Chinesische Großunternehmen

Die Regierung steuert nicht alles

Chinesische Unternehmen sind in den vergangenen 20 Jahren schneller gewachsen als die fast aller anderen Länder. Firmen aus dem Reich der Mitte spielen jetzt weltweit in der obersten Liga mit. Ihre Namen kennt im Westen jedoch kaum jemand. Woran das liegt und welche Strategie die kommunistische Regierung verfolgt, erläutert Doris Fischer, die sich als Professorin der Universität Würzburg auf die Wirtschaft der Volksrepublik spezialisiert hat, Hans Dembowski und Sabine Balk im Interview.
Messestand von Huawai in Sao Paulo. photoshot/picture-alliance Messestand von Huawai in Sao Paulo.

Welche chinesischen Unternehmen gelten als multinational?
Als multinational definieren wir Unternehmen, die in mehreren Ländern aktiv sind und sich keiner Nation zugehörig betrachten. Im Sinne dieser Definition gibt es weltweit nur sehr wenige Unternehmen – das ist auch in China so. Vermutlich gilt das nicht einmal für ein Unternehmen wie Alibaba (siehe Kasten mit kurzen Unternehmensporträts). Auch zielt die Förderpolitik der chinesischen Regierung nicht darauf ab, dass Firmen ihre Heimat vergessen. Wenn man aber multinational dahin gehend definiert, dass ein Unternehmen über mehrere Länder aufgestellt ist, dann gibt es in China einige multinationale Firmen wie Huawei oder Alibaba. Manche Autoren bezeichnen die 500 größten Unternehmen der Welt als multinational. Das ist aber auf keinen Fall korrekt, denn dazu zählen viele chinesische Unternehmen wie Banken, die vorwiegend in China tätig sind. Sie sind einfach deshalb riesig, weil ihr Heimatmarkt riesig ist.

Wie kommt es, dass China als Exportweltmeister gilt, wir aber kaum chinesische Marken kennen?
Das ist ein Phänomen, das es lange auch in Japan und Taiwan gab. Diese Länder haben zunächst auf billige Industrieexporte gesetzt, aber nicht auf eigene Marken. Asiatische und andere Firmen sind aber auch nach China gegangen und lassen dort billig produzieren, und das geht nun in die chinesische Exportstatistik ein. Über 50 Prozent der Exporte Chinas gehen auf Firmen mit ausländischen Investments zurück. Ein Beispiel ist die taiwanesische Firma Foxconn. Die lässt in China Bausteine und Geräte für große Mobiltelefon- und Tabletmarken produzieren, tritt selbst aber als Marke für den Endverbraucher gar nicht in Erscheinung. So arbeiten mittlerweile auch Unternehmen aus der Volksrepublik. Allerdings verfügen andere Unternehmen wie Huawei, Haier oder Chery über eigene Marken.

Welche Expansionsstrategien verfolgen chinesische Unternehmen?
Es gibt verschiedene Ansätze. Interessante Märkte sind dort, wo es räumliche und sprachliche Nähe gibt und wo das wirtschaftliche Umfeld attraktiv ist, also beispielsweise in Südostasien oder Afrika. Dort wird investiert – und zwar in Vertrieb, aber auch in Produktion. Chinesische Manager mögen weniger regulierte Märkte, weil sie diese besser verstehen und dort gut zurechtkommen. Dann gibt es aber auch Unternehmen, denen es wichtig ist, mit Industrieländern zu kooperieren. Motive sind die dortige Rechtssicherheit, aber auch technologische Kompetenzen.

In welchen Branchen sind multinationale chinesische Unternehmen tätig?
Das ist relativ schwer zu beantworten. 70 Prozent der chinesischen Investitionen gehen in sogenannte Steueroasen wie Hongkong oder den Virgin Islands. Wir wissen nicht, was mit diesen Investitionen weiter passiert. Fließen sie zurück nach China? In traditionelle Branchen oder in andere Industrien? Es gibt kaum verlässliche Daten. Wenn wir dagegen Merger&Acquisitions-Statistiken heranziehen, sehen wir, dass Chinesen in Branchen wie Rohstoffausbeutung oder Telekommunikation inzwischen sehr stark sind. Allerdings wachsen andere Branchen jetzt schneller als die Rohstoffunternehmen. Bei Stahl hat China jetzt das Problem riesiger Überkapazitäten, denn der heimische Markt ist gesättigt.

