Unternehmensgründung

Geld im Dorf

Arme Ortschaften bleiben häufig benachteiligt, weil sie von den Ausgaben ihrer Einwohner nicht profitieren. Erfahrungen in Honduras zeigen jedoch, dass dies nicht so bleiben muss. Die Förderung der lokalen Wirtschaft kann mit dem beginnen, was bereits vorhanden ist.
Depending on local customers: rural retailer in Honduras. Sean Sprague/Lineair Depending on local customers: rural retailer in Honduras.

Armut bedeutet nicht unbedingt, dass die Menschen keinen Zugang zu Geld haben, sondern dass Geldflüsse fehlgeleitet sind. Wenn sie beispielsweise zu gering sind, um lokalen Händlern durch die Versorgung ihrer Nachbarn den Lebensunterhalt zu sichern, werden die Perspektiven für alle Beteiligten schlechter. In Lateinamerika zielen die meisten Ansätze zur Förderung lokaler Wirtschaftsentwicklung aber nicht auf die örtliche Geschäftstätigkeit ab.

Dagegen liefert der Ansatz „Apreciando lo nuestro“ (APLN – „Das Unsere wertschätzen“) vielversprechende Ergebnisse. APLN lenkt Geldflüsse in benachteiligte Gemeinschaften und lässt die Mittel dort zirkulieren. Die Kaufkraft soll so lange wie möglich an einem Ort bleiben.

Derzeit unterstützen Hilfsorganisationen die wirtschaftliche Entwicklung in der Regel mit Fortbildungsmaßnahmen oder Mikrokrediten. Beides kann zu Abhängigkeiten führen, was nicht Sinn der Sache ist.

Im Gegensatz dazu konzentriert sich die APLN darauf, die Nutzung dessen, was bereits vorhanden ist, zu optimieren. Das Konzept ist nicht in erster Linie darauf ausgelegt, dass Organisationen benachteiligten Menschen Finanzmittel bewilligen. Es geht vielmehr darum, sämtliche bereits bestehende Formen von Kapital zu nutzen. Dazu zählen alle natürlichen, sozialen, physischen und  wirtschaftlichen Ressourcen sowie die Fähigkeiten und die Arbeitskraft der Menschen selbst.

Es geht also um das, womit sie ihren Lebensunterhalt ohnehin schon bestreiten. APLN geht davon aus, dass Geld nicht die wichtigste Voraussetzung für Unternehmensgründungen sein muss, wenn andere Ressourcen ausreichend vorhanden sind. Wirtschaft und Handel können auch auf der Basis von Familienstrukturen, technischem und traditionellem Wissen, Netzwerken, brachliegenden Ressourcen und vielen anderen Dingen gedeihen.

Die zivilgesellschaftliche Social Trade Organisation (STRO) vertritt das APLN-Konzept. STRO wurde 1970 in den Niederlanden gegründet. Die Organisation un­terstützt Innovationen für die lokale Wirtschaft und bietet armen Gemeinschaften Kredite an, um deren Wirtschaftskraft zu steigern. Heute stützt sich STRO auf ein Netzwerk von verschiedenen lateinamerikanischen Initiativen, die mehrere europäische Organisationen mit Geld und Forschung fördern. STRO arbeitet seit 2003 in Honduras – und 2008 entstand APLN.

Die Idee wurde geboren, als ein STRO-Mitarbeiter Dorfbewohner beobachtete, die lange Warteschlangen bei einer örtlichen Bank in der Yoro-Region bildeten, um sich Überweisungen von Verwandten aus dem Ausland auszahlen zu lassen – was letztlich eine Form externer Hilfe ist. Die langen Schlangen waren normal, also schien es sinnvoll, ein Konzept zu entwickeln, das den Menschen in den Mittelpunkt der lokalen Wirtschaftsentwicklung stellt und jeden Einzelnen zum Agenten des Wandels macht. Auch benachteiligte Menschen können Veränderungen bewirken, wenn sie ihr Wirtschafsverhalten ändern und sich stärker auf bestehende Möglichkeiten besinnen. Sie sind nicht einfach nur Verbraucher, die auf Geld von außen angewiesen sind.

APLN wird in drei Stufen implementiert:

  • Zunächst werden alle finanziellen Zu- und Abflüsse analysiert.
  • Danach finden Gemeinschaftsworkshops statt, um das Verständnis für Finanzströme und andere ökonomische Zusammenhänge zu fördern und um Geschäftsideen zu entwickeln.
  • Schließlich befassen sich spezielle Workshops mit Themen wie Qualitätssicherung, Vernetzung, intelligentem Mittel­einsatz und lokaler Marktanalyse.  



Ökonomische Bildung

Die Workshops vermitteln den Menschen, dass  die Ursache ihrer Probleme nicht einfach Geldmangel ist, sondern dass ihre Gemeinschaft zu viel Geld außerhalb der ­eigenen Ortschaft ausgibt. Rollenspiele helfen, das zu verdeutlichen.

Die britische New Economics Foundation hat die Metapher des „löchrigen Eimers“ geprägt, die bei solchen Workshops sehr hilfreich ist. Der Eimer repräsentiert die Ortschaft, und das Wasser, das hineingefüllt wird, steht für das Geld, das in sie hineinströmt. Das Wasser fließt aber durch die Löcher, und der Eimer ist schnell leer, egal, wie viel Wasser hineingegossen wird. Das entspricht dem Geld, das  außerhalb der Ortschaft ausgegeben wird. Es wird deutlich, wie wichtig es ist, dass Menschen ihr Geld innerhalb ihrer Gemeinschaft verwenden, denn je häufiger es seinen Besitzer wechselt, desto mehr Einkommen entsteht.

Das Verhalten jedes Einzelnen zählt. Jeder kann zur Veränderung beitragen. Auch arme Menschen entscheiden, wo sie ihre Lebensmittel kaufen. Ein Supermarkt in der nächsten Stadt kann billiger sein als der Dorfladen. Aber wenn sich Menschen zusammentun und bei dem lokalen Händler Großeinkäufe tätigen, kann dieser seine Preise senken. Das Geld zirkuliert dann in der Nachbarschaft, ohne dass jemand mehr ausgibt als zuvor.

Zuverlässige Daten sind sehr wichtig. Ohne sie kann das wirtschaftliche Potenzial einer Gemeinde nicht akkurat bewertet werden. STRO befürwortet deshalb, Basisdaten zu erheben. In einem Fall zeigte sich, dass in einem Dorf nur 19 Prozent der kollektiven Einnahmen am eigenen Ort ausgegeben wurden, während 19 Prozent in andere Regionen und 62 Prozent in die nächst größere Stadt flossen. Die wichtigsten Gründe waren, dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen im Dorf  nicht verfügbar waren oder dass Qualität und Preise nicht stimmten.  

Auf dieser Grundlage lohnt es sich, Chancen und Marktnischen für lokales Unternehmertum auszuloten. Wenn die Leute beispielsweise Unterwäsche nicht in örtlichen Länden kaufen, weil kein Geschäft diese Ware führt, ist es sinnvoll, ­daran etwas zu ändern. Sobald Work­-shop-Teilnehmer solche Zusammenhänge verstehen, beginnen sie, ernsthaft über Geschäftsideen nachzudenken.


Lokale Verbrauchermacht

APLN fördert das Verbraucherbewusstsein. Es geht darum, den Menschen die Auswirkungen ihrer Konsumentscheidungen bewusst zu machen. Dafür erweist sich auch die folgende Übung immer wieder als hilfreich: Eine Person wird gebeten zu erzählen, wie viel sie oder er täglich für Softdrinks ausgibt. Der Betrag wird mit sieben Wochentagen, 30 Tagen im Monat und zwölf Monaten im Jahr multipliziert. Dann wird geprüft, wie viel vor Ort frisch gepresster Saft für dieses Geld hätte erworben werden können.

Aktuelle Zahlen zeigen, dass lokal gepresste Fruchtsäfte bis zu 30 Prozent günstiger sind. Die Ersparnis entspricht auf ein Jahr gerechnet 14 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns in Honduras. Derartige Beispiele sind sehr anschaulich und verändern das Verhalten der Menschen.

Sobald jeder die Vorteile des zirkulierenden Geldflusses versteht, verändern die Menschen in der Regel ihr Kaufverhalten. Als Folge eines APLN-Workshops kurz vor Weihnachten 2009 beschlossen die Einwohner des Dorfes Cuyamapa, mehr Geschenke in lokalen Geschäften zu kaufen. Sandra Montes, die Besitzerin des örtlichen Second-Hand-Geschäfts, setzte all ihre Waren innerhalb weniger Tage ab. Sie sagte, dass dies recht ungewöhnlich war.

Eine heimische zivilgesellschaftliche Organisation fördert APLN in Honduras. Bisher nahmen 4580 Menschen an den Workshops zur ökonomischen Bildung teil. Rund 140 neue Unternehmen wurden in dem Zweijahreszeitraum 2009/2010 gegründet. 90 Prozent kommen ohne finanzielle Unterstützung von außen aus. Ende 2012 waren etwa 190 neue Geschäftsideen in der Entstehung.

Die Erfahrung zeigt, dass der innovative Ansatz von APLN zur Förderung von Unternehmensgründungen wirksamer ist als die klassischen Methoden: Nach einem Jahr Laufzeit waren 30 Prozent der neuen Firmen weiterhin im Geschäft. STRO-­Statistiken belegen, dass der lokale Geldfluss in Gemeinden, in denen Workshops von APLN angeboten wurden, um 16 Prozent gesteigert werden konnte.

Derzeit entwickeln vier Institutionen in Zentralamerika den APLN-Ansatz ­weiter und passen ihn jeweils an die vor Ort ge­gebenen Bedingungen an. Die APLN-Teilnehmerin Celia Cárdenas sagt: „Jeder Mensch muss herausfinden, was er mit dem Bestehenden anfangen kann.“ Anstatt auf Finanzmittel  von außen zu setzen, baut dieser Ansatz auf bereits bestehendes, vielfältiges Kapital vor Ort auf und stärkt damit das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen der Menschen. Beides ist für lokale Wirtschaftsentwicklung hochrelevant.


Carolina Carias arbeitet in Honduras als freie Beraterin für die zivilgesellschaftliche Social Trade Organisation aus den Niederlanden.
carias@socialtrade.org
diana.fajardo@socialtrade.org

Links:
http://www.apreciandolonuestro.org/
http://www.socialtrade.org/

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