogasanlagen können vielseitig eingesetzt und aus lokalen Materialien hergestellt werden. Sie lassen aus organischen Abfällen unter anaeroben Bedingungen ein Methangasgemisch entstehen, das man für Gaskocher und -lampen oder zur Stromerzeugung mit modifizierten Dieselgeneratoren verwenden kann.
– Photovoltaik-Systeme wandeln Sonnenstrahlung direkt in Elektrizität um. Bei Inselsystemen wird die aufgenommene Energie mit einem Akkumulator zwischengespeichert, um eine gleichmäßige Stromversorgung zu ermöglichen. Kleinere Anlagen (Solar Home Systeme) dienen eher dazu, einzelne Haushalte zu versorgen.

Um eine breite Nutzung von EE-Systemen in RRAs zu erreichen, müssen diese für die Nutzer profitabel sein. Sie müssen in Vertrieb, Produktdesign und Preisgefüge an die Wirtschaftsstrukturen in RRAs angepasst werden.

Erwerbsstrategien der Armen

Auf dem Land verdienen viele Menschen ihr Geld in der Landwirtschaft oder mit kleinen, informellen Gewerben. Strategien zur Bekämpfung der Massenarmut in RRAs müssen hier ansetzen. Sinnvoll ist zum Beispiel die Entwicklungsstrategie der so genannten „klein-gewerblichen Diversifikation der Lebensgrundlage“ (Bird/Hulme 2003). Wenn Menschen ihr Gewerbe diversifizieren und etwa neben dem Feldanbau noch andere Einkommensquellen haben, können sie stufenweise aus der Armut herauskommen.

Entwicklungsprogramme können dabei helfen, die Produktion der Haushalte um nicht-agrarische Tätigkeiten zu erweitern. Mit der Zeit spezialisieren sich die ehemaligen Bauern dann auf die neue Tätigkeit. Ihre agrarische Einkommensquelle sollten sie trotzdem beibehalten, um Risiken im neuen Geschäft kompensieren zu können.

Da der informelle Sektor für den Großteil der ländlichen Bevölkerung die einzige Einkommensquelle ist, darf seine Bedeutung nicht unterschätzt werden. In Tansania zum Beispiel bestreitet der informelle Sektor den größten Teil der Distribution von Waren und Dienstleistungen in ländlichen Gebieten. Dabei werden Grundnahrungsmittel und handwerkliche Güter lokal produziert, der größte Teil der Waren sind jedoch industrielle Fertigprodukte. Der Staat toleriert informelle Kleinunternehmen und sieht sie als Entlastung des Arbeitsmarkts.

Für meine Studie befragte ich 198 informelle Kleinunternehmer in zehn Dörfern der Regionen Arusha und Kilimanjaro in Nord-Tansania (Fischbeck 2008). Von ihnen besaßen 46 Prozent Läden, meist mit einem Angebot von Fertigprodukten. 45 Prozent übten handwerkliche Berufe wie Maurer, Tischler, Schneider oder Fahrradmonteur aus, acht Prozent betrieben Dorfimbisse. Ihre Profite nutzten sie, um ökonomisches Potenzial zu erweitern und Risiken zu streuen, indem sie weitere Einkommensquellen erschlossen. Außer landwirtschaftlichen Nebentätigkeiten, denen 86 Prozent aller Befragten nachgingen, gab es eine Vielzahl weiterer Erwerbsmöglichkeiten. Man nennt dies die „Diversifikationsstrategie der ökonomischen Risikostreuung“ (Ackermann 2001).

Gerade für solche einkommenschaffenden Maßnahmen brauchen die Menschen Energie. Doch die Anschaffungskosten für erneuerbare Energien sind hoch. Photovoltaik-Systeme, Biogasanlagen oder verbesserte Herde sind im Vergleich zu den in den Dörfern verbreiteten herkömmlichen Energie-Systemen – etwa Drei-Steine-Herde, Petroleumlampen, Kerzen und so weiter – teuer. Photovoltaik-Systeme mit 14 bis 120 Watt kosten in Tansania 200 bis 1000 Euro. Eine Biogasanlage mit 6 m³-Fermenter 1350 Euro. Um sie konkurrenzfähig zu machen, müssen die Anfangsinvestitionen gesenkt werden.

