Editorial

Tradition und Moderne

Auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen geht die Einsicht zurück, dass Gesundheit und Bildung wesentliche Voraussetzungen für Entwicklung sind. Um Fortschritt voranzutreiben, brauchen Menschen ihre körperlichen und geistigen Kräfte.
A Tanzanian doctor at work. Reinhard Marscha/Lineair A Tanzanian doctor at work.

Allzu oft stürzen aber Krankheiten ganze Familien in die Armut, weil eine Erwerbsperson ausfällt oder die Behandlungskosten zu teuer sind. Körperliche Leiden schränken auch Bildungschancen ein – etwa wenn Kinder mit Behinderung nicht zur Schule gehen können, Studierende die Hochschule verlassen, um für ihre Familie Geld zu verdienen, oder wenn weibliche Heranwachsende zu Hause bleiben, um Angehörige zu pflegen. Letzteres wird angesichts des demographischen Wandels künftig sogar noch zunehmen. Der Anteil der alten Menschen an der Bevölkerung steigt längst auch in vielen Entwicklungsländern.   

Die internationale Gebergemeinschaft hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten mit nennenswertem, aber nicht überwältigendem Erfolg drei besonders drängenden Gesundheitsthemen gewidmet: der Reduzierung der Kindersterblichkeit, der Senkung der Müttersterblichkeit und der Eindämmung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose. Das Kalkül dabei war immer auch, dass Maßnahmen in diesen Bereichen das Gesundheitswesen insgesamt stärken. Das gelang nur bedingt, denn in vielen Entwicklungsländern blutet das Gesundheitswesen personell aus. Das begann oft in den 80er und 90er Jahren mit harten Kürzungen in Staatshaushalten, welche die Strukturanpassungsprogramme von Internationalem Währungsfonds und Weltbank hochverschuldeten Ländern abverlangten. Eine Konsequenz ist nun, dass es zu wenige und zu schlecht bezahlte Stellen im Gesundheitsweisen gibt, so dass viele gutausgebildete Fachkräfte in reichere Länder abwandern. Gute medizinische Versorgung kostet Geld.

Selbstverständlich ist Gesundheit nie nur der Verantwortungsbereich von Menschen in weißen Kitteln. Vorbeugen ist besser als heilen. Ohne Aufklärung und Verhaltensänderung können HIV/Aids oder Malaria auch gar nicht zurückgedrängt werden. Fortschritt hängt auch bei anderen Themen – von der Nutzung sicheren Trinkwassers bis hin zur Früherkennung von Krebs – von der aktiven Partizipation der betroffenen Menschen ab. Einschlägige Informationskampagnen müssen Menschen in ihrem Alltag erreichen – in Dörfern, in Schulen, auf städtischen Märkten, am Arbeitsplatz, in Kirchen, Moscheen und Tempeln.

Es gilt dabei nicht nur, Wissen zu vermitteln, sondern auch sicherzustellen, dass diejenigen, die den Ratschlägen folgen wollen, Ansprechpartner für ihre persönlichen Sorgen finden. Wer keinen Zugang zu Ärzten, Krankenschwestern und anderen kompetenten Helfern hat, ist nicht auf Dauer zu gewinnen. Angesichts des Mangels an Fachkräften führt kein Weg daran vorbei, traditionelle Heiler mit in die Gesundheitspolitik einzubeziehen. Das behagt akademisch gebildeten Experten oft nicht, denn die überlieferten Praktiken beruhen nicht unbedingt auf Wissenschaft und manche sind arg problematisch. Andererseits wirken aber viele traditionelle Methoden, und die Heiler, die sie anwenden, haben eine weitere große Stärke: Sie sind mit der Zielgruppe in Kontakt und genießen deren Vertrauen.

Statt Gegeneinander von moderner und traditioneller Medizin ist so viel Miteinander wie möglich nötig. Und dieses Miteinander dürfte dann auch zur allmählichen Modernisierung der traditionellen Medizin führen.

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