Ökologie

„Am wichtigsten sind die Kleinbauern“

Die genetische Vielfalt von Nutzpflanzen erodiert rasch. Das gefährdet die ­Ernährungssicherheit künftiger Generationen. Um den Trend umzukehren, muss die Politik vor allem Kleinbauern unterstützen. Es ist nämlich so, dass ausgerechnet die ärmsten Landwirte der Welt die biologische Diversität der kultivierten Sorten sichern. Melaku Worede, ein Genetiker aus Äthiopien, erläutert dies im Interview mit Hans Dembowski.

Interview mit Melaku Worede

Sie warnen seit Jahrzehnten vor den Folgen des Schwunds der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft. Ist die Lage besser geworden?
Eigentlich nicht, wir verlieren immer noch genetische Ressourcen in erschreckend hohem Tempo. Der Genpool wird ständig kleiner. Andererseits hat aber das Bewusstsein für dieses Problem zugenommen. Früher war ich oft der einzige Agrarexperte, der darüber reden wollte, und es kam mir dabei so vor, als wollten die anderen mich exkommunizieren. Heute wird generell akzeptiert, dass der Genpool Schutz braucht. Dennoch fürchte ich, dass die Maßnahmen, die ergriffen werden, zu spät kommen und zu gering ausfallen.

Warum schrumpft die genetische Vielfalt?
Das Problem ist, dass Großbetriebe zunehmend die Landwirtschaft dominieren. Sie kultivieren typischerweise nur wenige, genetisch sehr homogene Sorten. Die Kleinbauern, die Landsorten anbauen – das sind traditionell verwendete Sorten mit hoher genetischer Vielfalt –, werden verdrängt. Sie bauen seit Jahrhunderten, von Generation zu Generation, Landsorten an. In dem Maße, wie sie verschwinden, verlieren wir auch die Landsorten. Besonders schlimm ist, dass wir gar nicht genau wissen, was wir verlieren, weil viele Landsorten von der Wissenschaft noch nicht erforscht wurden. Obendrein verlieren wir auch die wilde Biodiversität. Auch das ist gefährlich, weil die Landrassen evolutionär mit der wilden Natur interagieren. Alle beteiligten Spezies werden schwächer und anfälliger, wenn dieser Prozess unterbrochen wird.

Warum ist die genetische Vielfalt der Land­rassen so wichtig?
Sie ist wichtig, weil unterschiedliche Landrassen für unterschiedliche Gegebenheiten und Situationen taugen. Einige brauchen nicht viel Wasser, andere überstehen Überschwemmungen, wieder andere vertragen extreme Hitze oder Kälte. Vielen können Schädlinge kaum etwas anhaben. Das sind wichtige Eigenschaften. Auf der ganzen Welt haben die Bauern früher Landsorten genutzt und damit ihre Risiken gestreut. Sie wussten, welches Saatgut sie wann verwenden mussten, und kannten die Eigenschaften all ihrer Pflanzen. In Afrika arbeiten viele Kleinbauern immer noch so. Es geht im Kern um ihre Agrartechnologie, die existenziell wichtig ist. Die Ernährungssicherheit der ganzen Welt beruht darauf, denn die Züchter von Hochertragssaatgut brauchen die genetische Vielfalt der Landsorten, um ihre Produkte zu optimieren.

Aber muss die Menschheit angesichts der wachsenden Weltbevölkerung nicht auf Hoch­ertragssorten setzen? Außerdem wird der Klimawandel die Umwelt an vielen Orten verändern, so dass die Landsorten dort vermutlich unbrauchbar werden.
Andersherum wird ein Schuh daraus. Die Landsorten sind vielfältig, und wenn die Umwelt sich ändert, finden die Bauern mit ihnen wahrscheinlich Anpassungsmöglichkeiten. Die Hochertragssorten sind viel empfindlicher. Ihr Anbau beruht auf dem massiven Einsatz diverser Mittel, von Dünger über Pestizide bis hin zur Bewässerung. Diese Art von Input ist teuer, aber nötig, um die künstliche Umwelt zu erzeugen, in der diese Pflanzen gedeihen. Je mehr sich die natürliche Umwelt verändert, desto mehr Input wird gebraucht. Langfristig kann die Ernährungssicherheit der Menschheit nur auf genetischer Vielfalt beruhen, aber nicht darauf, dass immer mehr Produktionsmittel eingesetzt werden. Und da absehbar ist, dass der Klimawandel dramatisch sein wird, müssen wir sicherstellen, dass wir den Genpool der Wildnis auch so gut wie möglich schützen.

