Europa

Wachsende Komplexität

Ein kürzlich veröffentlichtes digitales Buch untersucht den Wandel in der EU-Handelspolitik in den vergangenen Jahren. Sie ist ehrgeizig, kommt aber kaum voran.
Die EU hat die Verhandlungskapazitäten von Entwicklungsländern überschätzt: Containerhafen in Stone Town auf Sansibar. Dembowski Die EU hat die Verhandlungskapazitäten von Entwicklungsländern überschätzt: Containerhafen in Stone Town auf Sansibar.

Die europäische Handelspolitik wird ständig anspruchsvoller. 2006 ver­öffentlichte die Kommission die „Global Europe“-Strategie, in der sie bilaterale Handelsabkommen mit wirtschaftlich wichtigen Partnern befürwortet. Bis dahin hatte sie sich auf die multilaterale WTO verlassen und bilateral nur mit ehemaligen Kolonien von Mitgliedsländern in Afrika, Karibik und Pazifik über Economic Partnership Agreements (EPAs) verhandelt.

David Kleimann vom European University Institute in Florenz schreibt in der Einleitung des von ihm herausgegebenen digitalen Buchs, dass die EU auf bilaterale Politik umstieg, weil die WTO nicht die erwünschten Ergebnisse brachte. Das lag unter anderem daran, dass die EU Abkommen für Themen wie öffentliche Beschaffung oder Wettbewerbsrecht wünscht, auf die viele Ent­wicklungsländer sich nicht einlassen wollen.

Laut Kleimann haben sich seit dem WTO-Gipfel in Katar 2001 zwei Dinge grundsätzlich geändert:

  • Es ist klargeworden, dass internationale Liberalisierung nicht multilateral vorangetrieben wird.
  • Bilaterale Abkommen dienen nicht nur der Stärkung der Beziehungen zu bestimmten Partnern, sondern auch der Ausgrenzung von Konkurrenten.

Kleimann meint beispielsweise, dass die USA und die EU die Transatlantic Trade and Investment Partnership anstreben, um international wieder mehr Einfluss zu gewinnen. Es ist in seinen Augen auch bezeichnend, dass die Transpacific Partnership, die Washington verwirklichen will, China ausschließen wird.   

Kleimann bezweifelt aber aus verschiedenen Gründen, dass die EU viel erreichen wird. Dazu gehören:

  • De facto kooperieren reiche Nationen schon sehr eng. Da sie seit langem über Themen wie gentechnisch modifizierte Lebensmittel streiten, ist schneller Fortschritt unwahrscheinlich. Interessengruppen waren bisher stark genug, um Kompromisse zu verhindern, und sie dürften einflussreich bleiben.
  • Früher ging es in der Handelspolitik um Zölle und andere Grenzangelegenheiten, aber heute stehen Themen auf der Agenda, welche die nationale Gesetzgebung und  Verwaltung berühren. Das macht Reformen schwerer.
  • In Verhandlungen mit weniger entwickelten Partnern strebt die EU oft zu viele Dinge zugleich an. Liberalisierung und Entwicklung sind grundsätzlich kompatibel, aber es ist schwer, kurzfristige kommerzielle Interessen gegen langfristige strategische Ziele abzuwägen.

 Die EPAs sind dafür ein Beispiel. Die Verhandlungen erwiesen sich schwieriger als erwartet, und bisher wurden sie nur mit den karibischen Staaten abgeschlossen. In dem Buch ziehen Isabelle Ramdoo und Sanoussi Bilal vom European Centre for Development Policy Management (ECDPM) in Maastricht daraus mehrere Lehren:

  • Die EU hat ihre Verhandlungspartner verwirrt. Diese dachten, es gehe darum, die bestehende Vorzugsbehandlung WTO-kompatibel zu machen, während die EU tatsächlich Handelsliberalisierung anstrebte.
  • Die EU hat unterschätzt, wie schwer sich Entwicklungsländer in Handelsgesprächen tun. Das liegt unter anderem daran, dass sie nur geringe Kapazitäten haben, sich aber auch untereinander und nicht nur mit der EU auf Regeln einigen müssen.
  • Die EU hat missachtet, dass regionale Integration ein „fundamental endogener Prozess“ ist, der von außen unterstützt, aber nicht vorangetrieben werden kann.

Fabiano de Andrade Correa von der International Development Law Organisa­tion untersucht in seinem Aufsatz den Stellenwert des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung in der EU-Handelspolitik. Es wird in den drei bilateralen Handelsabkommen (mit Chile, Südkorea und Mittelamerika) erwähnt, die in den vergangenen Jahren zustande kamen. Der Wissenschaftler lobt mehrere Dinge, darunter auch:

  • Nachhaltige Entwicklung wird als gemeinsames Ziel festgeschrieben.
  • Bestehende ökologische und soziale Normen dürfen nicht aufgegeben werden.
  • Vor Vertragsabschluss gab es „Sustainability Impact Assessments“.

De Andrade räumt ein, dass die Handelsabkommen nachhaltige Entwicklung nicht stringent als unmittelbares Recht durchsetzten. Er sieht sie aber als gute Grundlage, um das internationale Recht in diese Richtung weiterzuentwickeln.

Hans Dembowski
 

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