Chancen für Jugendliche

„Vielfältige Lernformen“

Zu den UN-Millenniums-
Entwicklungszielen der Armutsbekämpfung gehört, dass bis 2015 alle Kinder im entsprechenden Alter die Primarschule besuchen sollen. Diesem Ziel kommen viele Länder allmählich näher. Vor zwei Jahren beriet sich deshalb die Association for the Development of Education in Africa (ADEA) auf ihrer Biennale in Maputo, wie es nach der Primarschule weitergehen soll. Der ADEA gehören afrikanische Regierungen und wichtige Geberinstitutionen an.


[ Interview mit Hans Krönner ]

Der Band mit den Ergebnissen von Maputo ist kürzlich erschienen. Welchen Fortschritt markiert er?
Die Bildungsminister und die anderen Fachleute haben sich auf einen erweiterten Begriff von Grundbildung verständigt, der deutlich über die Primarschule hinausreicht. Es geht um die Voraussetzungen für Lebensbewältigung, Arbeit und weiterführendes Lernen. Eine solche erweiterte Grundbildung umfasst neun bis zehn Jahre des Lernens, geht also über die Primarschule hinaus. Diese Sicht ist neu. Daran kann nicht nur die weiterführende Bildung anschließen, auch der Übergang ins Erwerbsleben ist wichtig. Ein weiterer Fortschritt ist, dass künftig mehr Wert darauf gelegt werden soll, was jemand gelernt hat, als wo und wie das geschehen ist.

Wer ist dafür zuständig, dass junge Menschen diese Art von Grundbildung bekommen?
Das ist die Verantwortung des Staates – was nicht bedeutet, dass der Staat die Ausbildung selbst anbieten muss. Er muss aber dafür sorgen, dass jungen Menschen angemessene Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Sind denn die Bildungssysteme in Afrika auf die Bedürfnisse des Erwerbslebens eingestellt?
Die Bildungssysteme, die die Kolonialmächte hinterlassen haben, waren auf den formellen Sektor und die öffentliche Verwaltung ausgerichtet. In den Entwicklungsländern arbeiten aber sehr viele Menschen im informellen Sektor. Die berufliche Qualifizierung zum Händler oder Handwerker findet deshalb ebenfalls oft informell statt. Zunehmend ist ins Bewusstsein gerückt, wie wenig formales Schulwissen dabei hilft, im informellen Sektor Geld zu verdienen. Folglich werden Lehrpläne so geändert, dass Absolventen besser auf selbständige Tätigkeit und Existenzgründung vorbereitet werden. Dennoch muss sicherlich noch stärker anerkannt werden, wie viel das außerschulische und informelle Lernen zur Qualifizierung beiträgt.

Damit Schulwissen und Praxis nicht zu sehr auseinanderklaffen, haben wir in Deutschland die duale Berufsbildung: Lehrlinge werden in Unternehmen ausgebildet und staatliche Berufsschulen vermitteln ergänzend theoretisches und allgemeines Wissen. Spielt dieses Modell für Afrika eine Rolle?
Südlich der Sahara dominiert fast überall der informelle Sektor das Wirtschaftsleben. Es gibt auch kaum staatliche Berufsschulen, und die flächendeckende Versorgung wäre auch nicht finanzierbar. Reformansätze wie die Mubarak-Kohl-Initiative in Ägypten haben gezeigt, dass es teuer ist und viel Zeit erfordert, Elemente unseres dualen Systems in ein Land mit anderen Traditionen zu übertragen.

Gibt es andere Formen von Kooperation staatlicher und privater Ausbilder?
Einige westafrikanische Länder haben die traditionelle Lehre wiederentdeckt. Sie erkennen die Relevanz des beruflichen Lernens im informellen Sektor an und sind bereit, in Verbesserung zu investieren. Angestrebt werden dabei durchaus auch formale Abschlüsse, die es Absolventen leichter machen würden, neue Arbeit- und Auftraggeber zu finden, und zu einer allmählichen Formalisierung des informellen Sektors beitragen könnten. Es gibt auch Interesse an public-private Partnerships mit Unternehmen und privaten Organisationen. Dabei geht es natürlich auch darum, die Lasten der Berufsbildung auf mehrere Schultern zu verteilen, wichtiger ist aber, den Sachverstand des Privatsektors zu nutzen. Solche Ansätze stellen die Bildungsministerien vor ungewohnte Anforderungen. Sie können nicht mehr einfach Lehrpläne beschließen und Schulen verwalten, sondern müssen Verträge mit privaten Partnern über Lehrinhalte, Prüfungen und Zeugnisse aushandeln.

