PEGNet

Enorme Komplexität

Der Lebensstil der reichen Nationen ist weiterhin das weltweite Modell, obwohl er nicht nachhaltig ist. Die UN entwickeln Sustainable Development Goals, um die Menschheit in Richtung „grünes Wachstum“ zu lenken und verbinden das mit den Post-2015-Zielen, um Armut zu beseitigen. Beides ist leichter gesagt als getan.

Von Hans Dembowski
Biodiesel anzubauen geht nicht zu Lasten der Ernährungssicherheit, wenn auf den Feldern ohnehin Exportgüter angebaut werden: Zuckerrohrfarm in Tansania. Ron Giling/Lineair Biodiesel anzubauen geht nicht zu Lasten der Ernährungssicherheit, wenn auf den Feldern ohnehin Exportgüter angebaut werden: Zuckerrohrfarm in Tansania.

Morten Elkjaer leitet im dänischen Außenministerium das Referat für „Green Growth“. Deutsche Entwicklungsexperten loben die skandinavischen Nachbarn dafür, dass sie solch ein Referat haben. Allerdings sagt Elkjaer, er wisse nicht genau was grünes Wirtschaftswachstum ist.

Der Begriff ist zwar politisch sinnvoll, wurde aber weder von Ökonomen noch von Naturwissenschaftlern präzise definiert. Die internationale Staatengemeinschaft braucht ein klareres Konzept. Denn die UN wollen Sustainable Development Goals (SDGs) definieren und zugleich die Armut weiter bekämpfen, wenn der Zeitrahmen der Mil­lennium Development Goals (MDGs) 2015 abläuft. Es steht bereits fest, dass nicht alle MDGs pünktlich  erreicht werden.

Armutsbekämpfung an sich ist eine komplexe Herausforderung. Die MDGs gingen von der Definition aus, dass arm ist, wer mit weniger als der Kaufkraft von 1,25 Dollar am Tag auskommen muss. Hildegard Lingnau von der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) hält diese Definition für unzureichend. Andere Dinge wie Zugang zu Gesundheits- und Bildungswesen seien nämlich auch wichtig. Obendrein müsse auch mit nationalen Armutsdefinitionen gearbeitet werden, weil diese dem Alltagsverständnis der Menschen entsprechen. Lingnau besteht auch da­rauf, dass die SDGs Ungleichheit in den Blick nehmen sollten. Die UN dürften sich nicht damit begnügen, nur extreme Armut zu eliminieren.

Es ist schwierig, exakte Daten über multidimensionale Armut oder Ungleichheit zu erheben. Wissenschaftler haben zwar verschiedene Indices entwickelt, sie beruhen aber auf umfassenden Statistiken. Die meisten Entwicklungsländer haben gar nicht die nötigen Kapazitäten, um diese zu erstellen. Geberregierungen sollten deshalb mehr tun, um die entsprechenden Behörden zu stärken, schlug Lingnau im Oktober bei der diesjährigen PEGNet-Konferenz in Kopenhagen vor. PEGNet ist das Kürzel für „Poverty Reduction, Equity and Growth Network“. Zum Netzwerk gehören Forschungsinstitute und Durchführungsorganisationen aus aller Welt.

Armut mit Daten präzise zu erfassen ist eine Herausforderung. Die ökologischen Folgen menschlichen Handelns zu messen, ist noch schwieriger. Für sicher gehaltene Einsichten können sich leicht als falsch erweisen. James Thurlow, ein südafrikanischer Forscher vom International Food Policy Research Institute in ­Washington, wendet sich beispielsweise gegen die verbreitete Meinung, dass Agrar­treibstoffproduktion immer zu Lasten der Ernährungssicherheit in den Anbauländern geht. Er räumt ein, dass diese Gefahr besteht, wo die Landwirtschaft bisher nur Nahrung für den örtlichen Konsum produziert. Das sei aber anders, wo der Anbau von Energierohstoffen mit dem Anbau anderer Exportgüter konkurriert. „Warum ist es okay, wenn Malawi Tabak anbaut, aber nicht, wenn es die Grundlage für Ethanolerzeugung schafft?“, fragt er.

