Multilaterale Politik

Am Wendepunkt

Die Abschlusserklärung des High Level Forum on Aid Effective­­­ness (HLF) in Busan Ende 2011 war ein historischer Wendepunkt. Erst­mals gelang es, alle Beteiligten einschließlich der auf­strebenden Schwellenländer auf einen übergeordneten Handlungsrahmen zu verpflichten. Nun muss entschieden werden, wie die globale Übereinkunft mit Leben gefüllt wird.

Von Thomas Fues

Das internationale System der Entwicklungspolitik durchläuft eine turbulente Übergangsphase. Die Dominanz der traditionellen Geber, die dem Entwicklungsausschuss Development Assistance Committee (DAC) der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) angehören, zerfällt. Feste Konturen für ein weltweit akzeptiertes neues Regelwerk gibt es bislang nicht, denn aufstrebende Mächte – ­insbesondere China, Indien und Brasilien – engagieren sich zwar verstärkt in Entwicklungsländern, sind aber nicht bereit, DAC-Standards zu übernehmen. Dazu trägt bei, dass die DAC-Mitglieder ihre eigene Reformagenda zur Steigerung der „Aid Effectiveness“ nur halbherzig umgesetzt haben.

Widersprüchliche Bilanz

Das alte System der westlich dominierten Entwicklungspolitik erodiert. Das liegt auch an der widersprüchlichen Erfolgsbilanz des DAC. Auf sein Betreiben hin einigte sich ein multilateraler Gipfel 2005 auf die Paris ­Declaration on Aid Effectiveness. Ihre Grundprinzipien sind Eigenverantwortung („Ownership“) der Entwicklungsländer, Anpassung an deren Verfahren und Institutionen, Ergebnisorientierung, wechselseitige Rechenschaft und Geberharmonisierung. Das Ziel war, die Wirkung der Entwicklungspolitik zu verbessern.

Umfangreiche unabhängige OECD-Evaluierungen weisen aber nur geringe Fortschritte der traditionellen Geber auf, was etwa Schlüsselindikatoren wie Geberfragmentierung, Transaktionskosten, Partnerausrichtung und wechselseitige Rechenschaftspflicht angeht. Insgesamt haben die Empfängerländer mehr getan, um die Pariser Prinzipien Wirklichkeit werden zu lassen.

Der „Club der Industrieländer“ hat es auch nicht geschafft, aufstrebende Süd-Mächte zu integrieren. Ein anfangs gehaltvoller Dialog mit China konnte die Ablehnung des Landes gegenüber der OECD nicht aufbrechen. Auch Brasilien und Indien distanzieren sich vom DAC, das sie als westlich dominiert wahrnehmen. Die Regierungen dieser Länder haben die Paris Declaration ausdrücklich nicht in ihrer Eigenschaft als Geber, sondern nur als Empfänger von Entwicklungshilfe unterzeichnet. Aus ihrer Sicht gelten die Pariser Prinzipien auch nicht für die Süd-Süd-Kooperation.

Einen gewissen Fortschritt verspricht indessen die Abschlusserklärung von Busan. Sie stellt die Gründung einer Global Partnership for Effective Development in der ersten Hälfte dieses Jahres in Aussicht. Erstmals unterzeichneten die Regierungen großer Schwellenländer das Dokument in ihrer Eigenschaft als Geber.

Die Ausgestaltung der Globalen Partnerschaft ist sehr wichtig. Die Verhandlungen darüber sollen Ende Juni nach Redak­tionsschluss dieser Ausgabe von E+Z/D+C abgeschlossen werden. Die große Frage ist, ob sich die internationale Entwicklungspolitik auf eine leistungsfähige multilaterale Ordnung zubewegt oder ob ein zunehmend fragmentiertes, an Doppelstrukturen und Rivalitäten krankendes System fortbesteht.

Vielversprechend ist, dass es dem DAC gelang, viele Entwicklungsländer in seine Aid Effectiveness Agenda zu integrieren. Dabei handelt es sich sowohl um klassische Partnerländer (Empfänger) als auch um Mitteleinkommensländer, die gleichzeitig als Empfänger und Geber auftreten. Kolumbien, Ägypten und Thailand beispielsweise distanzieren sich von den BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) und suchen die Nähe zum DAC. Auch Schwellenländer wie Mexiko, Südkorea und Chile, die mittlerweile selbst der OECD beigetreten sind, haben keine Probleme mit dem DAC.

Vor diesem Hintergrund war das Ergebnis von Busan zufriedenstellend. Südkorea gelang es als Gastgeber, durch diplomatischen Druck widerstrebende Schwellenländer zur Unterstützung des Abschlussdokuments zu bewegen. Der Preis dafür war jedoch, dass die aufstrebenden Mächte sich in ihrer Eigenschaft als Geber nicht zur Anwendung der Pariser Prinzipien verpflichteten. Für sie gelten diese Regeln nur als freiwilliger Orientierungsrahmen.

Jetzt vollzieht sich der Übergang in eine neue Ära der Entwicklungspolitik. In der Global Partnership ist das DAC nur einer von vielen Mitspielern und kann anderen seine Konzepte nicht aufzwingen. Wichtig ist, dass sich die Global Partnership nicht als zahnlos entpuppt.

