Sustainable Development Goals

Die globale Dimension

Alle Regierungen verfolgen für ihre Länder eine Energiepolitik. Ob diese jedoch internationalen Interessen dient, ist fraglich. Wenn Geberländer und internationale Finanzinstitutionen wollen, dass Entwicklungsländer auf erneuerbare Energien umsteigen, müssen sie diese dabei unterstützen.
Im Durchschnitt verbringt eine Familie in Myanmar rund 20 Stunden im Monat mit der Feuerholzsuche. Jean-Leo Dugast/Lineair Im Durchschnitt verbringt eine Familie in Myanmar rund 20 Stunden im Monat mit der Feuerholzsuche.

Jedes Land hat – abhängig vom Entwicklungsstand – seine eigenen Bedürfnisse und Prioritäten. Das macht es schwierig, ein gemeinsames, universell gültiges Energieziel zu definieren. Das wollen die UN aber im Rahmen der Sustainable Development Goals (SDG) erreichen, die 2015 auf die Millenniumsentwicklungsziele folgen werden.

Das japanische Institut für globale Umweltstrategien hat in drei asiatischen Ländern Fallstudien durchgeführt. Die Ergebnisse aus Myanmar, Vietnam und Indien zeigen, dass die globalen Nachhaltigkeitsziele für Energie so flexibel gestaltet werden müssen, dass sie zu unterschiedlichen Entwicklungsstufen, Ressourcen und Infrastrukturen passen. Zudem müssen die Ziele so ehrgeizig sein, dass sie zum Wandel motivieren. Die Entwicklungsländer werden derweil kaum auf fossile Brennstoffe verzichten, wenn sie dabei nicht unterstützt werden. In diesem Essay stellen wir drei Fallstudien vor und ziehen daraus Schlüsse für die multilaterale Agenda.


Myanmar

Myanmar hat eine sehr niedrige Elektrifizierungsrate. Bestenfalls ein Drittel der Haushalte verfügt über Strom. Die große Mehrheit (95 %) aber ist zum Kochen und Heizen weiterhin auf Festbrennstoffe wie Holz und Reisstroh angewiesen. Auf dem Dorf verbringt eine Familie durchschnittlich 233 Stunden pro Jahr damit, Brennholz zu sammeln – das sind rund 20 Stunden im Monat. Das beschleunigt die Entwaldung und hemmt zugleich die Produktivität.
 
Im Jahr 2010 lag der Stromverbrauch in Myanmar pro Kopf bei gerade einmal 121 Kilowattstunden. Laut UN erfordert eine moderne Energieversorgung 2000 Kilowattstunden pro Person. Die Diskrepanz ist also enorm. Um die Lage zu verbessern, muss Myanmar nicht nur mehr Strom erzeugen, sondern ihn den Menschen auch zugänglich machen.

In den vergangenen zehn Jahren ist der Stromverbrauch in Myanmar jährlich um durchschnittlich sieben Prozent gestiegen. Das Land verfügt über einen relativ „sauberen“ Stromsektor, denn rund 61 Prozent der Elektrizität werden in Wasserkraftwerken erzeugt, weitere 34 Prozent durch Erdgas. Es gibt ein riesiges, ungenutztes Potenzial für mehr Wasserkraft.

Dennoch plant Myanmar zusätzliche Kohle- und Gaskraftwerke, um den wachsenden Energiebedarf zu decken. Die Regierung hält Wasserkraft in der Trockenzeit für unzuverlässig. Durch den Aufbau einer neuen, auf fossilen Brennstoffen beruhenden Infrastruktur käme es zu Lock-in-Effekten; das Land wäre bei der Energieerzeugung langfristig festgelegt. Internationale Geber sollten die politische Führung lieber von vielversprechenderen Technologien überzeugen. Eine ambitionierte internationale Energie-Nachhaltigkeitsagenda könnte dabei helfen.

Die meisten thermoelektrischen Kraftwerke Myanmars könnten erheblich effizienter arbeiten. Viele Gasturbinen sind nicht auf dem neuesten Stand. Bislang hat das Land aber weder Gesetze oder Vorschriften, um Energieeffizienz zu fördern, noch eine dafür zuständige staatliche Institution. Auch hier könnten multilaterale Ziele und die Haltung der Geber etwas ausrichten.

Wie viele andere Länder hat auch Myanmar seine eigenen nationalen Ziele für Stromerzeugung, Energieeffizienz und die Nutzung erneuerbarer Energien. Das nationale Ziel ist es, den Anteil der elektrifizierten Haushalte von 27 Prozent im Finanzjahr 2011/12 auf 45 Prozent im Jahr 2020/21 und schließlich auf 80 Prozent in 2030/31 zu erhöhen.

Um das zu erreichen, reicht es nicht, einfach mehr Strom zu erzeugen. Auch das Stromnetz muss erweitert werden. Das nationale Ziel ist es, in den kommenden Jahren das Netz um jährlich 8,5 Prozent auszuweiten. Heute sind die meisten ländlichen Regionen nicht an das Stromnetz angeschlossen. Nur 4,5 Prozent der 62 218 Dörfer in Myanmar haben Anschluss, weitere 23 Prozent der Dörfer werden dezentral versorgt. Folglich sind 73 Prozent der Dörfer überhaupt nicht elektrifiziert – Millionen von Menschen haben keinen Zugang zu Strom.

Der Anteil erneuerbarer Energien in Myanmar ist dank Wasserkraft recht hoch. Wird die fossile Stromerzeugung weiter gefördert, sinkt dieser Anteil aller Wahrscheinlichkeit nach. Derzeit liegt die Wasserkraftleistung bei 2660 Megawatt. Andere erneuerbare Energien hingegen spielen mit einer Leistung von rund 150 Megawatt kaum eine Rolle.

