Medien

Vom Krieg berichten

Während Bilder der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Oppositionellen und Regierungskräften in Kiew um die Welt gingen, trafen sich Journalisten, Fotografen, Filmemacher, Autoren und Historiker in Berlin. Sie tauschten sich darüber aus, wie über Kriege im 21. Jahrhundert berichtet wird.
Internetbild einer Beerdigung in Hula, Syrien 2012. abaca/picture-alliance Internetbild einer Beerdigung in Hula, Syrien 2012.

Den Schrecken des Krieges, die Angst und Erinnerungen daran zu beschreiben, bedeutet, die Wahrheit von Propaganda zu trennen. Dabei stellt sich die Frage: Wer kontrolliert die Berichterstattung? Informationen, die via Smartphone übermittelt werden, erscheinen den Leuten authentisch und nicht manipuliert. Die Wirklichkeit ist aber etwas komplexer.

Experten sind sich einig, dass das Internet zur Meinungsfreiheit beiträgt, da dort viele bisher ungehörte Stimmen zu Wort kommen. Problematisch ist aber, dass professionelle Medien unter dem Druck schwindender Anzeigenerlöse ihre Vor-Ort-Berichterstattung reduziert haben. Es ist billiger, sich Bilder aus dem Internet zu holen. Bilder von Grausamkeiten zeigen jedoch oft nicht, wer die wirklichen Täter sind.

Überdies interviewen Medien immer öfter Experten von Hilfsorganisationen und anderen Interessengruppen, anstatt sich auf ihre eigenen Reporter zu verlassen, deren Aufgabe es ist, die Situation ausgewogen zu beschreiben. Philip Gourevitch vom Wochenmagazin The New Yorker sagt: „Das Hauptproblem der Menschenrechtslobby ist, dass sie Politik zu sehr auf Opfer und Täter reduziert." Aus seiner Sicht ist es aber unmöglich Konflikte zu verstehen und zu lösen, wenn man nicht beide Seiten versteht. Lokale Akteure müssten berücksichtigt werden, einschließlich der Verursacher der Gewalt. Gourevitch bedauert, dass die heutige Berichterstattung tendenziell impliziert, dass die internationale Gemeinschaft handeln müsse – also Truppen schicken oder Den Haag einschalten soll.

Der Mangel an professioneller Berichterstattung macht es allen Interessengruppen einschließlich der Regierungen leichter, Berichte zu kontrollieren. So war zum Beispiel nach einem Massaker in der syrischen Stadt Hula 2012, bei dem 108 Menschen niedergemetzelt wurden, nicht klar, wer die Täter waren. Erste Berichte beschuldigten die regierungsnahe Shabiha-Miliz, aber laut späteren Nachrichten waren oppositionelle Milizen verantwortlich.

Abdulkader Al Dhon meint, das syrische Regime habe geschickt die Medien manipuliert, um seine Version der Ereignisse zu verbreiten. Der 28-jährige syrische Regierungsgegner, der heute in der Türkei lebt, berichtete Teilnehmern einer Veranstaltungsreihe des Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) von seinen Einsichten. Ein UN-Bericht machte die Regierung für das Massaker verantwortlich, und als Al Dhon kurz nach dem Massaker die Stadt besuchte, bestätigten ihm Augenzeugen die UN-Version.

Al Dohn ist klar, dass interessierte Gruppen auf die Bericherstattung Einfluss nehmen, damit dies ihren Zwecken dient. Er hat junge europäische Dschihadisten in Syrien getroffen und fand es ärgerlich, dass diese „Außenstehenden" andere ständig fragten, ob sie Sunniten seien oder anderen islamischen Glaubensrichtungen angehörten.

Viele Kenner der Region stören sich daran, dass die aktuelle internationale Medienberichterstattung Spannungen im Mittleren Osten als Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten interpretiert. Al Dohns Meinung nach ist die Haltung der europäischen Dschihadisten eher schädlich als hilfreich: „Syrer wie ich kämpfen für eine bessere Zukunft, aber diese Leute wollen unser Volk spalten."

Die aktiven Kräfte in Konflikten nutzen oft geschickt das Internet, um ihnen nützliche Informationen zu verbreiten. Andere Perspektiven sind ebenfalls wichtig, doch ihre Vertreter sind nicht gut organisiert und melden sich nicht zu Wort. Traumatisierte Opfer fühlen sich hilflos. Das Reden fällt ihnen schwer.

Ihre Erfahrungen sind dennoch wichtig. Seine persönliche Geschichte zu erzählen kann schrecklichen Ereignissen einen Sinn geben, sagt eine der Veranstalterinnen des HKW, Carolin Emcke. Solange Opfer nicht ihre Stimme zurückgewinnen, können sie keine neue und sinnvolle Identität finden. Konflikterfahrungen belasten aber auch die Gewalttäter erheblich, sagt Emcke. Vor den Unruhen hätten viele gedacht, sie könnten nicht foltern und töten. Später schämen sie sich für ihre Taten und wollen sie vertuschen. Es sei wichtig, das Schweigen auf beiden Seiten zu brechen. Das ist eine langwierige Angelegenheit und nichts, was man sich aus dem Internet herunterladen kann.

Ellen Thalman

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