Demographischer Wandel

Spezifische Leiden

1950 waren weltweit rund 200 Millionen Menschen älter als 60 Jahre. 2050 werden es etwa 2 Milliarden sein. Erstmals wird es dann mehr Alte als Kinder unter 15 Jahren geben, und 80 Prozent von ihnen werden in Entwicklungsländern leben. Während die Industriestaaten erst reich und dann alt wurden, altern die Entwicklungsländer bereits im Stadium der Armut – und Senioren leiden besonders oft Not. Sie haben auch spezifische Gesundheitsprobleme. Von Micheal Bünte.
In Africa,  many grand parents become surrogate parents, raising grandchildren  whose parents died of AIDS. Christoph Gödan In Africa, many grand parents become surrogate parents, raising grandchildren whose parents died of AIDS.

Auf internationaler Ebene gibt es schon lange Bemühungen, das Recht alter Menschen auf ­soziale Absicherung und Teilhabe zu verankern. Die UN-Weltaltenkonferenz von 2002 verabschiedete den zweiten Weltaltenplan. Darin verpflichteten sich 159 Regierungen, die Belange älterer Menschen stärker zu fördern und Diskriminierung zu vermeiden.

Doch die Umsetzung lässt sehr zu wünschen übrig, wie ein aktueller Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navanethem Pillay, aufzeigt. Sie plädiert für eine neue UN-Konvention zum Schutz Älterer. HelpAge und eine internationale Allianz weiterer Altenrechtsorganisationen drängen darauf, die Lebensrealitäten von Millionen alter Menschen in den Entwicklungsländern und ihren Anspruch auf ein Leben in Würde ernst zu nehmen.

Die UN haben auf Initiative lateinamerikanischer Regierungen die Diskussion über eine neue Konvention oder andere Instrumente wie etwa einen Sonderberichterstatter für Ältere begonnen. Auch der Europarat debattiert das Thema; die Unterstützung für eine neue Konvention ist aber zurückhaltend. Die EU zeigt sich in der Open-Ended Working Group on Ageing der UN eher ablehnend. Auch die deutsche Bundesregierung erkennt Schutzbedarf, sieht aber keinen ausreichenden Anlass für eine neue Konvention. Dabei lässt sich nicht leugnen, dass der demographische Wandel erhebliche Folgen hat und die internationale Entwicklungspolitik darauf eingehen muss siehe Kasten auf Seite 33. Das gilt nicht nur, aber besonders für das Gesundheitswesen.

Nicht übertragbare Erkrankungen sind leise Killer. Ban Ki-moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen, bezeichnet sie als eine Katastrophe des Gesundheitswesens in Zeitlupe. Schlaganfall, Herzinfarkt, Krebs, Diabetes oder Demenz sind weltweit die Ursache für fast zwei Drittel der Todesfälle. 80 Prozent davon – jährlich 38 Millionen Tote – sind in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu beklagen.

Die Gesundheitspolitik der Entwicklungsländer muss sich dringend auf den Alterungsprozess der Bevölkerungen einstellen. Infektionskrankheiten wie Aids und Malaria oder Maßnahmen der Familienplanung beanspruchen dort bisher den größten Teil der Ausgaben im Gesundheitswesen. Dies wird auch durch die internationalen Entwicklungsagenturen und großen privaten Geldgeber forciert.

Fehlende Mittel für die Behandlung chronischer Erkrankungen sowie mangelnde Ausbildung und Sensibilität des Gesundheitspersonals sind Gründe für die schlechte Versorgung alter Menschen. In Gesundheitseinrichtungen werden sie regelmäßig aufgrund ihres Alters benachteiligt. Die gerontologische und geriatrische Ausbildung ist in den meisten Ländern kaum entwickelt.


Chronische Erkrankungen

Dass ältere Menschen besonders von nicht übertragbaren Krankheiten betroffen sind, erklärt sich eigentlich von selbst. Besonders deutlich wird dies bei Blindheit und Sehschwächen. Über 80 Prozent der Betroffenen sind älter als 50 Jahre. Die WHO geht davon aus, dass der Großteil dieser Sehschwäche leicht behandelbar wäre, wenn ausreichende ­finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt würden. Allein die Versorgung mit Brillen würde viele Probleme lösen. Auch wirtschaftlich würden sich Investitionen in die Behandlung sehr schnell rechnen. Einfache Operationen am Grauen Star können schon im ersten Jahr bis zu 1500 Prozent Ertrag durch eine erhöhte Arbeitsfähigkeit der Betroffenen erbringen.

