Globale öffentliche Güter

Das Netz des Lebens

Pflanzen- und Tierarten sterben aus, und die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit sind noch nicht hinreichend bekannt. Wir wissen aber: Unser Überleben hängt von gesunden Ökosystemen ab.
Ameisen im Regenwald von Honduras. B. Trapp/Lineair Ameisen im Regenwald von Honduras.

Laut Website der Harvard Medical School sagte ein bedeutender Professor einst über Ameisen: „Wir brauchen sie, um zu überleben, aber sie brauchen uns nicht." Das gilt, so die Website, auch für „unzählige andere Insekten, Bakterien, Pilze, Plankton, Pflanzen und weitere Organismen". Ökosysteme hingen nämlich von einer Vielzahl von Lebensformen ab, die sich gegenseitig regulierten.

Menschen brauchen Nahrung, Wasser und Luft, die es ohne die natürliche Umwelt nicht gäbe. Biologische Vielfalt ist dabei eine entscheidende Komponente. Sie ist das Sicherheitsnetz, das überall auf der Welt das Gleichgewicht der Ökosysteme garantiert – und unsere Existenz sichert.

Biodiversität ist also eine Voraussetzung für menschliche Gesundheit. Dies gilt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf unterschiedlichen Ebenen:

  • Die Nahrungsmittelproduktion hängt von der genetischen Vielfalt von Nutzpflanzen ab (siehe auch Interview mit Gerd Müller, S. 76 ff.) und eine abwechslungsreiche Ernährung ist gesundheitszuträglich.
  • Biologische Ressourcen sind die Grundlage der traditionellen Medizin, die rund 60 Prozent der Weltbevölkerung nutzen.
  • Biologische Ressourcen sind auch Basis für die Entwicklung vieler innovativer Arzneimittel. Der Verlust der Biodiversität könnte bedeuten, dass Wirkstoffe für potenziell wegweisende Pharmaka gar nicht erst entdeckt werden.
  • Ausbreitungsmuster von Infektionskrankheiten verändern sich wegen störender menschlicher Eingriffe in Ökosysteme. Die WHO legt dar, derlei könne „das Vorkommen einiger Organismen reduzieren, das Wachstum anderer Populationen verursachen, die Interaktion zwischen Organismen modifizieren sowie die Wechselwirkung zwischen Organismen und deren physischer und chemischer Umwelt verändern".

Andere internationale Organisationen sehen das ähnlich. Das in Montreal ansässige Sekretariat der UN-Konvention über die Biologische Vielfalt erklärte in einem Kurzdossier von 2010: „Der Verlust der Biodiversität und der Wandel der Ökosysteme können das Risiko des Ausbruchs und der Verbreitung von Infektionskrankheiten bei Tieren, Pflanzen und Menschen erhöhen." Den Autoren zufolge gingen schon Ausbrüche von SARS, Ebola und anderen Krankheiten mutmaßlich auf menschliches Handeln zurück. Sie warnen: „Ohne bessere Kenntnis der Ökologie von Seuchen besteht das Risiko, dass sich Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten negativ auf die Biodiversität auswirken – durch den Einsatz von Bioziden, anderen Chemikalien und die Reduzierung von Wildbeständen."

Tatsächlich schwindet die Biodiversität schnell. Wissenschaftler sprechen vom „sechsten großen Artentod". Heutzutage sterben mehr Spezies aus als je zuvor, seit der fünfte große Artentod vor Millionen von Jahren die Zeit der Dinosaurier beendete. Der Trend ist besorgniserregend und – wie der Klimawandel – menschengemacht. Industriestaaten können und müssen Geld zum Schutz der Biodiversität weltweit beitragen. Aber solche Hilfe bringt für sich genommen wenig. „Alle Länder müssen verantwortungsvoll mit der Natur umgehen; effektives Management ist entscheidend", sagt Peter Bridgewater, früherer Leiter des UNESCO-Programms Der Mensch und die Biosphäre und der Ramsar-Konvention über Feuchtgebiete.