Thurlow hat untersucht, was Zuckerrohranbau für die Agrartreibstoffherstellung für Tansania bedeuten würde. Seine ökonomischen Modelle zeigen, dass bäuerliche Kleinbetriebe so Armut deutlich ­reduzieren könnten. Großfarmen wären ebenfalls hilfreich, aber nicht in demselben Maße.

Dennoch rät Thurlow zu großen Plantagen – und zwar aus ökologischen Gründen. Die Kleinbetriebe bräuchten nämlich deutlich mehr Land, um dieselbe Menge Zuckerrohr anzubauen, und geeignete Böden stünden nur in begrenztem Umfang zur Verfügung. Wälder abzuholzen, um Platz für Felder zu schaffen, würde derweil großen ökologischen Schaden anrichten.   

Thurlows Beispiel zeigt, dass die Realität von gängigen Annahmen abweichen kann. Erfreulicherweise können auch politische Positionierungen fortschrittlicher sein als erwartet. Seit dem Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro gilt als selbstverständlich, dass Entwicklungsländer nicht freiwillig in Klimaschutz investieren werden, weil die reichen Länder, die das Problem verursacht haben, auch über das Geld verfügen, etwas dagegen zu tun.  

Dennoch hat Vietnam kürzlich eine Green-Growth-Strategie verabschiedet und eine nationale Verantwortung für Klimaschutz anerkannt, wie Anne Zimmer vom Potsdam Institut für Klimafolgenabschätzung berichtet. Zu den Gründen für das Umdenken gehöre,

  • dass Vietnams lange Küste vom Treibhauseffekt besonders bedroht ist,
  • dass Energiesubventionen und Brennstoffimporte den Staatshaushalt belasten, und
  • dass die Luftverschmutzung große Sorgen bereitet.

Der wichtigste Faktor war Zimmer zufolge aber wohl die Aussicht auf Klimafinanzierung. Geberregierungen wenden in der Tat einen steigenden Anteil ihrer ODA (official development assistance) für Klimaschutz auf. Laut Zimmer hofft Vietnam als Vorreiter mit guten Vorschlägen solches Geld anzuziehen. Es falle der Regierung zunehmend schwer, konventionelle ODA-Mittel zu akquirieren, nachdem sie die Armut seit den frühen 1990er Jahren erheblich zurückgedrängt hat.  

Es bleibt freilich umstritten, ob ODA auch für Klimaschutz verwendet werden soll. Grundsätzlich wurde in Rio 1992 beschlossen, dass Geber für diesen Zweck zusätzliches Geld bereitstellen sollen. Die dänische Regierung sagt dazu, sie wende 0,8 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung für ODA auf und betrachte alles, was über die versprochenen 0,7 Prozent hinausgehe, als zusätzlich. Die meisten Geberländer haben aber das 0,7-Prozent-Versprechen nie erfüllt. Darüber wird bei künftigen Klimaverhandlungen wieder gestritten werden. Bei der PEGNet-Konferenz betonte ein Ökonom aus Malawi, Ronald Mangani, den benachteiligten Ländern stehe „unkondi­tionierte Hilfe“ zu, um mit Gefahren, die sie nicht geschaffen haben, zurecht zu kommen. 

Um Entwicklung auf Nachhaltigkeit umzustellen, muss vielfach umgedacht werden. Einige Lehren bleiben aber gültig. So sagt beispielsweise der dänische Diplomat Elkjaer, dass Bildung für Frauen und das Recht auf reproduktions-medizinische Versorgung auch mit Blick auf die Umweltfolgen des Bevölkerungswachstums wichtig sind. In ähnlichem Sinne bleibt es auch wichtig, allen Menschen Zugang zu Finanzdienstleistungen zu verschaffen. Jahangir Alam Chowdhury von der University of Dhaka hat erforscht, wie Unwetteropfer in Bangladesh klarkommen. Seine Daten zeigen, dass diejenigen, die Zugang zu Krediten, Versicherungen und Sparsystemen hatten, schneller der Not wieder entkamen. Hans Dembowski
 

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