Europa

Schwerfällige Öffnung

Die EU-Staaten bräuchten dringend Zuwanderer, die über einen längeren Zeitraum im Land bleiben. Doch sie scheuen die Öffnung, und eine gemeinsame Politik fällt ihnen schwer. Stattdessen kämpfen sie mit irregulärer Zuwanderung. Nun sollen
sogenannte Mobilitätspartnerschaften Migrations- und Entwicklungspolitik mitein­ander verbinden. Die Chancen überwiegen, doch es gibt noch viel zu verbessern. Von Steffen Angenendt
Moldavian emigrants queue for visas outside the Romanian consulate in 2010. Moldova is one of the four countries with which the EU has agreed  a pilot Mobility Partnership. picture-alliance/dpa Moldavian emigrants queue for visas outside the Romanian consulate in 2010. Moldova is one of the four countries with which the EU has agreed a pilot Mobility Partnership.

Im Mai 2007 schlug die Europäische Kommis­sion ein neues Instrument für Migrationspolitik vor: Die EU-Mobilitätspartnerschaften sollen Migrations- und Entwicklungspolitik miteinander verbinden und wirkungsvoller machen.

Formal gesehen handelt es sich um institutionalisierte Dialogprozesse zwischen einem oder mehreren EU-Mitgliedsstaaten und einem Drittland. Jeder EU-Staat entscheidet selbst, ob er sich beteiligen und welche Projekte er einbringen möchte. So soll gewährleistet werden, dass die Partnerschaften flexibel bleiben und an die Partner angepasst werden können. Grundsätzlich sollen die Mobilitätspartnerschaften

  •  die Partnerstaaten unterstützen, irreguläre Abwanderung einzuschränken, Grenzkontrollen zu verbessern und gegen Dokumenten- und Visafälschungen vorzugehen,
  •  Möglichkeiten für eine legale Arbeitsmigration in EU-Staaten eröffnen,
  •  die Gefahr des Braindrains – der Abwanderung von Fachpersonal – reduzieren und
  •  die Herkunftsländer bei der Reintegration rückkehrender Migranten unterstützen.

Eine gemeinsame Taskforce aus Vertretern der Mitgliedsstaaten und der Kommission koordiniert und evaluiert die Partnerschaften. Zudem arbeiten die Botschaften der EU-Länder und die EU-Delegationen im Ausland auf sogenannten Kooperationsplatt­formen mit den Partnerländern zusammen. Ein Anzeiger, genannt Scoreboard, informiert alle Beteiligten laufend über Initiativen, zuständige Partner, Kontaktpunkte, Evaluierungsindikatoren, Umsetzungsfristen und die zur Verfügung stehenden Finanzmittel.

Mit vier Ländern wurden bereits Pilot-Partnerschaften geschlossen: Kap Verde, Moldau, Georgien und Armenien. Weitere Partnerschaften sollen nun insbesondere mit nordafrikanischen Staaten vereinbart werden. Der EU-Kommission zufolge sind sie „das innovativste und bestdurchdachte Instrument“ der gemeinsamen Migrationspolitik. Stellt man die Pilotprojekte auf den Prüfstand, kommen jedoch auch Probleme ans Licht.


Schwierige politische Interessenlage

Zunächst zeigen sich Hindernisse auf politischer Ebene. Dabei hätte die EU durchaus Gründe, Immigration stärker zu fördern. Wie in vielen Industriestaaten steigt die Zahl der Rentner, während die Erwerbsbevölkerung schrumpft. In einigen EU-Ländern wird die Zahl der Erwerbstätigen in den nächsten zwei Jahrzehnten bis zu einem Drittel abnehmen. Eine Lösung wäre also durchaus, die EU-Staaten stärker zu öffnen.

Die meisten EU-Länder sind dazu allerdings nicht bereit. Die Bevölkerung fürchtet Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und Lohndumping, und es fehlt der politische Wille, diesen Befürchtungen entgegenzuwirken. Oft ist Migrationspolitik auch nicht darauf ausgerichtet, die Herkunftsstaaten zu unterstützen, was eine erfolgreiche Zusammenarbeit erschwert und den Zielen der Mobilitätspartnerschaften entgegenläuft. Einige Beispiele:

  • Zurzeit schafft die EU keine neuen Einwanderungsmöglichkeiten, sondern verstärkt sogar die Kontrollen an den Außengrenzen. Gibt es aber keine legalen Möglichkeiten, nimmt die irreguläre Zuwanderung zu. Diese geht oft mit Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen einher und erschwert eine entwicklungsorientierte Migrationspolitik.
  • Das weltweite Wanderungsgeschehen verändert sich: Temporäre Migration nimmt zu, dauerhafte Aus- und Einwanderung geht zurück. Zudem werden Herkunft und Hintergrund der Migranten immer unterschiedlicher. Den EU-Staaten fehlen gute Konzepte, mit dieser wachsenden Vielfalt umzu­gehen – besonders im Hinblick auf die Integration der Einwanderer.
  • Mit ihrer Asylpolitik versuchen die EU-Staaten seit den 1990er Jahren, den Zugang zu Asyl so weit wie möglich zu unterbinden. Sie haben in den vergangenen Jahren alle umliegenden Staaten zu „sicheren Drittstaaten“ und viele andere Staaten zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt. Dies ist humanitär äußerst problematisch und belastet die Transitländer. Die fehlende Bereitschaft der EU, sich am Flüchtlingsschutz zu beteiligen, behindert auch die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten in der Migrationspolitik.
  • Die Herkunfts- und Transitstaaten sind immer weniger bereit, nur den Interessen der EU-Staaten zu dienen. Diese haben im vergangenen Jahrzehnt vor allem verlangt, dass die Drittstaaten sich selber darum kümmern, die ungeregelte Auswanderung einzuschränken. Die EU-Staaten müssen die Interessen der Partnerländer stärker berücksichtigen, wenn sie erfolgreich mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Diese wünschen sich Mobilitätserleichterungen, Möglichkeiten für  legale Arbeitsmigration und eine Stärkung der entwicklungspolitischen Wirkungen von Migration.