Vermutlich kommen sich die Bildungsminister dabei auch mit den Arbeits- und Wirtschaftsministern ins Gehege?
In manchen Ländern haben mehr als zehn Ministerien mit beruflicher Bildung zu tun. Dabei geht es um die Ressorts für Bildung, Arbeit, Wirtschaft, Landwirtschaft, Gesundheit, Tourismus, Verteidigung, öffentliche Verwaltung und so weiter. Das macht kohärente Politik schwierig. Aber Berufsbildung ist nun mal ein Querschnittsthema, das ist in reichen Ländern nicht anders. Selbst in den UN-Sonderorganisationen spiegelt sich das wider. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) sieht ihren Schwerpunkt bei der Berufsausbildung (vocational training) in Betrieben, während die UNESCO sich eher der beruflichen Bildung (vocational education) in Schulen annimmt. Bei den UN hat die Errichtung des Internationalen Zentrums für Berufsbildung (UNEVOC) bei der UNESCO die Koordination verbessert. Viele Entwicklungsländer haben mittlerweile Behörden oder Beratungsgremien eingerichtet, die dafür sorgen sollen, Akteure und Maßnahmen zu koordinieren. Uganda geht einen radikaleren Weg und hat alle Zuständigkeiten im Ministerium für Bildung und Sport gebündelt, das nun nicht mehr einfach Bildungsstätten verwalten, sondern ein komplexes System mit vielen Anbietern steuern soll.

Was war Ihre persönliche Rolle bei der Entstehung des ADEA-Dokuments?
Der Prozess zog sich über mehrere Jahre hin. Nachdem die afrikanischen Bildungsminister entschieden hatten, „Post-Primary Education“ zum Thema der Biennale in Maputo zu machen, fiel mir eine koordinierende Rolle für die berufliche Bildung zu. Zunächst ging es um eine Bestandsaufnahme der Erfahrungen und Innovationen in Afrika und anderen Weltregionen. Im nächsten Schritt folgte die Auswahl und Beratung der Autoren der Fallstudien, die dann die Grundlage für die Beratungen der Biennale bildeten. Danach hat dann ein kleines Redaktionsteam die Studien und Beratungsergebnisse so aufbereitet, dass der Band nun auf Englisch und Französisch veröffentlicht werden konnte.

Was erhoffen Sie sich von der Publikation?
Fest steht, dass sich das Verständnis von Bildung verändert. Früher verbanden die Politiker mit dem Stichwort „Bildungssystem“ im Wesentlichen die Schulen und Bildungseinrichtungen, die unmittelbar dem Ministerium unterstehen. Jetzt wird zunehmend die Bildungslandschaft in ihrer Komplexität wahrgenommen: Privatschulen, Koranschulen, Lernzentren in den Kommunen, Bildungseinrichtungen von nichtstaatlichen Organisationen, Lernen am Arbeitsplatz, Fernunterricht, computergestütztes Lernen, Massenmedien, individuelles Lernen – all diese vielfältigen Lernorte und Lernformen bilden in ihrer Gesamtheit das Bildungssystem. Die Bildungsministerien müssen für übergreifende Aspekte wie Zugang, Transparenz, Durchlässigkeit zwischen den Lernformen oder die Zertifizierung des Lernerfolgs sorgen.

Was hat Sie positiv überrascht?
Mich hat die große Bereitschaft der beteiligten Ministerien beeindruckt, ihre guten und schlechten Erfahrungen zu dokumentieren und sich offen damit auseinanderzusetzen. Das war echte Süd-Süd-Kooperation. Persönlich gefreut habe ich mich darüber, dass ich als Nicht-Afrikaner vorurteilsfrei als Moderator und Vermittler akzeptiert wurde.

Wo sehen Sie weiterhin den größten Nachholbedarf?
Das größte Problem scheint mir zu sein, dass nur sehr wenige zuverlässige Daten darüber vorliegen, was für Qualifikationen für afrikanische Arbeitsmärkte wichtig wären. Es ist eine große Herausforderung, im Kontext des informellen Sektors zuverlässige Informations­systeme zu entwickeln.

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