Ebola-Epidemie

Ins brennende Haus – und zwar schnell

Nicht zufällig haben die von der westafrikanischen Ebola-Epidemie am härtesten betroffenen Länder nach langen Bürgerkriegen nur fragile Staaten. In Liberia, Sierra Leone und Guinea misstrauen viele Menschen öffentlichen Institutionen und folgen deren Anweisungen nicht. Jegliche Infrastruktur ist schwach. Diese Krise erfordert massive internationaler Hilfe, wie Joanne Liu von Ärzte ohne Grenzen in ihrem hier dokumentierten Appell an die UN in New York am 2. September erläuterte.
Krankenschwester von Ärzte ohne Grenzen mit Schutzkleidung in Guinea. picture-alliance/dpa Krankenschwester von Ärzte ohne Grenzen mit Schutzkleidung in Guinea.

Sechs Monate nach dem Ausbruch der schlimmsten Ebola-Epidemie der Geschichte, ist die Welt dabei, den Kampf zu verlieren. Die Politik bekommt die transnationale Bedrohung nicht in den Griff.

In Westafrika steigt die Zahl der Ebola-Fälle und Toten. Es gibt Unruhen. Die Isolierstationen sind überlastet. An vorderster Front infiziert sich Gesundheitspersonal und stirbt in schockierend hoher Zahl. Andere medizinische Helfer sind aus Angst geflohen, so dass Patienten mit ganz gewöhnlichen Krankheiten nicht mehr behandelt werden. Das Gesundheitswesen bricht zusammen. 

Ebola-Behandlungszentren sind nur noch Orte, an die Menschen kommen, um allein zu sterben, und die kaum mehr als Schmerzbehandlung bieten. Es ist unmöglich, der riesigen Zahl von Infizierten, die in die Zentren kommen, gerecht zu werden. In Sierra Leone verrotten infektiöse Leichen in den Straßen. Anstatt neue Ebola-Behandlungszentren in Liberia zu schaffen, müssen wir Krematorien bauen.

Vorige Woche schätzte die WHO, binnen drei Monaten sei in Liberia, Sierra Leone und Guinea die alarmierende Zahl von 20 000 Infizierten zu erwarten. Wir befinden uns auf unbekanntem Terrain. Die Übertragungsraten sind hoch wie nie zuvor, und der Virus verbreitet sich schnell in Liberias Hauptstadt Monrovia.

Ich stehe hier als Präsidentin einer medizinisch-humanitären Organisation, die seit dem Epidemie-Ausbruch an der Front arbeitet. Meine Kollegen haben mehr als zwei Drittel der offiziell als infiziert gemeldeten Patienten betreut. Obwohl wir im vergangenen Monat die Zahl unserer Mitarbeiter verdoppelt haben, muss ich Ihnen sagen, dass sie völlig überfordert sind.

Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) schlägt bereits seit Monaten Alarm, aber die Reaktion darauf war zu schwach und kam zu spät. Die Epidemie begann vor sechs Monaten, wurde aber erst am 8. August zum Notfall für die öffentliche Gesundheit von internationaler Bedeutung“ erklärt. Auch wenn Finanzzusagen, Einsatzpläne und die Suche nach möglichen Impfstoffen und Arzneien willkommen sind, reicht das nicht, um die Epidemie heute zu stoppen.

Die vergangenen sechs Monate lang haben wir verloren. Wir müssen in den nächsten drei siegen. Das können wir. Viele der Mitgliedsstaaten, die hier vertreten sind, haben massiv in die Erforschung der Abwehr biologischer Bedrohungen investiert. Jetzt haben Sie die politische und humanitäre Verantwortung, dieses Wissen sofort in von Ebola betroffenen Ländern einzusetzen.

Um die Epidemie zu stoppen, müssen Staaten sofort ihre zivilen und militärischen Kapazitäten zur Kontrolle von Bio-Hazards einsetzen. Ich fordere Sie auf, Ihre Katastropheneinsatzteams mit bestmöglicher logistischen Unterstützung ins Feld zu schicken. Dies sollte in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Ländern geschehen.

Anders werden wir die Epidemie nie in den Griff bekommen. Die Prioritäten sind jetzt:

  • Ausbau der Isolierstationen,
  • Einsatz mobiler Labors, um die Diagnose-Fähigkeit zu stärken,
  • Spezifische Luftbrücken, um Personal und Material nach und innerhalb von Westafrika zu transportieren, und Die Schaffung eines regionalen Lazarettnetzwerks, um Gesundheitspersonal zu versorgen, dass tatsächlich oder vermutlich infiziert ist.

Während die Bio-Hazard-Teams die Arbeit vor Ort unterstützen, müssen die WHO und andere öffentliche Gesundheitsorganisationen den Ebola-Bekämpfungsplan umsetzen.

Wir müssen auch den Kollaps der staatlichen Infrastruktur anhalten. Das Gesundheitswesen Liberias ist zusammengebrochen. Frauen mit Schwangerschaftskomplikationen können sich nirgendwohin wenden. Malaria und Durchfall, eigentlich leicht vermeid- und behandelbare Krankheiten, verlaufen tödlich. Krankenhäuser müssen wieder eröffnet und neu eingerichtet werden. Zudem müssen wir die kollektive Haltung ändern, die bisher die Reaktion auf die Epidemie prägt. 

Zwangsmaßnahmen wie die Kriminalisierung versäumter Meldungen von Verdachtsfällen oder Zwangsquarantäne treiben Menschen in den Untergrund. Als Folge werden Infektionen verheimlicht und Kranke vom Gesundheitswesen fern gehalten. Diese Maßnahmen haben nur Angst und Unruhe geschürt, statt das Virus einzudämmen.

UN-Mitglieder können sich nicht auf den Schutz ihrer eigenen Grenzen beschränken. Nur wenn wir die Epidemie an der Wurzel packen, können wir ihrer Herr werden. Dies ist eine transnationale Krise, mit sozialen, ökonomischen und sicherheitsrelevanten Folgen für den afrikanischen Kontinent. Handeln ist jetzt Ihre historische Verantwortung. Wir können die betroffenen Länder nicht isolieren und hoffen, dass die Flammen dieser Epidemie von selbst erlöschen. Um dieses Feuer zu löschen, müssen wir ins brennende Haus – und zwar schnell.

 

Joanne Liu ist die internationale Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen/ Médecins Sans Frontières (MSF).
http://www.doctorswithoutborders.org

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