Pilot-Projekte

Über diese politischen Hindernisse hinaus wurden bei den vier Pilotprojekten einige Probleme bei der Umsetzung der Mobilitätspartnerschaften deutlich. Auswahl der Partnerländer: Der Kommission zufolge sollen die Partnerländer nach vier Kriterien ausgewählt werden: Erstens sollen ebenso viele südliche wie östliche EU-Nachbarn dabei sein. Des Weiteren sollen die Länder für das Wanderungsgeschehen in Europa relevant sein, sie sollen sich zur Zusammenarbeit mit der EU verpflichten, und die beteiligten EU-Staaten müssen Interesse und Bereitschaft haben, mit diesen Ländern zu kooperieren. Fehlen eines oder mehrere dieser Kriterien, wird die Mobilitätspartnerschaft als wenig erfolgversprechend betrachtet. Tatsächlich fehlten bei den Pilot-Partnerschaften Elemente dieser Kriterien, wie klare Interessenerklärungen der Partnerländer. Künftig sollten die Krite­rien besser eingehalten und erweitert werden. Beispielsweise sollte stärker beachtet werden, in welchen Ländern eine Mobilitätspartnerschaft besonders gut Entwicklung vorantreiben kann. Dazu zählen zum Beispiel Länder, die viele junge Erwachsene mit formal guter Ausbildung haben, ihnen aber keine Aussicht auf angemessene Beschäftigung bieten können.

Unklare Ziele: Die EU-Staaten kommunizieren ihre Erwartungen und Prioritäten oft nicht ausreichend. Die Partnerländer hingegen machten diese sehr deutlich: Moldau ging es in der Partnerschaft primär um die Unterstützung der Rückkehrer aus der EU, Kap Verde ging es um größere Mobilität für die eigenen Bürger, insbesondere durch Erleichterungen bei der Visavergabe. Die EU-Staaten erklärten zwar, dass sie irreguläre Migration verhindern wollten. Es blieb jedoch unklar, welchen Stellenwert dieses Ziel gegenüber anderen Zielen haben sollte.

Inhaltliche Schwächen: Ein Vorteil der Mobilitätspartnerschaften ist ohne Zweifel, dass die Inhalte jeder Partnerschaft flexibel gestaltet werden können – so kann beispielsweise größeres Gewicht auf Programme zur legalen Arbeitsmigration oder auf die Reintegration von rückkehrenden Fachkräften gelegt werden. In dieser Flexibilität steckt aber zugleich die Gefahr, dass bereits laufende Kooperationsvorhaben lediglich „umetikettiert“ und als neue Beiträge in die Mobilitätspartnerschaften eingebracht werden. Das war zum Teil in den Partnerschaften mit Kap Verde und Moldau der Fall.


Verbesserungen möglich

Trotz aller Defizite lässt sich positiv festhalten, dass die Pilot-Partnerschaften in mindestens drei Punkten die Zusammenarbeit der Entwicklungs- und Migra­tionspolitik gestärkt haben:

  • Sie haben die Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten verbessert, weil Kontaktpunkte in allen relevanten Institutionen eingerichtet wurden und regelmäßig Fortschrittsberichte eingefordert werden.
  • Sie haben die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission vertieft, vor allem durch die EU-Task Force und die zentralen Kontaktpunkte.
  • Sie haben den Austausch zwischen der EU-Kommission und den Partnerländern intensiviert, vor allem durch die lokalen Kooperationsplattformen und die jährlichen Treffen.


Zweifellos sind die Mobilitätspartnerschaften ein wichtiger Teil der EU-Migrationspolitik. Allerdings muss der entwicklungspolitische Gehalt noch weiter gestärkt werden. Zudem sollte die EU stärker darauf achten, mit welchen Partnerländern sie zusammenarbeitet. Die Länder müssen wirkliches Interesse an der Kooperation haben. Die EU wiederum muss ihnen so attraktive Angebote machen, dass sie sich bemühen werden, die Vereinbarungen einzuhalten. Schließlich haben die Drittstaaten nur dann hohes Interesse an der Kooperation, wenn sie Anreize bekommen, wie beispielsweise Migrationsprogramme oder Mobilitätserleichterungen.

Genau hier liegt jedoch nach wie vor das größte Problem: Die meisten EU-Mitgliedstaaten lehnen es aufgrund der Arbeitsmarktlage ab, Migration noch auszuweiten. Sie führen auch keine strategische Debatte über eine künftige Öffnung. Wenn sie jedoch ihre Wirtschaftskraft trotz der demographischen Veränderungen erhalten wollen, müssen sie umdenken. Nur dann können auch die Mobilitätspartnerschaften Migrations- und Entwicklungspolitik kohärent und wirkungsvoll verbinden.

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