Fachliteratur

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Das europäische Entwicklungsjahr bietet eine Chance, ehrgeizige Reformen und Neuorientierungen voranzubringen. Verschiedene Analysen und Studien zeigen den Handlungsbedarf auf.
Ghanas Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt hat sich seit 1995 verdreifacht. Ghana ist somit zum Land mit mittlerem Einkommen geworden. dem Ghanas Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt hat sich seit 1995 verdreifacht. Ghana ist somit zum Land mit mittlerem Einkommen geworden.

Anlässlich des am 9. Januar 2015 offiziell gestarteten europäischen Jahr der Entwicklung schrieb der EU Entwicklungskommissar Neven Mimica (2015) in seinem Blog, es sei Ziel, mit dem Jahresthema erstmals über die EU-Grenzen hinauszuschauen und so viele EU-Bürger wie möglich einzubeziehen. Das ist wichtig, weil die UN dieses Jahr ihre SDGs (Sustainable Development Goals) bestimmen werden. Laut EU-Kommission müssen die SDGs „auf jeden anwendbar sein, unabhängig davon wo er lebt“.

Vor 65 Jahren schlug der französische Außenminister Robert Schuman vor, die Zusammenarbeit mit Afrika zum Eckpfeiler der auswärtigen Beziehungen Europas zu machen. Das Ergebnis war der zwischen 1959 und 1964 erstmals eingesetzte European Development Fund (EDF). Es ging darum, Überseeterritorien europäischer Nationen mit der Entwicklung Europas in Verbindung zu bringen.

Seitdem ist viel geschehen. Die EU hat heute 29 Mitglieder. Gemessen an ihrem Budget für Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA), ist sie weltweit der drittgrößte Geber. Addiert man alle ODA-Mittel der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, ist sie sogar der größte Geber. Der Globale Kontext ändert sich substantiell. Die EU-Politik muss sich neuen Herausforderungen stellen, wie zum Beispiel anderen Armutsstrukturen, der wachsenden Bedeutung von Schwellenländen sowie fragilen Staaten oder dem Klimawandel.

Ob EU-Geld effektiv und effizient eingesetzt wird, unterliegt ständiger Debatte. Unabhängige Studien stellen aber einen positiven Trend fest. 2012 hat das britische Entwicklungsministerium (Department for International Development – DFID) multilaterale Organisationen bewertet. Es lobte den EDF. Er  sei „sein Geld wert“. Die Studie bewertete auch andere EU-Instrumente als positiv, aber nicht im selben Maß.

Weitere aktuelle Publikationen zeigen vier große Herausforderungen der EU als entwicklungspolitischem Akteur auf. Es geht um Budgethilfe, bürokratische Abläufe, die Kombinationen von Zuschüssen und Krediten und um Politikkohärenz.

 

Budgethilfe

Im Gegensatz zu konventionellen Programmen und Projekten präferierte die EU bis 2011 die direkte finanzielle Unterstützung von Staatshaushalten. Diese „Budgethilfe“ beruhte auf politischen Vereinbarungen mit Partnerländern und betraf hauptsächlich Afrika. Zwischen 2002 und 2010 verdoppelte sich die Budgethilfe der EU von 465 Millionen Euro auf 970 Millionen Euro. Das entspricht einer Summe von 5,2 Milliarden Euro im gesamten Zeitraum. Einer von der niederländischen Regierung in Auftrag gegebenen unabhängigen Studie zufolge (IOB 2013), trug die EU-Budgethilfe dazu bei, dass mehr Geld in soziale Sektoren floss, Haushaltsdefizite minimiert wurden und sich das öffentliche Finanz- und Statistikwesen in vielen Ländern verbesserte.

Seit einiger Zeit ist man sich über Budgethilfe aber nicht mehr so einig. Mehreren EU-Mitgliedstaaten behagt die Regierungsführung in Entwicklungsländern nicht. Sie fordern höhere Standards. Das IOB-Gutachten referiert mehrere Studien, welche die Kriterien für Budgethilfe und ihre Anwendung in Frage stellen. Wenn Dinge schief laufen, stehen Geber zudem vor der Entscheidung, Mittel einzufrieren oder gar nicht zu reagieren. Erfolgreiche Budgethilfe erfordert jedoch nicht nur gute Vorbereitung, sondern auch sorgfältige Implementierung.

Angesichts der steigenden Anzahl von Ländern mit mittlerem Einkommen, stellt sich auch die Frage, ob Budgethilfe immer noch eine passende Option ist. Wenn ein Land wohlhabender wird, sollte es auch in der Lage sein, eigene Staatseinnahmen einzutreiben.

 

Zu bürokratisch

Die Europäische Kommission wird häufig kritisiert, ihr bürokratischer Aufwand sei zu groß und erfordere zu viel Zeit. Die Last ist für Entwicklungsländer in der Tat recht groß. Unter den Kritikern sind auch EU-Mitgliedstaaten. Sie sind aber selbst für diese Regeln verantwortlich, die unter anderem Korruption begrenzen sollen.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) führte 2012 eine Peer-Review der EU durch. Das Ergebnis zeigt, dass sowohl EU-Personal als auch Beamte in Entwicklungsländern die Abläufe zu umständlich finden. Diese Komplexität verlangsame die Umsetzung von Maßnahmen und belaste Behörden zusätzlich. Den bürokratischen Dschungel zu lichten, wäre sinnvoll. Die EU-Staaten sollten handeln. Zusammen können sie das System gestalten und müssen es nicht als gegeben hinnehmen.