Ihm zufolge können schon kleine Beträge helfen, lokale Kräfte zu bündeln. Das sei oft effektiver als riesige Investitionen. Bridgewater nennt den „Chilka-See in Indien und das Tonle-Sap-Biosphärenreservat in Kambodscha" als Beispiele für Erfolge des Mikroförderprogramms der Ramsar-Konvention, das die Gemeinschaften einbezieht, die in oder um Feuchtgebiete leben. Bridgewater sagt, „big money" sei nicht immer „smart money". Andererseits ist er überzeugt, dass die Geber den Entwicklungsländern niemals die Summen zur Verfügung stellen werden, die diese fordern. Außer Frage steht jedoch, dass Biodiversität ein globales öffentliches Gut ist, das multilaterale Aufmerksamkeit verdient.

Gesundheit, Umwelt und Entwicklung waren Themen der vier globalen Konferenzen zu Entwicklung und Umwelt: 1972 in Stockholm, 1992 in Rio de Janeiro, 2002 in Johannesburg und 2012 wieder in Rio. Viele andere Initiativen entstanden parallel dazu. Die Libreville Declaration on Health and Environment in Africa von 2008 beispielsweise ist von bleibender Relevanz, weil dieser Kontinent besonders von Umweltveränderungen betroffen ist. Ein Ergebnis der Deklaration war die Einrichtung der strategischen Allianz für Gesundheit und Umwelt. Im Geiste der Millenniumsentwicklungsziele zielt sie auf koordiniertes Handeln im Gesundheits- und Umweltbereich ab. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht und darf nicht aufgegeben werden.

 

Härtere Lebensbedingungen

Es ist Konsens, dass nach 2015 eine neue UN-Agenda auf die Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals – MDGs) folgen muss. Bridgewater sagt dazu: „Der Fokus der MDGs liegt ganz traditionell auf Armutsbekämpfung und der sozialen Dimension menschlicher Entwicklung. Es wurde nicht berücksichtigt, dass Entwicklung ohne Umweltschutz nicht nachhaltig ist." Er wünscht sich, dass Biodiversität eine Rolle in der Post-2015-Agenda spielt: „Andernfalls sind wir dazu verdammt, in einer Welt zu leben, in der die Lebensbedingungen der Menschheit ständig härter werden."

Die Vorstellung, dass menschliche Gesundheit nur eine Frage der Heilung von Krankheiten ist, übersieht laut Bridgewater einen wichtigen Aspekt: Gesundheit beruht auf einer intakten Umwelt. Dies gilt besonders für arme Länder mit knappen Ressourcen, die Umweltschäden nicht einfach kompensieren können. Arme Gemeinschaften hängen ganz besonders von dem ab, was Umweltschützer als das „Netz des Lebens" bezeichnen. Bridgewater ist Fachmann für die Veränderung und Neuentstehung von Ökosystemen. Wegen des hohen Tempos und der unbekannten Richtung der Veränderungen sind die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit nicht klar. Die Herausforderungen sind riesig. Die Zusammenhänge müssen erforscht werden. „Was wir brauchen, ist ein Fokus auf das Gesundheitswesen, der Biodiversitätsmanagement einschließt", urteilt Bridgewater.

Die Europäische Kommission teilt diese Sicht. In einem 2011 veröffentlichten Statement zu Biodiversität und Gesundheit hielt sie fest: „Ein besseres wissenschaftliches, politisches und öffentliches Verständnis der Verbindungen zwischen Artenvielfalt und Gesundheit ist unerlässlich, um die Folgen einer beeinträchtigten Biodiversität und jedweder daraus resultierende Einfluss auf die menschliche Gesundheit zu minimieren."

 

Mathieu Régnier ist unabhängiger Kommunikationsberater und lebt in Montreal.
mr@mathieuregnier.com

 

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