Chancen und Risiken nach Busan

Ende Juni 2012 läuft das Mandat der DAC-Arbeitsgruppe zur Aid Effectiveness aus. Die so genannte Post Busan Interim Group, die den Wechsel zur Global Partnership vorbereitet, favorisiert eine neue institutionelle Struktur. Dabei sollen
– das DAC und das UNDP (UN Development Programme) gemeinsam das Sekretariat übernehmen,
– drei gleichberechtigte Vorsitzende von den drei Ländergruppen „Empfänger“, „Geber“ und „gleichzeitige Empfänger und Geber“ gestellt werden,
– alle 18 bis 24 Monate Gipfel auf Ministerebene stattfinden und
– ein repräsentativer Steuerungsausschuss aus zwölf bis 14 Personen die Arbeit kontinuierlich begleiten.

Das wäre eine Art sinnvolle Minimal-lösung. Sie böte eine Plattform für Dialog und gemeinsames Lernen auf geringem Ambitionsniveau. Während für die Paris Declaration ein großer bürokratischer Aufwand auf internationaler Ebene betrieben wurde, bliebe der Aufwand diesmal gering. Implementierung und Monitoring sollen vorrangig auf Länderebene stattfinden. Im Verhandlungsjargon ist von „global light“ und „country heavy“ die Rede. In neun Arbeitsgruppen (building blocks) können sich interessierte Akteure zu innovativen Allianzen zusammenschließen. Themen sind zum Beispiel Privatwirtschaft, Klimafinanzierung, Transparenz sowie Ergebnisse und Rechenschaftspflicht.

Das Konzept hat aber auch Schattenseiten. Durch die institutionelle Neugründung entstünde ein weiterer Fall von „Club Governance“ außerhalb bestehender Strukturen und die entwicklungspolitische Landschaft würde weiter fragmentiert. Dies wäre besonders dann der Fall, wenn die großen Schwellenländer gar nicht oder nur zum Schein mitwirken. Offen bleibt auch, wer die neuen Gremien und Formate finanziert. Springen hier letztlich wieder nur einige Industrieländer ein, wird der Post-Busan-Prozess als Fortführung der DAC-Agenda wahrgenommen und wenig Legitimität genießen.

Statt als freischwebender Club zu arbeiten, sollte sich die Global Partnership besser im Rahmen des Development Cooperation Forums der UN konstituieren. Dieses bislang ohne größere Beachtung tagende Gremium wurde 2005 auf dem UN-Reformgipfel beschlossen und tritt im zweijährigen Rhythmus zusammen – so auch im Juli 2012. Es könnte also den Ball sofort aufnehmen.

Zukunftsaussichten

Für die Zukunft der internationalen Zusammenarbeit ist die Positionierung der klassischen Partnerländer wichtig. Befürworten sie ein globales Rahmenwerk, das Geber und Empfänger gleichermaßen bindet, stehen auch die großen Schwellenländer unter Kooperationsdruck. Allerdings bleibt die Interessenlage der Entwicklungsländer unklar. Möglicherweise wünschen wichtige Stimmen aus diesem Lager gar keine Harmonisierung auf Geberseite.

Derzeit äußern beispielsweise chinesische Entwicklungsakteure Offenheit für Dreieckskooperationen mit westlichen Gebern. Gleichzeitig vermitteln sie jedoch, dass ihre Partner in Afrika genau daran kein Interesse hätten. Dort scheint es attraktiv, die Geber wie in Zeiten des Kalten Kriegs gegeneinander auszuspielen.

Kommende Großmächte wie China, Indien und Brasilien brauchen politische Strategien für ihr wachsendes internationales Engagement. Sie müssen entscheiden, ob sie „auf eigene Faust“ agieren oder ob sie pragmatischen Erfahrungsaustausch und koordiniertes Vorgehen mit Industriestaaten bevorzugen.

Die BRICS haben die Gründung einer eigenen Entwicklungsbank angekündigt. Das deutet auf strategische Distanz zu den westlich dominierten Strukturen hin. Gleichzeitig scheinen beteiligte Länder aber auch bereit, ihre finanzielle Beteiligung an Weltbank und Internationalem Währungsfonds aufzustocken, wenn ihre Stimmrechte an ihre wachsende weltwirtschaftliche Bedeutung angepasst werden.

Die Industrieländer müssen entscheiden, wie wichtig ihnen eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Empfänger- und Schwellenländern ist. Dazu müssten sie über neue Prinzipien für die internationale Entwicklungspolitik verhandeln und alte Versprechen einhalten. Zugleich sollte ihr entwicklungspolitisches Engagement alle Bereiche ihrer auswärtigen Beziehungen durchziehen (policy coherence for development) und transparente Verfahren der wechselseitigen Rechenschaftspflicht befolgen.

Vertrauen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für internationale Entwicklungspolitik. Wechselseitiges Misstrauen blockiert sowohl die aufstrebenden Mächte als auch die Industrieländer. Dialog, gemeinsames Lernen und pragmatische Politikkoordinierung sind ohne Zweifel sinnvoll. Möglich wäre zum Beispiel die Unterstützung der Schwellenländer beim Aufbau eigener entwicklungspolitischer Organisationen. Die Zusammenarbeit in multiplen Akteurskonstellationen bei der Gestaltung regionaler und globaler Agenden trägt ebenfalls zum Vertrauensaufbau bei. Hier könnten die Industrieländer proaktiv tätig werden und einen Erfahrungsaustausch anstoßen, auch im Hinblick auf eigene Defizite und Fehlentwicklungen.

Ohne gemeinsame strategische Handlungsprogramme und aufeinander abgestimmte Politikkonzepte in der Entwicklungszusammenarbeit können Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer den globalen Herausforderungen nicht gerecht werden. Globale öffentliche Güter wie Umweltschutz, Krisenprävention und Armutsbeseitigung können offenkundig nur durch abgestimmte Politik gewährleistet werden. Die Globale Partnership kann zum Erfolg einen wichtigen Beitrag leisten.

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