Eine Möglichkeit ist die Ratenzahlung. So etwas bietet in Bangladesch das Unternehmen Grameen Shakti (eine ehemalige Tochterfirma der Grameen Bank) ihren Kunden für Solar Home Systeme an. Sie müssen eine Anzahlung von zehn bis 20 Prozent des Gesamtpreises leisten. Die monatlichen Raten entsprechen danach grob den eingesparten Energiekosten. Grundsätzlich sollten sich solche Systeme über Produktivitätssteigerungen selbst refinanzieren können.

Anschluss an die Städte

Es ist schwer, aber nicht unmöglich, die Nutzung erneuerbarer Energien in isolierten Gegenden mit schlechter Infrastruktur voranzubringen. Die Strukturen des informellen Sektors lassen sich aber nutzen. So haben viele Kleinunternehmer in RRAs Zulieferbeziehungen in die Stadt: Sie kaufen dort die Waren für den eigenen Betrieb.

Es genügt, wenn sich Anbieter erneuerbarer Energieversorgungssysteme in Städten ansiedeln und die Beziehungen der Kleinunternehmer nutzen, um den Vertrieb in ländliche Gebiete zu ermöglichen. Sie müssen dann weder für Filialen noch für Lieferwege viel Geld ausgeben.

Die ersten potenziellen Kunden für EE-Systeme sind ländliche Kleinunternehmer, die regelmäßig in die Stadt kommen. Für sie ergeben sich Wettbewerbsvorteile. Ihre Läden wären mit elektrischem Licht weithin sichtbar und sie könnten zum Beispiel Kühlschränke betreiben und somit mehr Waren anbieten.

In einem zweiten Schritt müsste ein Vertriebsnetz aus Kleinunternehmern etabliert werden. Nach der oben beschriebenen Diversifikationsstrategie könnten sie nicht nur ihr bestehendes Gewerbe mit EE-Systemen erweitern, sondern als Vertriebspartner auch ein weiteres Standbein aufbauen. Auch ließen sich andere Berufsgruppen wie Radioreparateure, Maurer oder Fahrradmonteure in das Vertriebsnetz einbinden und als Installations- und Wartungstechniker für EE-Systeme ausbilden.

Langfristig muss der Aufbau sogenannter Mini-Grids das Ziel sein: die Energieversorgung ganzer Dörfer mit einer Photovoltaik- oder Biogasanlage mit ­Generator im Kilowatt-Bereich und einem kleinen Niederspannungs-Elektrizitätsnetz.

Die Investitionen für ein solches Mini-Grid liegen allerdings bei einigen 100 000 Euro. Hier kommen professionelle Anbieter ins Spiel. Erfolgreiche Unternehmer, Unternehmerverbände, Spar- und Investgruppen könnten zu kommunalen Energieversorgern werden, wenn sie an das nötige Kapital kommen.

Wenn EE-Systeme in ländlichen Gegenden erfolgreich sein sollen, müssen sie sich für die Bevölkerung lohnen. Deshalb sollten sie nicht nur effizienter als herkömmliche Energieträger sein, sondern auch anderweitig Gewinn abwerfen. Das muss im Einklang mit der Diversifikationsstrategie der ökonomischen Risikostreuung stehen, die eine Anpassung an die sozioökonomischen Rahmenbedingungen des informellen Sektors ist.

Flankierende Maßnahmen wie die Anpassung der EE-Systeme an lokale Bedingungen, Kredit- beziehungsweise Ratenzahlungen, Capacity Development, Infrastruktur-Entwicklung oder berufliche Weiterbildungen sind entscheidend für den Erfolg von Projekten zur Energieversorgung in RRAs.

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