Vorreiterrolle

Nötige Anpassung

Indien wird den Klimawandel voraussichtlich stark spüren. Der Nordosten des Landes zum Beispiel ist besonders betroffen. Gletscherschmelzen, häufigere Überschwemmungen und lange Dürren sind wahrscheinlich. Bevölkerungswachstum und zunehmender Wohlstand setzen zugleich die natürlichen Ressourcen unter enormen Druck. Die KfW Entwicklungsbank kooperiert mit der indischen Regierung, um die Lage wissenschaftlich abzuschätzen. Es geht darum, die Risiken richtig zu verstehen und Anpassungsmaßnahmen auf der Basis solider Zahlen zu planen.

Von Marcus Stewen und Nand Kishor Agrawal

Nordostindien beheimatet etwa 40 Millionen Menschen und macht fast acht Prozent der Gesamtfläche des Landes aus. Die Region umfasst die acht Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Mani­pur, Meghalaya, Mizoram, Nagaland, Tripura und Sikkim. Das Klima ist vorwiegend subtropisch humid. Die Sommer sind heiß, die Monsune heftig und die Winter mild. Die nordöstlichen Bundsstaaten gehören zu den rückständigsten Indiens, weshalb die Zentralregierung sie finanziell besonders unterstützt.

Die Region leidet bereits unter den Folgen des Klimawandels. Aufgrund ihrer einzigartigen Lage und Topographie weist sie besondere Niederschlags- und Entwässerungsmuster auf. Von März bis Mai liefern Gewitter etwa 20 Prozent des jähr­lichen Niederschlags. Von Juni bis September bringt der Monsun weitere 70 Prozent. Diese Jahreszeit ist von regelmäßigen Überschwemmungen geprägt, da die Schneeschmelze im Himalaya und sintflutartige Regenfälle den gewaltigen Fluss Brahmaputra weiter anschwellen lassen. Jedoch variieren die Regenfälle wegen des Klimawandels zunehmend, was ebenfalls Probleme schafft. Die Auswirkungen auf die Menschen, den Viehbestand und die Felder sind verheerend und werden schlimmer.

Lange war der Nordosten für die Klimaforschung ein weißer Punkt auf der indischen Landkarte. Andere Gegenden sind besser erforscht. Um die Lücke zu schließen, haben indische Wissenschaftler kürzlich bestehende Daten zusammengetragen, geprüft und in den nötigen Kontext gestellt. Sie wurden von Prof. N. H. Ravindranath vom Indian Institute of Science geleitet und von der KfW Entwicklungsbank im Auftrag der deutschen Bundesregierung im Rahmen des indischen North East Climate Change Adaption Programme (NECCAP) unterstützt: Das NECCAP ist weltweit einer der ersten Versuche, Klimatrends für eine große Region zu untersuchen, um Anpassungsmaßnahmen auf Basis wissenschaft­licher Begründung zu finanzieren.

Gefährliche Trends

Die gesammelten Daten zeigen, dass aktu­elle Klimatrends in Indiens Nordosten auch zwischen 2021 und 2050 (siehe Karte) andauern werden. Die Analyse der Makrodaten wurde durch empirische Stichproben vor Ort ergänzt („ground-truthing“). Es besteht kein Zweifel, dass Niederschlags- und Temperaturmuster sich verändern.

Auf der Basis von Daten des Indian Meteorological Department (IMD) belegt die neue Studie einen Langzeittrend zu regional stärkeren Niederschlägen zwischen 1901 und 2007. Sie bestätigt zudem, dass es in der Region im letzten Jahrzehnt deutlich wärmer wurde. Dabei steigen sowohl die gemessenen Minimal- als auch die Maximalwerte rapide an.

Die Klimavorhersagen deuten an, dass diese Trends sich in Zukunft verschärfen werden. Die Durchschnittstemperatur soll in fast allen nordöstlichen Distrikten von 2021 bis 2050 um 1,7 Grad steigen – in einigen sogar um mehr als zwei Grad (siehe Karte). Der Niederschlag wird vermutlich in 57 von 78 Distrikten zunehmen, teilweise um fast 25 Prozent. Die Zahl der extremen Regenfälle pro Jahr wird ebenfalls um bis zu 26 Prozent steigen. Entsprechend wird es mehr Überschwemmungen geben.

Solche Informationen zum Klimawandel müssen im Kontext sozioökonomischer Trends wie Mangel, Analphabetentum und einer weiter aufklaffenden Schere zwischen Arm und Reich gesehen werden. Die Studie soll schließlich nicht nur eine Datenbasis liefern, sondern Trends aufzeigen, um die Gefährdung bestimmter Zielgruppen durch den Klimawandel auf eine Weise aufzuzeigen, die für politische Eingriffe und konkrete Investitionen nützlich ist.

Tatsächlich erlauben die Daten Entscheidungsträgern, Distrikte nach ihrer Verletzlichkeit auszuwählen und zu bevorzugen. Es kommt darauf an, Interventionen nach ihrem Potenzial zu wählen und die Anpassungsfähigkeit der Menschen zu stärken – und zwar dort, wo Klimaveränderungen Menschen und Ökosysteme besonders bedrohen.

