Förderbank

Relative Isolation

Die nationale Entwicklungsbank Brasiliens, BNDES, verfügt vermutlich über mehr Macht als viele Bundesministerien des Landes. Die privatwirtschaftlichen Banken sind weitgehend lediglich Vermittler zwischen diesem staatlichen Giganten und den Kreditnehmern. Anders als die Privatbanken ist die BNDES jedoch weniger auf eigenen Profit aus, sondern interessiert sich vor allem für das große Ganze.

Brasiliens staatliche Entwicklungsbank (BNDE), später in „Nationale ökonomische und soziale Entwicklungsbank“ (BNDES) umbenannt, wurde 1952 von Präsident Getulio Vargas gegründet. Sie sollte als machtvolles Instrument helfen, die inländische Indus­trialisierung zu fördern. Zu dieser Zeit befand sich das Land im Übergang von der ersten, spontanen Phase der Importsubstitution, die Anfang des 20. Jahrhunderts begann, in eine Zeit, in der Importsubstitution wirtschaftspolitisch ausdrücklich angestrebt wurde. Gemeinsam mit dem ein Jahr später gegründeten staatlichen Ölerzeuger Petrobras wurde die BNDES zu einem wichtigen Motor des Wirtschaftswachstums.

Die BNDES ist eine ungewöhnliche staatliche Einrichtung. Sie hat enorme politische und wirtschaftsstrategische Veränderungen durchlebt. Inmitten heftigster politischer Umbrüche errichtet – Präsident Vargas wurde nur zwei Jahre nach Eröffnung der Bank in den Selbstmord getrieben –, diente sie den Zwecken demokratisch gewählter Staatsführer, wie Präsident Juscelino Kubitschek Mitte der fünfziger Jahre, ebenso wie dem autoritären Regime, das dem Militärputsch von 1964 folgte. Den Wechsel zurück zur Demokratie in den 1980er Jahren überstand die Bank auch, und nicht einmal die orthodoxe marktliberale Ideologie der 1990er Jahre konnte ihr etwas anhaben. Vielen anderen staatlichen Einrichtungen erging es da schlechter.

Bei Gründung der Bank glaubte man noch, ökonomische Entwicklung und heimische Industrialisierung seien eins. Folglich war die wichtigste Aufgabe der BNDES, Investitionen in die Industrie langfristig zu finanzieren. Es floss viel Geld in die Infrastruktur. Brasiliens inländischer Kapitalmarkt hatte noch nicht genug Tiefe, als dass Gelder aus dem Privatsektor dafür hätten mobilisiert werden können.

In den 1990ern wurde der Begriff „Entwicklung“ umdefiniert und neue politische Empfindlichkeiten kamen auf. Damit änderte sich auch die Mission der Bank. Seither unterstützt sie nicht mehr nur industrielle Initiativen, sondern reagiert auch auf „neue“ Sorgen – wie den Erhalt der Umwelt oder den Schutz spezieller Gemeinschaften, etwa der indigenen Bevölkerung.

Derzeit ist die wichtigste Aufgabe der BNDES, zwei erhebliche Marktversagen auszubügeln:

  •  Die brasilianischen Finanzmärkte sind immer noch unterentwickelt. Sie mobilisieren weder genug Kapital, noch verteilen sie langfristige Fonds optimal. Tatsächlich sind privatwirtschaftliche Banken und andere Finanzinstitutionen vor allem Zwischenhändler zwischen BNDES und Kreditnehmern.
  •  Die Bank ist insbesondere an Investitionsmöglichkeiten interessiert, die positive externe Effekte versprechen. Es geht um mehr als das, was sich in Bilanzen niederschlägt – etwa um Bildung und Umweltschutz oder gute Einflüsse auf die Industrie. Anders ausgedrückt: Sozialer Nutzen spielt ebenfalls eine Rolle und sollte sogar wichtiger sein als private Erlöse.


Den Privatbanken geht es naturgemäß um Profit. Schließlich wollen sie Geld machen. Öffentliche Kreditgeber aber können es sich erlauben, auf das große Ganze zu achten. Für sie kann es sinnvoll sein, weniger profitable Projekte zu finanzieren, wenn sie von sozialer Bedeutung sind. Das gilt zum Beispiel für Investitionen in die Infrastruktur. Bessere Straßen und gute Stromversorgung ermöglichen wirtschaftliches Wachstum und schaffen Jobs.


Öffentliche Einrichtung

Die Bank ist keine Bank im eigentlichen Sinne. Sie nimmt beispielsweise keine Einlagen entgegen. Überhaupt ist sie nicht von privaten Geldern abhängig, obwohl sie hin und wieder insbesondere auf internationalen Märkten Kredite aufnimmt.

Die Bank ist das Eigentum der Bundesregierung Brasiliens, private Aktionäre gibt es nicht. Sie verfügt über etwas Eigenkapital, ansonsten finanziert sie sich vor allem über Sozialabgaben (siehe Kasten). Da die BNDES also alle ihre Aktivitäten aus eigenen Mitteln oder öffentlich verwalteten Töpfen zahlt, ist sie Finanzmarkt-Turbulenzen nicht ausgesetzt – selbst dann nicht, wenn ihr Verschuldungsgrad steigt, wie in den vergangenen drei bis vier Jahren zu beobachten war. Die Bundesregierung wies das Finanzministerium an, die Mittel der Bank aufzustocken, um der internationalen Krise zu trotzen. Die BNDES sollte Wachstum stimulieren und auf diese Weise die Krise abwehren. Dieses Vorgehen erwies sich als recht erfolgreich, obwohl die Wirtschaft jetzt an Schwung zu verlieren scheint.