In der Literatur wird gewürdigt, dass die EU und ihre Mitglieder einiges getan haben, um ihre Arbeitsweise zu verbessern. Dafür stehen gemeinsam durchgeführte Entwicklungsinitiativen und Ko-Finanzierungen. Es müsse aber mehr geschehen, hält eine aktuelle Studie fest, die für das Europäische Parlament geschrieben wurde (Klingebiel et al. 2013). Ihr zufolge könnten EU-Mitgliedstaaten durch bessere Koordination mehrere Milliarden Euro sparen.

 

Kredite mit Zuschüssen

Ein wichtiger neuer Trend in der EU-Entwicklungspolitik der letzten Jahre ist die Verbindung („Blending“) von Krediten mit Zuschüssen. Sie dienen Investitionen, die neue Chancen für den Privatsektor schaffen.  Da Profit erwartet wird, sollte der Steuerzahler nicht allein dafür aufkommen. Öffentliche Mittel sind aber nach wie vor nötig, weil sich auf den Finanzmärkten nicht genügend Geld mobilisieren lässt.

Die EU hat acht regionale Investitions-Einrichtungen an verschiedenen Orten der Welt eingerichtet, um den Blending-Ansatz voranzubringen. Diese arbeiten mit Zuschüsse, vor allem aus dem Entwicklungshilfe-Budget der EU, und mit Darlehen europäischer Entwicklungsfinanzierer. Ein Bericht des Europäischen Rechnungshofs (2014) bewertet die Wirksamkeit der Strategie sowie die Arbeit der regionalen Investitionsträger positiv. Er räumt aber auch ein, dass die

Europäische Kommission den Nutzen des Kombi-Ansatzes nicht immer überzeugend belegen konnte. Die Rechnungsprüfer warnen vor drei Risiken:

  • die EU sollte keine privaten Investitionen bezuschussen, die ohnehin getätigt würden,
  • sie dürfe die Märkte der Partnerländer nicht verzerren, und
  • sie dürfe sie die Schuldenlast der Länder nicht anwachsen lassen.

 

Mehr als „Entwicklungshilfe“

Globale Herausforderungen und sich wandelnde entwicklungspolitische Zusammenhänge brauchen kohärente Politik. Bislang hat die EU im Grunde ihre Entwicklungsagenda von anderen außenpolitischen Maßnahmen abgeschottet. Entwicklungskommissar Mimica muss deshalb seine Kommissionskollegen, die EU-Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament mit ins Boot holen und sicherzustellen, dass die EU-Politik in ihrer Gesamtheit die SDG-Entwicklungsagenda nicht hemmt, sondern fördert. Dafür braucht er die Unterstützung von EU-Mitgliedstaaten, zivilgesellschaftlichen Akteuren und der breiten Öffentlichkeit.

Die OECD (2012) lobt die EU dafür, dass sie Politikkohärenz zum zentralen Pfeiler im Kampf gegen Armut gemacht hat. EU-Institutionen hätten einen klaren strategischen Rahmen geschaffen. Zudem nutzten sie Mittel, um Fortschritt zu messen und, wenn nötig, ihre Politik zu korrigieren. Die OECD beanstandet aber, dass Mitgliedstaaten EU-Vorgaben in ihrer eigenen Politikgestaltung nicht immer einhalten.

Das Hauptproblem der EU ist, geschlossen zu handeln. Das ist alles andere als trivial, zumal viele EU-Mitgliedstaaten derzeit mit Wirtschaftskrisen ringen und nach innen schauen. Entwicklungsfreundlichere EU-Politik muss grundsätzlich viele Politikfelder – beispielsweise Handel, Steuern und Migration – umfassen. Bisher blieb es bei der Bekräftigung richtiger Worte. Jetzt ist es Zeit zu handeln.

 

Niels Keijzer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE-GDI).
niels.keijzer@die-gdi.de

Christine Hackenesch arbeitet dort ebenfalls als wissenschaftliche Mitarbeiterin.
christine.hackenesch@die-gdi.de

 

Quellen:
DFID, 2013: Multilateral aid review update, driving reform to achieve multilateral effectiveness.
https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/297529/MAR_Update_2013_FINAL_17_July.pdf
Europäische Union, 2006: Joint statement by the Council and the representatives of the governments of the Member States meeting within the Council, the European Parliament and the Commission on European Union Development Policy: The European Consensus.
http://ec.europa.eu/development/icenter/repository/european_consensus_2005_en.pdf
Europäischer Rechnungshof, 2014: The effectiveness of blending regional investment facility grants with financial institution loans to support EU external policies.
http://www.eca.europa.eu/Lists/ECADocuments/SR14_16/SR14_16_EN.pdf
IOB (Policy and Operations Evaluation Department), 2013: The Netherlands and the European Development Fund – Principles and practices, Evaluation of Dutch involvement in EU development cooperation (1998-2012). http://www.oecd.org/derec/netherlands/NETHERLANDSandtheEDFDutchInvolvementinEUDevCoop.pdf
Klingebiel, S., Morazán, P., Negre, M., 2013: The cost of non-Europe. Study commissioned by the European Parliament.
http://bookshop.europa.eu/
Mimica, N., 2015: Three, two, one… Go!
https://ec.europa.eu/commission/2014-2019/mimica/blog/three-two-one-go_en 
OECD/DAC, 2012: DAC Peer Review – European Union.
http://www.oecd.org/dac/peer-reviews/50155818.pdf

 

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