Editorial

Risikoinvestition

Entwicklungspolitik ist aus strukturellen Gründen verglichen mit anderen Regierungsressorts besonders intransparent. Die Öffentlichkeit reicher Nationen interessiert sich nicht im Detail dafür, was mit dem geringen Teil der Steuermittel geschieht, den ihre Regierungen dafür aufwenden, arme Länder zu unterstützen. In Deutschland zum Beispiel ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nur für etwas mehr als zwei Prozent des Bundeshaushalts zuständig. Und in den Entwicklungsländern gilt die Aufmerksamkeit zu Recht dem Handeln der jeweils eigenen Regierung und nicht den Geberinstitutionen.

Dass die Entwicklungspolitik die Massenmedien überfordert, trägt zur strukturellen Intransparenz bei. In vielen armen Ländern sind nicht nur staatliche Kapazitäten schwach, auch im Journalismus gibt es Defizite, wenn denn überhaupt Sender und Zeitungen unabhängig recherchieren und sorgfältig berichten. Die Medienhäuser der reichen Welt wiederum haben kaum Korres­pondenten in der armen Welt.

Weil der Verdacht von Verschwendung und Korruption naheliegt, steht die Entwicklungspolitik unter besonderem Rechtfertigungsdruck. Um ihre Wirksamkeit sicherzustellen, wählte die internationale Staatengemeinschaft Anfang des neuen Millenniums über die seit langem üblichen Evaluierungen hinaus einen neuen Weg. Höhepunkte der multilateralen Aid-Effectiveness-Debatte waren die High Level Foren in Rom (2003), Paris (2005), Accra (2008) und Busan (2011). Sie betonten zum Beispiel die Eigenverantwortung („Ownership“) der Entwicklungsländer und forderten, dass Geberinstitutionen deren Systeme nutzen („Alignment“) und ihr Handeln untereinander abstimmen („Harmonisation“). Sie bestanden auf der Rechenschaftspflicht aller Akteure („Mutual Accountability“) und unterstrichen, dass es auf Ergebnisse und nicht auf Fördervolumina ankommt („Managing for Results“). Der Gegenstand dieser Gipfel war für die Medienberichterstattung zu abstrakt und zu komplex, aber sie waren nicht sinnlos.

Der neue Fachjargon zeigt, dass sich die Hauptakteure dieser Diskussion in vielen Punkten einig wurden. Selbstverständlich gibt es hinter den Kulissen noch Differenzen. So fordern Geber tendenziell harte Zielvorgaben, während die Entwicklungsländer eher ihre politische Autonomie stärken wollen. Dass Politik Interessengegensätze ausgleichen muss, ist jedoch normal.

Das große Dilemma ist etwas anderes. Die Aid-Effectiveness-Prinzipien sind überall da stimmig, wo die Bedingungen für erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit bereits erfüllt sind. Sie bieten aber kein Rezept dafür, was zu tun ist, wenn Regierungen von Entwicklungsländern ihrer Verantwortung nicht gerecht werden oder Regierungen reicher Nationen ihre Versprechen nicht halten.

Die Abschlusserklärung von Busan reagiert darauf mit der Betonung der Bedeutung von Parlamenten und Kommunalverwaltungen sowie dem Verweis auf die Rolle privatwirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure. So richtig das ist, es zeugt auch von Hilflosigkeit. Denn wenn die Aufsicht durch solche Institutionen und Akteure in Entwicklungsländern so funktionieren würde, wie das in Westeuropa und Nordamerika normal scheint, wäre Entwicklungshilfe vermutlich nur in viel geringerem Umfang nötig. Dem ist aber nicht so. Deshalb geht es in der Entwicklungspolitik immer wieder um Risikoinvestitionen: Ob etwas gelingt oder nicht, lässt sich nicht im Voraus garantieren.

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