Der Bereich erneuerbare Energien wird jedoch nicht vernachlässigt. Die Regierung will diese Kapazitäten bis zum Jahr 2015 um mehr als das Dreifache auf 500 Megawatt erhöhen. Das ist ein ehrgeiziges Ziel und übertrifft das, was die UN-Initiative „nachhaltige Energie für alle“ (SE4ALL) vorgeschlagen hat. Diese im Jahr 2011 von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gestartete Initiative wird von multilateralen Entwicklungsbanken und anderen internationalen Institutionen unterstützt. SE4ALL fordert letztlich, dass sich der Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 verdoppelt. Das Beispiel Myanmar zeigt, dass SE4ALL nicht ambitioniert genug ist, um hier noch politisch etwas anzustoßen.


Vietnam

Vietnam hat mit 98 Prozent eine hohe Elektrifizierungsrate. Fast alle Menschen haben Zugang zu Strom, aber es muss schnellstmöglich mehr erzeugt werden. Laut UN sollte die Kapazität bei mindestens 2000 Kilowattstunden pro Kopf liegen, in Vietnam sind es bislang jedoch nur etwa 1000 Kilowattstunden.

2011 hat Vietnam einen nationalen Energieentwicklungsplan bis zum Jahr 2020 erstellt, der bis 2030 vorausblickt. Zwischen 2015 und 2030 will die Regierung Stromerzeugung und -import um das Drei- bis Vierfache erhöhen. Erneuerbare Energien haben Priorität – es ist geplant, dass diese von 3,5 Prozent im Jahr 2010 auf 4,5 Prozent bis 2020 und auf 6,0 Prozent bis 2030 steigen sollen.

Die Regierung will auch die Energieeffizienz steigern (zum Beispiel im ländlichen Raum – siehe Kasten auf S. 419). Pro Prozentpunkt Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigt der Energieverbrauch bislang um 1,5 bis 2 Prozent. Ziel bis 2020 ist, dass sich bei einem Anstieg des BIP von einem Prozent auch der Energieverbrauch nur um ein Prozent erhöht.

Leider geht Vietnam davon aus, dass bis 2030 noch mehr als 56 Prozent des gesamten Stroms mit Kohle erzeugt wird. Eine ambitionierte globale Agenda könnte Hanoi dazu motivieren, stärker auf erneuerbare Energien zu setzen. Übrigens stimmen die vietnamesischen Pläne mit den SE4All-Zielen überein. Wie in Myanmar treibt SE4ALL die Entwicklung auch hier nicht mehr voran.


Indien

Indien ist ein riesiges Land. Es hat die zweitgrößte Bevölkerung und das achtgrößte BIP der Welt. Obwohl Indiens CO2-Ausstoß pro Kopf noch recht gering ist (unter zwei Tonnen), ist es nach China und den USA der drittgrößte CO2-Verursacher. Die Zukunft des Weltklimas hängt somit maßgeblich von diesem Land ab. Es ist von internationaler Bedeutung, inwieweit Indien erneuerbare Energien und Energieeffizienz fördert.

In Indien herrscht große Armut, die Elektrifizierungsrate liegt bei nur 75 Prozent. Fast 290 Millionen Menschen haben keinen Strom. Die indische Regierung verlässt sich noch überwiegend auf fossile Brennstoffe. Sie hat ihr Budget für erneuerbare Energien kürzlich erhöht, das Budget für Energie aus fossilen Brennstoffen aber noch mehr erhöht. Innenpolitisch hat sinnvollerweise Priorität, das gesamte Land mit Strom zu versorgen. Aus globaler Perspek­tive ist es aber katastrophal, wenn das auf einen höheren CO2-Ausstoß hinausläuft. Um Indien von diesem Kurs abzubringen, bedarf es stringenterer multilateraler Ziele und der Unterstützung der Geber. Die reichen Länder und internationale Finanzinstitutionen müssen den Wandel fördern, ansonsten wird dieses riesige Land nicht auf erneuerbare Energien umstellen. Es ist nachzuvollziehen, dass die Regierung schnell die Stromerzeugung steigern will. Das gilt auch für andere Entwicklungsländer, in denen große Armut herrscht. Jedoch ist keines dieser Länder so groß wie Indien – die Auswirklungen auf das globale Klima sind somit weniger fatal.


Fazit

Es ist nicht leicht, Energie-Nachhaltigkeitsziele zu definieren, die für alle Länder passen und den Umschwung zu erneuerbaren Energien tatsächlich beschleunigt. Unsere Fallstudien legen aber nahe, dass gut konzipierte SDGs diesen Ansatz in Entwicklungsländern fördern würden. Allerdings dürfen diese nicht nur den Anteil erneuerbarer Energien in Prozentzahlen vorgeben; sie sollten auch Zahlen zu Energieeffizienz, zum Gesamtenergieverbrauch und zum Zugang der Menschen zu moderner Energie beinhalten.

Geberländer und internationale Finanzinstitu­tionen sollten den grünen Fortschritt in Entwicklungsländern, die Armut reduzieren müssen, unterstützen. Globale Nachhaltigkeit ist nur zu erreichen, wenn die internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung gerecht wird.

 

Tetsuro Yoshida ist Forschungsleiter am Institut für globale Umweltstrategien (IGES) in Tokio.
t-yoshida@iges.or.jp

Noriko Shimizu ist Politikwissenschaftlerin am gleichen Institut. Das Autorenpaar dankt für die Unterstützung aus dem „Projekt zu nachhaltiger Transformation 2015“, das vom japanischen Umweltminis­terium finanziert wurde.
shimizu@iges.or.jp
http://www.iges.or.jp/en/

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