Für das geplante Programm besteht eine klare Methodik zur Auswahl von Dis­trikten. Berücksichtigt werden geographische und soziale Aspekte. Zunächst werden „No-go“-Distrikte ausgeschlossen. An solchen Orten ist das politische Risiko – zum Beispiel wegen Rebellenbewegungen – zu groß, um Investitionen zu tätigen. Anschließend werden die vom Klima am stärksten bedrohten Distrikte in die engere Wahl gezogen. Dabei wird differenziert zwischen Bedrohungen der Landwirtschaft, des Waldes, des Grundwassers und der Bedrohung durch Hochwasser und Fluten. Aus dieser Gruppe werden die Distrikte mit der größten Armut ausgewählt, weil bei ihnen von der geringsten Anpassungskompetenz ausgegangen werden kann. Dieses Verfahren führte zur Auswahl von 15 von 57 Distrikten in den fünf am NECCAP teilnehmenden Bundesländern Assam, Nagaland, Meghalaya, Mizoram und Sikkim.

Technische Kriterien sind natürlich ebenfalls relevant. In jedem Fall aber müssen regionale und lokale Akteure in die Entscheidungen einbezogen werden. Maßnahmen zur Beteiligung der Öffentlichkeit sind im Gange. Grundidee ist hier, die wissenschaftliche Analyse mit lokalen Kenntnissen zu ergänzen.

Die KfW wird die Anpassungsmaßnahmen des NECCAP mit fast 80 Millionen Euro unterstützen. Es wird davon ausgegangen, dass indische Behörden den Gegenwert von 21 Millionen Euro beisteuern werden. Derzeit formulieren die Landesregierungen von Assam, Nagaland, Meghalaya, Mizoram und Sikkim Aktionspläne, in denen die Maßnahmen eingebettet werden.

Lokale Prioritäten

Die Anpassungsmaßnahmen werden von Bundesstaat zu Bundesstaat und von Dis­trikt zu Distrikt unterschiedlich sein und den spezifischen Gegebenheiten dort entsprechen:
– In Assam liegt das Hauptaugenmerk auf dem Schutz vor Überschwemmungen im Flachland. Klimawandel macht außerdem Erosionsschutz sowie besseres Management der Wasserressourcen in Höhenlagen nötig.
– Nagaland, Meghalaya und Mizoram liegen höher und sind besonders an der Verbesserung der vorherrschenden landwirtschaftlichen Methode interessiert. Hier geht es um Optimierung des Wanderfeldbausystems („jhum“), bei dem Felder eine Weile bestellt werden und dann zur Erholung brach liegen. Ein weiterer Schwerpunkt ist hier der Schutz von gemeinschaftlich genutzten Wäldern mit hoher Artenvielfalt.
– In Sikkim liegt der Fokus auf der Ero­sionsprävention und dem Schutz und der Erschließung von Quellen. Abnehmende Niederschläge bedrohen die sichere Versorgung der Haushalte mit Trinkwasser – zumindest in jenen Tälern, die im Schatten des Monsuns liegen.

Die Liste der möglichen Maßnahmen umfasst, ist aber nicht beschränkt auf:
– Ausbau von Wasserressourcen in wasserarmen und erosionsanfälligen Regionen (etwa Bau von Dämmen und Wasserreservoirs, die auch zur Fischzucht oder zum Reisanbau genutzt werden können; Quellenerschließung),
– Rehabilitation von Wassereinzugs- und Feuchtgebieten,
– Optimierung des Wanderfeldbaus in Gebirgsregionen,
– Flussuferbepflanzung zum Schutz vor Überschwemmungen und Einkommensschaffung sowie Aufforstung von Hochwassergebieten,
– bessere Agrarpraktiken (wie die Einführung überschwemmungs- und dürrere­sistenten Saatguts) und
– Schaffen von breitgefächerten Einkommen für besonders vom Kli-
­mawandel gefährdete Gemeinschaften.

Es ist kein Zufall, dass diese Liste nach ländlicher Entwicklung klingt – es geht aber um mehr, nämlich um den klaren Bezug zur Anpassung an den Klimawandel. Armut kommt vor allem in abgelegenen Gegenden vor, und traditionelle Bauern sind eine besonders verwundbare Zielgruppe. Offensichtlich verfügen Subsistenzbauern nicht über viele Ressourcen. Die meisten von ihnen haben keine formelle Bildung, und dürften mit dem Treibhauseffekt, auf sich alleingestellt, nicht fertig werden.

Um die Effektivität der geplanten Anpassungsmaßnahmen sicherzustellen, werden sie in ein System zur Planung von Landnutzung und ländlicher Entwicklung eingebunden. Dieses System greift auf Dorfebene ganzheitlich. Es soll gewährleisten, dass alle Schritte lokalem Bedarf entsprechen. Andererseits wird es auch groß angelegte, eigenständige Projekte geben, für die die Mikroplanung auf Dorf­ebene zu kleinteilig wäre. Das gilt etwa für die Rehabilitation von Feuchtgebieten oder den Schutz von Eichenwäldern im Hochland. Dabei soll bei allen Maßnahmen die Relevanz zur Klimaanpassung begründet werden.

Weltweit ist Indiens North East Cli­mate Change Adaption Programme
(NECCAP) eines der ersten, das die Konsequenzen des Klimawandels wissenschaftlich abzuschätzen versucht und daraus Prioritäten für Anpassungsmaßnahmen auf lokaler Ebene ableitet. Konkrete Maßnahmen werden besonders zugunsten armer, zumeist von Landwirtschaft lebender Menschen umgesetzt.

Das Programm darf nicht mit konventioneller ländlicher Entwicklung verwechselt werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Bewältigung von Risiken, die durch den Treibhauseffekt entstehen, und auf Dis­trikten, in denen die Menschen einschlägigen Gefahren besonders ausgesetzt sind. NECCAP verknüpft auf vorbildliche Weise Wissenschaft und Politik. Es verdient, international nachgeahmt zu werden.

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