Evaluation

Objektiv gemessene Wirkung

Fragile Staatlichkeit gefährdet nicht nur die Bevölkerung im betroffenen Land, sondern auch die internationale Gemeinschaft. Klar ist, dass Entwicklung und Sicherheit in engem Zusammenhang stehen. Kaum erforscht ist jedoch, in welchem Maß Entwicklungshilfe Stabilität fördern kann. Die erste Evaluierung der Maßnahmen im Nordosten Afghanistans liefert Anhaltspunkte.

[ Von Christoph Zürcher, Jan Koehler, Jan Böhnke und Cornelius Graubner ]

Deutschland hat als viertgrößtes Geberland und drittgrößter Truppensteller für die International Security Assistance Force (ISAF) eine Führungsrolle in den multilateralen Anstrengungen in Afghanistan übernommen. Im Rahmen des deutschen Gesamtkonzeptes zum Wiederaufbau spielen Entwick­lungsprojekte neben dem militärischen und diplomatischen Beitrag eine zentrale Rolle. 650 Millionen Euro hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bislang aufgewendet. Das Geld floss in die Sektoren nachhaltige Entwicklung der Privatwirtschaft, Grundbildung, Trinkwasserversorgung und Energieversorgung unter besonderer Berücksichtung erneuerbarer Quellen.

Neben der Hauptstadt Kabul ist der Nordosten des Landes Kerngebiet des deutschen Engagements. Deshalb wurde diese Region für eine Wirkungsevaluierung ausgewählt. Auf der Grundlage von mit verschiedenen Methoden gesammelten Daten untersuchen wir, ein Team des Sonderforschungsbereiches 700 der Freien Universität Berlin in Kooperation mit dem BMZ, Referat Evaluierung, erstmals die Wirkungen von Entwick­lungs­maßnahmen in dieser Region (zur Methodik siehe Artikel S. 110). In diesem Artikel werden die Ergebnisse einer ersten repräsentativen Umfrage vorgestellt.

Fortschritte bei der Versorgung

Im Frühjahr 2007 haben wir 2034 Haushalte befragt. Die Befragten wurden gebeten, den Beitrag unterschiedlicher Akteure zur Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen zu bewerten. Die Ergebnisse zeigen großen Handlungsbedarf an. Denn nur neun Prozent der Haushalte beziehen ihr Trinkwasser aus Wasserleitungen. Die Übrigen nutzen Wasser aus Brunnen, offenen Kanälen oder Gewässern. Nur etwa 25 Prozent der Haushalte sind mit Elektrizität versorgt. Sieben Prozent der Befragten haben Schwierigkeiten, Grundnahrungsmittel zu erwerben.

Die Hilfe kommt jedoch an: Alle Gemeinden gaben an, von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit in den zwei Jahren vor der Befragung profitiert zu haben. Etwa 61 Prozent der Haushalte berichten, dass die Arbeit internationaler Entwicklungsorganisationen sich positiv auf die Bereitstellung von Trinkwasser ausgewirkt hat, bei der Auswirkung auf die Qualität von Straßen sind es sogar 66 Prozent. Und 47 Prozent meinten, Entwicklungsagenturen hätten geholfen, die Qualität der Schulbildung zu verbessern.

Schlechter sieht es bei Landwirtschaft, Elektrizität und Arbeitsplätzen aus. Nur 16 Prozent sehen einen positiven Einfluss von Entwicklungsprojekten auf die landwirtschaftliche Produktion, beim Zugang zu Elektrizität sind es nur 12,2 Prozent. Und magere 2,6 Prozent meinten, dass Entwicklungsagenturen zur Schaffung von Arbeitsplätzen beigetragen hätten.

Kaum Vertrauen in den Staat

Interessant ist, dass die Afghanen den Anteil ihres Staates an den Forschritten in diesen Bereichen als gering erachteten. Zwar gaben immerhin 34 Prozent der Befragten an, dass die Regierung zur Verbesserung der Schulbildung beigetragen habe. Allerdings machten nur 13 Prozent der Haushalte die Regierung für die Verbesserung der Straßen verantwortlich. Sechs Prozent attestierten der Regierung einen positiven Einfluss auf landwirtschaftliche Produktion, fünf Prozent schrieben ihr Verbesserungen bei der Trinkwasserversorgung zu. Drei Prozent gaben an, die Regierung habe geholfen, die Stromversorgung zu verbessern, und nur 0,3 Prozent meinten, die Regierung habe Arbeitsplätze geschaffen.

Wie wenig die Afghanen ihrem Staat derzeit zutrauen, zeigte sich auch in der Frage, wie oft sich Distrikt- und Provinzadministration um wichtige Belange des Dorfes kümmerten. Nur 3 Prozent gaben an, dies geschehe immer oder regelmäßig, wohingegen 31 Prozent mitteilten, dies sei selten. Satte 37 Prozent sagten, dass sich Distrikt- und Provinzadministration nie um Belange der Gemeinde kümmerten.

