Schwarzarbeit

Schattenbrüder

Illegale Einwanderer trifft die Weltwirtschaftskrise besonders hart – in Spanien zum Beispiel. Doch mit der Baubranche ist einer der wichtigsten Arbeitsmärkte für Einwanderer ohne Papiere weggebrochen. Auch in der Landwirtschaft finden immer weniger Osteuropäer, Chinesen, Afrikaner und Südamerikaner Jobs. