Heutzutage

Raue Zeiten für Indiens Anti-Korruptionsbewegung

Indien hat in den vergangenen Jahren millionenschwere Gaunereien erlebt, in die Politiker und Unternehmen verwickelt waren. Den Staatsapparat halten die Leute mehr und mehr für bestechlich und bereit, allen mög­lichen Privatinteressen nach­zugeben, wenn dabei nur etwas herausspringt. Schmiergeld prägt längst das ganze Leben.

In landesweiten Protesten haben 2011 Massen ihrer Empörung darüber Luft gemacht. Einfluss­reiche und bekannte Personen unterstützten die Bewegung. Darunter waren Filmstars, Yoga-Gurus und pensionierte Polizisten. Die Medien sprachen von „Indiens Tahir-Platz-Bewegung“ und „Jasmin Revolution“.

Anderthalb Jahre später ist die Euphorie vorbei. Die Bewegung macht harte Zeiten durch. Die Öffentlichkeit sieht große Skandale nicht als Beispiele für systemisches Versagen, sondern als persönliche Kämpfe zwischen Prominenten. Die Bewegung hat sich extrem gegen Politiker positioniert, was ihr den Vorwurf eintrug, sie untergrabe die Demokratie. Gleichzeitig schuf sie eine neue Öffentlichkeit für Personen mit eigenen politischen Ambitionen. Der Glanz des Aufbruchs ist vergangen, die Leute sind der Dauer­mobilisierung müde geworden.

Es ist eine Sache, mit Anti-Schmiergeld-Slogans zu mobi­lisieren, und eine ganz andere, das Interesse am Thema über langwierige Verhandlungen hinweg wachzuhalten, in denen Verantwortlichkeiten definiert und eine Amtsgewalt zur Korruptionsbekämpfung geschaffen werden sollen. Anfangs stand die politische Klasse wegen der riesigen Demonstrationen unter Schock und war Vorschlägen gegenüber aufgeschlossen. Da der öffentliche Druck schwindet, weist sie jetzt aber die meisten Forderungen zurück.

Die Bewegung hat sich unlängst geteilt. Ein Flügel meidet die Politik, der andere will als Aam Aadmi Party (Partei des Einfachen Mannes) weitermachen. Das Dilemma ist: Es ist einerseits unmöglich, das zutiefst poli­tische Problem der Bestechlichkeit auf unpolitische Weise zu lösen. Andererseits kann Parteipolitik vom Kernproblem ablenken, und wer Wahlämter anstrebt, wird oft selbst in Machenschaften verstrickt.

Deshalb sollte systematischer Wandel einhergehen mit der Stärkung der Zivilgesellschaft. Das Recht auf Information (Right to Information Act, RTI) von 2005 ist dabei sehr wichtig. Es kann Transparenz und Verantwortlichkeit fördern, denn es berechtigt Bürger zu behördlicher Auskunft. Sie haben Anspruch darauf, zu erfahren, warum Kredite verweigert oder Rentenauszahlungen verzögert werden. Staatliche Stellen müssen Anfragen innerhalb einer Frist beantworten. Richtig genutzt, wird RTI die Rechenschaftspflicht erhöhen.


Die Hürden sind allerdings groß. Nur 13 Prozent der ländlichen und 33 Prozent der urbanen Bevölkerung wissen, dass es das Gesetz gibt. RTI-Aktivisten werden von Politikern eingeschüchtert, einige wurden sogar getötet. Zivilgesellschaftliche Organisationen können dieses Gesetz aber systematisch nutzen, um Regierungshandeln zu verbessern. Wenn sie sich unter­einander abstimmen und unterstützen, können sie sich auch gegenseitig schützen.

Korruptionsbekämpfung muss im Alltag verankert werden. Sie braucht breite Unterstützung. Die Zivilgesellschaft muss in mühsamer Detailarbeit sicherstellen, dass staatliche Stellen Rechenschaft ablegen. Euphorisierende Kundgebungen reichen nicht.

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