Überraschend hoch fiel die Zustimmung der Befragten zum Schulbesuch für Mädchen aus. Nur 1,9 Prozent der Befragten waren der Ansicht, Bildung für Mädchen habe einen negativen Einfluss auf die Gemeinschaft. Eine große Mehrheit der Haushalte stimmte auch der Aussage zu, dass es gut sei, mehr Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft für Männer UND Frauen zu schaffen. Diese Zustimmung ist dort besonders hoch, wo Entwicklungszusammenarbeit tätig ist.

Verbesserte Sicherheitslage

Das sicherlich überraschendste Ergebnis der Umfrage ist, dass 23% der Befragten sagen, dass sich die Sicherheitslage in den letzten zwei Jahren etwas verbessert habe; 76% waren der Meinung, dass sich die Sicherheit stark verbessert habe. Dafür wurden sowohl die Präsenz der ausländischen Truppen als auch die Regierung in Kabul verantwortlich gemacht. Allerdings sieht ein Teil der Einheimischen ihre Tradition und islamische Werte durch die Präsenz vieler Ausländer bedroht. 21 Prozent nannten in diesem Kontext die Entwicklungsakteure und 43 Prozent die ausländischen Truppen. Es scheint, dass die hohe Unterstützung für die spezifische und greifbare Arbeit, die internationale Akteure leisten, durch eine generell vorsichtige Einstellung gegenüber fremder Präsenz gedämpft wird.

Wir wollten auch feststellen, wie Entwicklungszusammenarbeit auf Sicherheit, Legitimität des Staates und die Haltung gegenüber internationalen Akteuren wirkt. Deshalb haben wir drei Zusammenhänge untersucht, die Kernanliegen der internationalen Gemeinschaft sind: höhere Sicherheit, effizienterer Staat und Unterstützung der internationalen Akteure durch die Bevölkerung.

Dazu wurden die Angaben aus Gemeinden, die nach eigenen Angaben stark von Entwicklungsprojekten profitiert haben, mit denen aus Gemeinden verglichen, die nach eigenen Angaben weniger von Entwicklungsprojekten profitiert hatten. Konkret ging es darum, ob erstere
- sich sicherer fühlen,
- den Staat in günstigerem Licht sehen und
- den internationalen Akteuren gegenüber positiver eingestellt sind.

Ein Zusammenhang von Entwicklungsprojekten auf das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ließ sich nicht feststellen. Es ist auch nicht erstaunlich, dass Befragte, die meinten von Entwicklungsprojekten überdurchschnittlich profitiert zu haben, sich nicht überdurchschnittlich sicher fühlten. Aus der Umfrage und aus offenen Interviews wissen wir, dass die Bevölkerung sich in erster Linie vor Kriminalität fürchtet. Die empfundene Bedrohung variiert überdies stark von Distrikt zu Distrikt. Kurzfristig gibt es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Sicherheit der Bevölkerung und Entwicklungsprojekten.

Zweitens haben Entwicklungsprojekte nur einen sehr geringen Einfluss auf die Wahrnehmung des Staates durch die Bevölkerung. Gemeinden, welche überdurchschnittlich von Projekten profitiert haben, schätzen die staatliche Administration als genauso wenig hilfreich ein wie Gemeinden, die weniger von Projekten profitiert haben. Dies spricht dafür, dass es Entwick­lungsorganisationen bislang nicht ausreichend gelungen ist, staatliche Kapazitäten auf der lokalen Ebene zu fördern.

Die dritte Frage lässt sich eindeutig mit Ja beantworten: Entwicklungsprojekte wirken sich positiv auf die Haltung der Bevölkerung gegenüber den internationalen Akteuren aus. Gemeinden, welche überdurchschnittlich von EZ profitiert hatten, standen den internationalen Akteuren im Allgemeinen positiver gegenüber.

Die bislang vorliegenden Daten lassen noch keinen statistisch eindeutigen Rückschluss auf die Kausalität zu: Haben die Projekte die Haltung der Bevölkerung beeinflusst oder floss Entwicklungshilfe vornehmlich in Gemeinden, die den internationalen Helfern gegen­über bereits positiv eingestellt waren? Darüber kann abschließend erst die nächste Umfrage, die für 2009 geplant ist, Aufschluss geben.

Aus verschiedenen Gründen ist aber anzunehmen, dass Entwicklungsprojekte die Haltung der Bevölkerung positiv beeinflussen und so zu einem günstigeren Umfeld für die Mission insgesamt beitragen. Zwar zeigt die geographische Verteilung der Entwicklungsprojekte regionale Unterschiede, diese lassen sich aber durch die klimatischen und topographischen Bedingungen erklären. Es ist kein Muster zu erkennen, das darauf hinwiese, dass Entwicklungsprojekte nach bestimmten politischen Kriterien verteilt worden wären. Außerdem gab es in den Interviews mit Hilfsorganisationen keinerlei Hinweise darauf, dass sie die Gemeinden in wohlwollende und weniger wohlwollende einteilten und ihre Hilfe an solchen Kriterien ausrichteten.

Wichtiger vielleicht als dieses an sich positive ­Resultat ist, dass – allen logistischen und methodischen Schwierigkeiten zum Trotz – eine Wirkungsanalyse von Entwicklungsprojekten auch in Konfliktregionen mach­bar ist.

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