Drei Millionen Menschen starben laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation weltweit im Jahr 2000 an Diabetes, genauso viele wie an HIV/Aids. Dabei spielt der sogenannte Altersdiabetes eine besondere Rolle. Zwei Drittel der 117 Millionen Menschen mit diesem Diabetes-Typ leben in Entwicklungsländern. Zwei Drittel der Menschen mit Alzheimer leben ebenfalls in diesen Ländern – und 98 Prozent von ihnen sind über 65 Jahre alt. Ihre Probleme werden bisher komplett von der Politik vernachlässigt, was familiäre und institutionelle Pflegesysteme vor immense Herausforderungen stellt.

Besonders Frauen sind von altersbedingten Leiden stark betroffen. Da sie durchschnittlich länger leben als Männer, sind sie auch öfter krank. Jedes Jahr erblinden 2,5 Millionen alte Frauen, denen mit entsprechender Vorsorge und Behandlung geholfen werden könnte. Zugleich erleben sie im Alter die Folgen vieler Geburten und harter Arbeit. Nur langsam wird sich die internationale Gemeinschaft der Benachteiligung alter Frauen bewusst. So beschloss der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau 2010 eine Empfehlung zum Schutz der Menschenrechte älterer Frauen. Auch in der HIV/Aids-Krise müssen Ältere berücksichtigt werden. Fast drei Millionen Menschen über 50 Jahre sollten weltweit infiziert sein. Sie werden allerdings durch Aufklärungskampagnen und Hilfsprojekte kaum erreicht.


Katastrophenmedizin

Klimawandel, Naturkatastrophen und Vertreibungen bedrohen alte Menschen wegen gesundheitlicher Einschränkungen und Isolation in besonderer Weise. Laut Rotem Kreuz sind jährlich 26 Millionen alte Menschen von Naturkatastrophen betroffen. In einem neuen Bericht stellen das Internal Displacement Monitoring Centre und HelpAge fest, dass 30 bis 65 Prozent der internen Vertriebenen über 60 sind, deutlich mehr als ihrem Bevölkerungsanteil entspricht.

Daraus folgt, dass auch die Katastrophenmedizin sich auf die speziellen Probleme dieser Alters­kohorten einstellen muss, was aber bislang kaum der Fall ist. In der internationalen Not- und Katastrophenhilfe werden weniger als ein Prozent der Mittel zugunsten alter Menschen eingesetzt. Zugleich übernehmen alte Menschen aber beispielsweise in Flüchtlingslagern große Verantwortung für Kinder, deren Eltern gestorben sind oder sich nicht um sie kümmern können. Entsprechend muss dafür gesorgt werden, dass alte Menschen so leistungsfähig wie möglich bleiben. Auch in Entwicklungs- und Schwellenländern müssen sich neue Ansätze in der Gesundheitspolitik darauf konzentrieren, ein aktives Altern zu ermöglichen. Hierzu gehört eine Lebenslauf-Perspektive, denn Investitionen in die Gesundheit und in eine gesunde Lebensweise in frühen Lebensphasen bedeuten geringere Kosten im Alter.

Doch bevor eine solche Politik umgesetzt wird und Früchte tragen kann, werden weiterhin Millionen ­ältere Menschen an nicht übertragbaren Erkrankungen leiden. Für sie eine angemessene Gesundheits­versorgung sicherzustellen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Jahre auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Deshalb muss ein Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung für alle geschaffen werden. HelpAge setzt sich aus diesem Grund international für den sogenannten Social Protection Floor ein. Dabei geht es nach UN-Vorstellungen unter anderem um gebührenfreie Gesundheitsversorgung. Anders kann das Recht auf Gesundheit armer Menschen nicht gesichert werden.

Hinweis des Autoren: Der Fotograf Christoph Gödan hat Südafrika und Tansania bereist. Sein Buch „Die großen Mütter“ mit Bildern und Interviews betroffener Frauen ist bei Help­Age für 25 Euro erhältlich http://www.helpage.de/aktuell.php?akt=bgoeda.

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