Wie ist das Verhältnis Chinas zu Hongkong und Taiwan?
Formal ist Hongkong heute eine Special Administrative Region of China, der 50 Jahre Autonomie zugesagt wurden. Wirtschaftlich ist Hongkong eng mit China verwoben, aber rechtlich unabhängig. Das ist ein besonderer Status, der clever genutzt wird. Die Volksrepublik bestreitet, dass Taiwan ein eigener Staat ist, auch wenn viele Taiwanesen das so sehen. Ökonomisch sind die beiden Länder aber eng verflochten. Die Taiwanesen haben massiv in die chinesischen Sonderwirtschaftszonen investiert, die in den 1980er-Jahren auf dem Festland gegenüber Taiwan und Hongkong eingerichtet wurden. Heute ziehen sich taiwanesische Firmen schon aus den klassischen Billiglohn-Industrien zurück, weil sie früh gemerkt haben, dass das Geschäftsmodell nicht mehr so gut funktioniert. Die Arbeitskosten steigen nämlich.

Wie hat sich die Öffnung Chinas auf Taiwan und Hongkong ausgewirkt?
Sowohl Hongkong als auch Taiwan waren vor der Öffnung Chinas selbst in billiger Massenproduktion für den internationalen Markt tätig. In den 1960er-Jahren kam viel Massenware aus Taiwan. Die Produktion ist dort aber sehr schnell an ihre Grenzen gestoßen – allein wegen der geringen Fläche und weil die Löhne gestiegen sind. Besser ausgebildete Arbeiter wollten dann auch nicht mehr simple Tätigkeiten ausüben. Viele Unternehmen haben dann die Öffnung der Volksrepublik genutzt, um ihr Geschäftsmodell zu verstetigen, indem sie arbeitsintensive Schritte auf das chinesische Festland verlagert haben. Das gewinnträchtige Know-how, Design und Marketing haben sie in Hongkong und Taiwan belassen.

Wie wirkt sich das heute in China aus?
Die Chinesen sind mit dem System, dass nur die arbeitsintensiven Teile der Wertschöpfungskette im eigenen Land sind, nicht mehr einverstanden. Damit lässt sich ja auch nicht gut verdienen. Am meisten verdient ein Unternehmen mit Forschung, Entwicklung, Produktdesign, Markenverträgen et cetera. Das Regime ist daran interessiert, dass chinesische Firmen auch andere Bereiche der Wertschöpfungskette abdecken – und das gelingt zunehmend. Das sind auch die Firmen, die viel exportieren und im Ausland expandieren. Erfolgreiche chinesische Hersteller lassen schon in Ländern wie Vietnam, Kambodscha oder Bangladesch produzieren, wo die Löhne niedriger sind.

Wie steht es um Sozial- und Umweltstandards chinesischer Großunternehmen?
Es ist unmöglich, eine Aussage für ganz China zu machen. China entspricht einem Kontinent und investiert in der ganzen Welt. Die Regierung macht die Umweltstandards für Großunternehmen ständig strenger, die Sozialstandards auch – aber das ist schwieriger umzusetzen. Studien zeigen, dass Unternehmen aus Ländern mit hohen Umwelt- und Sozialstandards auch in China höhere Standards berücksichtigen, wenn sie dort produzieren lassen. Die Gewerkschaften aus den Heimatländern achten auch darauf, dass im Ausland kein Sozialdumping betrieben wird. Und wenn Konsumenten in den Heimatländern gewisse Standards gewöhnt sind, müssen Markenhersteller auch in China gewisse Ansprüche erfüllen, denn sonst setzen sie ihr Image aufs Spiel. In China hingegen gibt es keine starken Gewerkschaften, die auf Sozialstandards pochen. Was Umweltschutz angeht, sind viele gute Gesetze verabschiedet worden, aber es hapert häufig an der Umsetzung. Chinesische Firmen sind weniger daran gewöhnt, Umweltstandards zu erfüllen. Die chinesische Zentralregierung will aber ihrerseits keine Umweltskandale, die dem Image des Landes schaden. Für die Kontrolle ist sie aber auf die Lokalregierungen angewiesen. Bei den großen Unternehmen hat sie eher eine Handhabe. Aber die Vielzahl kleiner Firmen lässt sich schwer in den Griff bekommen.

