Bürgerengagement

Zurück zu den Graswurzeln

Zivilgesellschaftliche Organisationen in der Republik Niger haben es schwer. Die gesetzlichen Grundlagen sind da – doch es fehlt an Geld, Bildung und Mitgliedern. Wenn Entwicklungsorganisationen helfen wollen, sollten sie ganz unten ansetzen.

Von Michael Konow

Im Niger hat die Zivilgesellschaft auf den ersten Blick keine guten Karten: Eine Kultur des Bürgerengagements ist kaum entwickelt und doch dringend nötig. In den letzten Jahren jedoch schlossen sich immer mehr Menschen zusammen. Gab es 1988 noch weniger als 30 zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGO), zählten ausländische Entwicklungsorganisationen 2007 schon knapp 800. Die nationale Entwicklungsstrategie spricht sogar von 5000 Graswurzelorganisationen, 600 Vereinen und fünf Gewerkschaftsverbänden. Auch der Handwerkssektor, der für die nigrische Volkswirtschaft besonders wichtig ist, organisiert sich zunehmend. Der nationale Dachverband Fédération Nationale des Artisans du Niger (FNAN) umfasst über 500 Basisorganisationen, in denen rund 80 000 Handwerker organisiert sind.

Die Basisorganisationen können gerade im kommunalen Bereich die Lebensverhältnisse der Bevölkerung verbessern. Zum Beispiel helfen sie, Gemeindeentwicklungspläne zu entwerfen. Oder sie arbeiten wie in Niamey mit den staatlichen Ausbildungszentren zusammen. Gemeinsam führten Handwerksorganisationen hier die duale Ausbildung (in Betrieb und Berufsschule) ein, erstellen Lehrpläne und wählen Lehrlinge aus.

Die Rechtslage begünstigt das Aufblühen der Zivilgesellschaft: ZGOs dürfen frei gegründet werden und nahezu uneingeschränkt arbeiten. Sie dürfen Netzwerke bilden und genießen einige Garantien und Privilegien. Der Staat kann sie vom Zoll sowie sämtlichen direkten und indirekten Steuern, Gebühren und Abgaben befreien. Die neue Verfassung des Niger erwähnt sie erstmalig explizit im Artikel zur Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit.

Schlechte Ausbildung und Korruption

Dennoch kämpfen die Organisationen mit zahlreichen Problemen. Ihnen mangelt es an Geld; manche können nicht einmal ihre laufenden Ausgaben decken. Die meisten sind auf ehrenamtliches Engagement angewiesen – doch ihre Mitglieder sind arm und können es sich nicht leisten, für Ehrenamt die Arbeit zu vernachlässigen. Gerade nigrische Handwerker leben wegen der Konkurrenz durch asiatische Billigprodukte und aufgrund mangelnder öffentlicher Aufträge am Existenzminimum.

Viele Organisationen hängen deshalb von externer Finanzierung ab. Von staatlicher Seite gibt es kaum Zuwendungen, wohl aber von internationalen Entwicklungsprogrammen. Beispiele sind der Appui au renforcement des capacités des organisations de la société civile des UNDP und das Programme d’Appui à la Société Civile au Niger der EU. Die Entwicklungsagenturen zahlen den ZGOs viel Geld für die Teilnahme an Schulungen, Workshops, Konferenzen oder für Posten innerhalb der Organisation. Leider ruft das einen gewissen Projektopportunismus hervor – manche Organisationen geben vor, in den unterschiedlichsten Bereichen tätig zu sein. Dabei sind die Weiterbildungen häufig nicht an das niedrige Bildungsniveau der Teilnehmer angepasst.

Mit nur 28,7 Prozent der über 15-Jährigen ist Niger das Land mit der zweitniedrigsten Alphabetisierungsrate unter Erwachsenen weltweit. Gerade die Mitglieder handwerklicher ZGOs haben zudem meist nie gelernt, einfache administrative Vorgänge effizient durchzuführen. Interne Regelungen wie Satzungen, die oftmals von externen Beratern erarbeitet wurden, verstehen oder beachten sie nicht. Ihnen fehlen grundlegende Kenntnisse im Projektmanagement und Erfahrung mit der Planung, dem Monitoring und der Evaluierung von Aktivitäten.

Ein weiteres Problem ist Korruption. Die nigrische Demokratie ist noch nicht gefestigt. Selbst der einstige Hoffnungsträger Mamadou Tandja nahm zum Ende seiner Herrschaft autoritäre Züge an, was zu einem Militärputsch und einer einjährigen Unterbrechung der noch jungen Demokratie führte. Beim Corruption Perception Index 2011 von Transparency International steht Niger auf Platz 134 von 182 und wird als „sehr korrupt“ eingestuft. Das schlägt sich auch auf die ZGOs nieder. Ihre Vor-sitzenden kumulieren oft Ämter inner- und außerhalb ihrer Organisation. Für einige dient ihre Organisation nur dazu, sich für politische Ämter in Stellung zu bringen. Fehlende Transparenz und Misstrauen zwischen Mitgliedern und Führung sind weit verbreitet.

