Staatsstreich

Opfer rehabilitieren

Vor fünf Jahrzehnten erlitt Indonesien eines seiner schlimmsten Traumata. Ein Militärputsch stürzte Präsident Sukarno, der das Land in die Unabhängigkeit geführt hatte. Das neue Regime machte brutale Jagd auf Kommunisten. Diese Geschichte muss aufgearbeitet werden.
Meinungsbekundung in Jakarta: Die Schrift auf dem Schirm besagt: „Klärt den Fall 1965/66 auf.“ Donal Husni/picture-alliance/NurPhoto Meinungsbekundung in Jakarta: Die Schrift auf dem Schirm besagt: „Klärt den Fall 1965/66 auf.“

Die Gewalttäter von 1965/66 töteten vermutlich eine Million Menschen. Das ist eine Schätzung; exakte Zahlen gibt es nicht. Militärdiktator Suharto blieb drei Jahrzehnte an der Macht und sorgte dafür, dass gründliche Ermittlungen oder Forschung unmöglich waren. Er versetzte die Nation, die sich gemeinsam gegen niederländischen und japanischen Imperialismus gewehrt hat, in Angst. Mit Kommunisten verwandt zu sein – oder auch nur als befreundet zu gelten – konnte Tod, Folter, Haft oder Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten.

Seit 1965 sind in Indonesien zwei Generationen herangewachsen. Heute herrscht Redefreiheit, es gibt unabhängige Medien und unbegrenzten Internetzugang. Die Geschichte der Suharto-Diktatur wurde aber nicht systematisch aufgearbeitet. Was passierte, ist nicht Allgemeinwissen, und die Aversion gegen alles „Linke“ bleibt groß.

Eine breite Volksbewegung beendete 1998 Suhartos Herrschaft. Abdurrahman Wahid, der 1999 zum Präsidenten gewählt wurde und zwei Jahre im Amt blieb, entschuldigte sich öffentlich bei den Opfern Suhartos. Leider blieb seine Haltung eine Ausnahme.

Historische Forschung war nun aber möglich. Intellektuelle gründeten in Jakarta die Yayasan Penelitian Korban Pembunuhan 1965/1966 (Ermittlungsstiftung für die Opfer der Massaker von 1965/1966). Sie stieß auf gewalttätigen Protest, als sie die Exhumierung von Massengräbern in Zentraljava vorantrieb.

Im Kaliworo-Forst wurden 2001 die Knochen von Menschen gefunden, die wegen Kommunismusverdachts getötet worden waren. Angehörige der Dorfbevölkerung beobachteten die Grabungen. Gerippe wurden zur forensischen Untersuchung nach Jogjakarta gebracht, wo der Verbrechensverdacht bestätigt wurde.

Die Nachricht von solch systematischer Beschäftigung mit der Vergangenheit verbreitete sich schnell. Die Emotionen kochten hoch, und manche politischen Kräfte fühlten sich angegriffen. Eine Gruppe selbsternannter patriotischer Muslime griff im März 2001 die religionsübergreifende Feier an, bei der die Gebeine wieder bestattet werden sollten. Sie schlugen Teilnehmer, zerbrachen Urnen und verstreuten Knochen. Offenkundig riskierte, wer die düstere Geschichte aufklären wollte, Ärger.

Das ist noch immer so. Von Januar 2015 bis 2016 haben Behörden und nichtstaatliche Agitatoren mindestens 40 Veranstaltungen verhindert, bei denen zivilgesellschaftliche Organisationen über 1965/66 diskutieren wollten.

Dennoch hat es Fortschritt gegeben. Im ganzen Land sind Massengräber dokumentiert worden. Kleine örtliche Tribunale haben Raum für Wahrheit und Versöhnung geschaffen. Die Nationale Menschenrechtskommission hat 2012 sogar einen Bericht verfasst, dessen Empfehlungen allerdings auf Eis gelegt wurden.

Um mehr zu erreichen, haben indonesische und internationale Menschenrechtsorganisationen in Den Haag ein International People‘s Tribunal 1965 veranstaltet. Der Abschlussbericht erschien jetzt im Sommer. Er wirft dem Suharto-Regime schwere Menschenrechtsverletzungen vor und fordert unter anderem:

  • Die gegenwärtige Regierung Indonesiens soll die Gewalttaten eingestehen.
  • Sie soll sich bei den Opfern entschuldigen und diese rehabilitieren.
  • Verantwortliche sollen vor Gericht gestellt werden.

Ähnliche Vorschläge hatte die Nationale Menschenrechtskommission gemacht.

Es bleibt also viel zu tun. Unter anderem müssen Schulbücher revidiert werden. Bislang beruht das Wissen der Indonesier fast ausschließlich auf individuellen Zeugenaussagen von Opfern und Tätern, die zum Teil in Büchern und Filmen dokumentiert wurden. Um die Traumata zu überwinden, muss solches Wissen durch systematische historische Analysen ergänzt werden. Noch prägen Gerüchte und Anekdoten viele divergierende Interpretationen der Ereignisse.

Indonesiens Regierung und Behörden sollten die Empfehlungen des International People’s Tribunal beherzigen. Indonesien wird eine stärkere Nation sein und besser Verantwortung übernehmen können, wenn es seine Geschichte kennt und versteht.


Edith Koesoemawiria ist freie Journalistin.
hidayati@gmx.de

 

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