Aber es gibt doch Genbanken zum Schutz der Vielfalt. Reicht das nicht?
Genbanken spielen sicherlich eine Rolle. Aber als der Gründer der Äthiopischen Genbank weiß ich, dass solche Institute mit den Bauern kooperieren müssen. Die Samen, die in einer Genbank eingelagert werden, sind isoliert. Sie werden aus der Evolution herausgenommen. Eine Genbank schützt Samen, kann aber nicht sicherstellen, dass die Pflanzensorte fortbesteht. In der Natur hört die Evolution nie auf. Früher gab es in der Landwirtschaft eine Balance von Kontinuität und Wandel. Aber der Klimawandel führt zu immer schnelleren Veränderungen. Die Eigenschaften, die eine biologische Art heute hat, gehen verloren, wenn ihr Saatgut nicht genutzt wird.

Das bedeutet, Genbanken müssen nicht nur das Saatgut gefährdeter Sorten einlagern, sondern auch dafür sorgen, dass diese Pflanzen weiter angebaut werden.
Genau, denn ohne Kultivierung können sich Pflanzen nicht an die sich ständig ändernde Umwelt anpassen. Außerdem verlieren wir das Wissen über die Sorten, die kein Bauer mehr anbaut. Dieses Wissen ist aber genauso wichtig wie die genetischen Eigenschaften.

Ist eine Art grüne Revolution auf der Basis von Landsorten möglich?
Grüne Revolution ist ein großes Wort. Es kann viele verschiedene Dinge bedeuten. Wenn Sie damit meinen, dass der Fokus sich auf eine einzige Nutzpflanze richtet, deren Output dann mit gewaltigem Input maximiert wird, wäre das ein sehr gefährlicher Weg. Denn dann geht die genetische Vielfalt verloren. Wir müssen eine große Bandbreite an diversen Sorten anbauen und dafür sorgen, dass ihre Evolution mit der Natur weitergeht. Sonst kann keine grüne Revolution nachhaltig sein.

Aber die Kleinbauern, die Landsorten anbauen, sind meist sehr arm. Ist das wünschenswert?
Nein, ich will Bauern bestimmt nicht zur Armut verurteilen. Sie müssen ökonomisch erfolgreich werden. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft muss eine gute und sichere Lebensgrundlage sein. Ich wünsche mir, dass die Kinder in die Schule gehen, lesen und schreiben lernen und sich später selbst für die Agrarproduktion als Broterwerb entscheiden. Dieser Wirtschaftszweig muss attraktiv sein. Und es ist auch sicherlich möglich, die Produktivität der Landsorten zu steigern. Wenn Sie das grüne Revolution nennen wollen, bin ich dafür.

Was für eine Art von Forschung kann diesen Prozess auslösen?
Wir müssen an der Basis ansetzen, ein Top-Down-Ansatz wird nicht funktionieren. Es kommt auf ­Synergien von Wissenschaft und Landwirtschaft an, zusammen erreichen sie mehr als allein. Wir brauchen so viel Partizipation wie möglich. Die Forscher sind wichtig, aber die Kleinbauern sind am wichtigsten. Ihr Erfolg hängt schon immer davon ab, dass sie die das, was sie auf ihren Höfen haben, optimal nutzen. Großbetriebe funktionieren anders. Sie manipulieren mit viel Input die Umwelt. Das ist nicht nachhaltig. Wir müssen uns darum kümmern, was auf der Graswurzelebene geschieht, und wir müssen das Wissen der Kleinbauern wertschätzen.

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