Ausgesprochen schwierig ist es für die nigrische Zivilgesellschaft auch, mit der Regierung zu verhandeln. Mangelnde Bildung ist ein Grund dafür, außerdem fehlen ihr oft die Mittel zur direkten politischen Mitwirkung und Lobbybildung. Viele nehmen zudem eher eine Erwartungshaltung gegenüber dem Staat und der internationalen Gebergemeinschaft ein. Nach Jahren autoritärer Regime haben sie zu wenig Erfahrung in politischen Beteiligungsprozessen. Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben wird seitens der Bevölkerung noch nicht als Recht verstanden und Rechenschaftslegung der Regierung noch nicht als Pflicht.

In kleinen Dimensionen denken

Die Entwicklungshilfe möchte die Zivilgesellschaft im Niger stärken. Sie unterstützt vor allem Netzwerke, Dachverbände und Plattformen, um möglichst viele der Mitglieder zu erreichen. Theoretisch ist das richtig – funktioniert in der Praxis aber selten. Denn noch sind selbst die Basisorganisationen meist zu schwach, um starke Dachorganisationen hervorzubringen. Die grundlegenden Schwierigkeiten der Dachverbände bei der Organisation, Kommunikation, Finanzierung und Legitimation konnte die ausländische Hilfe deshalb bisher nicht lösen:
Organisation: Der Handwerksverband FNAN – zum Beispiel – hat bereits acht regionale Dachverbände als Mitglieder. Einige Entwicklungshilfeagenturen fördern nun die Gründung von zusätzlichen Dachverbänden auf Ebene der Departements und Kommunen. Diese müssen mit einem Jahresbudget von unter 1000 Euro teils über 10 000 Mitglieder – die meist selbst noch schlecht organisiert sind – koordinieren. Eine nahezu unmögliche Aufgabe.
Kommunikation: Dachorganisationen haben ihren Sitz meistens in Niamey oder in den sieben Regionshauptstädten. Die Entfernungen zu den Mitgliedsorganisationen sind enorm. Für einen regen Austausch bräuchte es funktionierende Informationssysteme, was die Dachverbände aber nicht forcieren können. Zunächst muss die Kommunikation innerhalb der Mitgliedsorganisation stimmen.
Finanzierung: Für die Mitgliedsorganisationen ist es schon schwer, Beiträge einzusammeln, die ihre eigenen Ausgaben wie Telefonate, SMS oder Sprit decken. Wenn sie zusätzlich noch einen Teil der Beiträge an die Dachorganisation weiterleiten müssen, haben sie nicht nur selber weniger Geld – sie können auch ihre Mitglieder schwerer überzeugen zu zahlen.
Legitimation: Handwerker zahlen meist nur dann Beiträge, wenn sie kurzfristig und vor Ort einen Nutzen für sich sehen. Viele fragen sich skeptisch, was die FNAN mit ihrem Geld macht. Solch mangelndes Vertrauen und Zweifel an der Legitimität eines Dachverbandes sorgen für Unruhe und erschweren die Arbeit.

Solange die nigrische Zivilgesellschaft noch in den Kinderschuhen steckt, sollte Entwicklungshilfe besser einzelne vielversprechende ZGOs fördern – wie die Co­opérative du Centre des métiers d’art du Niger. Diese leistet nicht nur regional erfolgreiche Lobbyarbeit, sondern präsentiert ihr Land auch auf internationalen Handwerksmessen. Solche Organisationen könnten dann Keimzelle und Triebkraft für größere Zusammenschlüsse werden.

Mehr als physische Präsenz

Trotz aller Schwierigkeiten aber nimmt die Partizipation der Zivilgesellschaft im Niger zu: Der Staat holte sie bei der Erstellung der nationalen Entwicklungsstrategie mit ins Boot, am laufenden Monitoringprozess und bei Evaluierungen ist sie auch beteiligt. Die neue Verfassung erarbeitete ein Konsultativrat, in dem auch einzelne handwerkliche ZGOs vertreten waren. Das ist auch bei der momentanen Erarbeitung einer nationalen Handwerkspolitik der Fall. Die größte nationale Handwerksmesse Salon International de l’Artisanat pour la Femme (SAFEM) wird von einer 150-köpfigen Kommission geplant, der statuarisch ein Drittel Handwerker angehören muss.

Auch wenn sich die Partizipation der ZGOs in diesen Gremien bisher oft nur auf physische Anwesenheit beschränkt, sind die Voraussetzungen für eine stärkere Beteiligung also da. Entwicklungshilfe kann diesen Prozess durch Qualifizierungsmaßnahmen und Förderung von Ownership stärken.

Gerade in Ländern wie Niger, die am Anfang ihrer wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklung stehen, sollte man aber zuerst in kleinen Dimen­sionen denken. Die Arbeit an der Basis und die langjährige Begleitung von Graswurzelorganisationen sind nachhaltiger als Maßnahmen auf der Makroebene. Das Instrument Entwicklungshelfer hat sich als ebenso effizient wie kostengünstig erwiesen. Das sollte im Reformprozess der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auf keinen Fall vergessen werden.

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