Was ist das außenwirtschaftspolitische Ziel der chinesischen Regierung?
Bis Ende des 20. Jahrhunderts wurden vor allem ausländische Firmen zum Investieren eingeladen. Das hieß aber nicht, dass chinesische Unternehmen international investieren sollten. Mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) hat die Regierung 2001 ihre Außenwirtschaftspolitik geändert und setzt nun auf eine Strategie, die „going out“ oder „going global“ genannt wird. Die Beschränkungen für chinesische Firmen, im Ausland zu investieren, wurden schrittweise gelockert. Zum Beispiel kommen chinesische Firmen nun an Devisen heran. Diese going-global Politik ist aber noch jung. Eine wichtige Förderung bestand lange darin, Auslandsinvestitionen nicht mehr zu behindern. Andererseits werden jetzt aber verstärkt klassische Förderinstrumente wie Außenhandelskammern oder Entwicklungsbanken eingesetzt. Staatliche Stellen bieten Rat, Information und Kredite. Das ist ähnlich wie bei uns.

Gibt es so etwas wie das japanische Ministry of International Trade and Industry? Es hat jahrzehntelang Strategien implementiert und Unternehmen koordiniert, um die japanische Wirtschaft Branche für Branche für den Weltmarkt fit zu machen?
Nein, solch eine konzertierte Politik gibt es nicht und wäre angesichts der riesigen Größe Chinas auch schwer zu implementieren. Das heißt aber andererseits nicht, dass der Staat keine Rolle spielen würde. Im Gegenteil. Privatunternehmen können nur groß werden, wenn sie eine enge Beziehung zur Lokalregierung haben, und ab einer gewissen Größe müssen sie sich auch mit der Zentralregierung auseinandersetzen. Ob sie von ihr protegiert werden oder nicht, ist eine andere Sache. Firmen wie Alibaba, Wanda oder Tencent sind zwar privat, hätten aber nie groß werden können, wenn sie sich nicht mit Staat und Partei gut gestellt hätten. Sobald sie international tätig werden, ändern sich die Dinge aber wieder.

Heißt das, sie bekommen keine staatliche Unterstützung mehr?
Nein, Beijing bemüht sich durchaus, diese Unternehmen auch jenseits der Grenzen zu unterstützen. Sie finden zum Beispiel in den Botschaften Ansprechpartner, die ihre Anliegen dann auch gegenüber staatlichen Stellen im Ausland vertreten. Das Regime will, dass chinesische Unternehmen im Ausland Erfolg haben, und es ist bereit, dafür etwas zu tun, ob es sich nun um private Firmen oder Staatsunternehmen handelt. Allerdings haften Privatunternehmen selbst, was Staatsunternehmen nicht tun. Alibaba ist in New York und nicht in China an die Börse gegangen, obwohl die chinesische Regierung das sicher gern gesehen hätte. Die Entscheidungsprozesse in Privatunternehmen verlaufen oft anders, als die Regierung es gern hätte.

Welche Motive sind dabei wichtig?
Privatunternehmen sind stärker vom Business getrieben als Staatsunternehmen. Sie wollen profitable Geschäfte machen, ihre Aktivitäten ausdehnen, manchmal aber auch schlicht und einfach Kapital im Ausland in Sicherheit bringen. Ein wichtiges Motiv ist oft, der staatlichen Kontrolle zu entkommen. Manchen Unternehmen ist es egal, was Beijing will. Aber auch dabei kommt es nicht unbedingt darauf an, wie viele Anteile der Staat an einer Firma hält. Bei den größten Unternehmen, etwa in der Erdölindustrie, sind Führungsposten teilweise mit Parteifunktionären besetzt, aber das muss nicht heißen, dass die Firma nach der Pfeife der Zentralregierung tanzt. Denn diese Unternehmen sind international tätig, börsennotiert und wollen Gewinn machen. Es ziehen ja auch nicht alle Mitglieder der kommunistischen Partei an einem Strang – und manche Funktionsträger sind froh, wenn sie Vermögen ins Ausland schaffen können.

Es gibt immer den Verdacht, dass die Chinesen Industriespionage betreiben. Inwieweit stimmt das?
Industriespionage ist weltweit ein riesiges Problem, genauso wie Cyberattacken. Natürlich braucht man nicht anzunehmen, dass die Chinesen das nicht machen. Unklar ist aber, wie weit das immer zentral gesteuert ist. Es ist für mich aber schwer einzuschätzen, ob die Dimension, in der die Chinesen Industriespionage betreiben, viel größer ist als etwa bei den Amerikanern.

 

Doris Fischer ist die Inhaberin des Lehrstuhls China Business and Economics an der Universität Würzburg.
doris.fischer@uni-wuerzburg.de

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