Der Umfang der Mittel, die die Bank derzeit ­verleiht, ist enorm. Ihre aktuelle Bilanzsumme belief sich im September 2012 auf umgerechnet 233 Milliarden Euro. 196 Milliarden Euro davon waren Darlehen. In den zwölf Monaten bis zum September 2012 hat die Bank Gelder in Höhe von etwa 52 Milliarden Euro verliehen. Die meisten anderen Entwicklungsbanken weltweit können Darlehen nur an kleine und mittelgroße Unternehmen (SMEs) ausgeben. Das ist überall dort sinnvoll, wo private Dienstleister langfristige Finanzierung für große Unternehmen bereithalten, SMEs aber ausschließen. Die meisten BNDES-Kredite jedoch gehen an große Firmen. Im September 2012 gingen fast zwei Drittel ihrer Darlehen an solche Konzerne. In diesen Zahlen spiegelt sich der Auftrag der Bank, vorrangig Wachstum zu fördern, wider.


Regionale Unterschiede

Dieses Streben nach Wachstumsförderung führt auch zu regionaler Verdichtung. Die meisten BNDES-Kredite gehen in den Südosten und Süden des Landes – hoch entwickelte Regionen mit den meisten Produk­tionsstätten. Im Jahr 2012 erhielt der Südosten die Hälfte und der Süden 20 Prozent aller Kredite. Der verarmte bevölkerungsreiche Nordosten bekam gerade mal 14 Prozent.

Im sechsten Jahrzehnt ihres Bestehens ist die Bank mit politischen und unternehmerischen Veränderungen konfrontiert:

  •  Die BNDES ist politisch von großer Bedeutung, da sie erheblichen Einfluss auf die brasilianische Wirtschaft hat. Allein das Volumen der Mittel, die sie verwaltet (eigene Gelder, Einlagen aus den Sozialabgaben und Mittel aus der Staatskasse), macht sie politisch in­teressant. Die Parteien versuchen Mitglieder im Vorstand der BNDES ­unterzubringen oder zumindest in ­leitenden Positionen in wich­tigen Abteilungen. Die Vorstandsmitglieder werden vom Staatsoberhaupt des Landes ernannt. Die derzeitige Präsidentin, Dilma Rousseff, und ihre Vorgänger sind meist umsichtig mit dieser Macht umgegangen. ­Obwohl die BNDES vermutlich mehr Macht hat als die meisten Bundesministerien, hält sich die Führungsriege der Bank von den parteitypischen Spielchen mehr oder weniger fern.
  •  Neben den politischen Parteien haben auch ­Finanzinstitutionen ein Auge auf die BNDES geworfen. Sie hätten gerne Zugang zu den Sozial-Fonds: Das Monopol der Bank auf diese ­Ressource behindere die Entwicklung des privatwirtschaftlichen Kapitalmarkts, obwohl dieser den Langzeitinteressen der Investoren dienen könnte, lautet die Begründung.


Weil die BNDES recht beliebt ist, haben ihr solche Auseinandersetzungen bislang nicht viel angehabt. Die Wachstumsorientierung der Bank wurde von einheimischen und interna­tionalen nichtstaatlichen Organisationen in den letzten Jahren aber zunehmend kritisiert. Diese Organisationen sind das Sprachrohr für neue politische Strömungen, wie etwa Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten, von denen sich viele um die Belange kleiner und traditioneller Gemeinschaften kümmern, die durch das Wirtschaftswachstum beeinträchtigt werden.

So finanziert die BNDES derzeit etwa den Bau neuer Staudämme – mit der unvermeidbaren Folge, dass die dort lebenden Menschen umgesiedelt werden müssen. Einige dieser Projekte sind sehr umstritten und haben zu starkem politischem Widerstand geführt. Die Bank vertritt dabei die Linie der Regierung, nämlich, dass diese Projekte nötig sind, damit die Wirtschaft weiter wächst. Hier geht es tatsächlich auch mehr darum, die Menschen angemessen zu entschädigen, als um ihr bedingungsloses Recht, in ihrer Heimat zu bleiben. Konflikte dieser Art haben den Ruf der Bank zwar etwas angekratzt, aber insgesamt erfreuen sich die Maßnahmen, die dem Land nachhaltig Wachstum bringen sollen, weiterhin großer Beliebtheit.

Natürlich gibt es immer wieder intensive Diskussionen über die jeweiligen strategischen Entscheidungen der Bank – aber das ist bei einer solch einflussreichen Institution normal. Aktuell wird kritisiert, dass die BNDES große inländische Privatunternehmen dabei unterstützt, sich zu internationalisieren, etwa um Produktionsstätten in anderen Ländern zu bauen. Diesen Ansatz verfolgt die Bank seit Ende der zweiten Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Lula da Silva.

Die BNDES selbst wird durch solche Debatten jedoch nicht wirklich infrage gestellt. Meist stehen ganz bestimmte Strategien in der Kritik, die sich jedoch bei einem Regierungswechsel möglicherweise ohnehin ändern. Die Frage ist hierbei nicht, ob die BNDES dem Gemeinwohl dienen soll, sondern was unter Gemeinwohl genau zu verstehen ist.

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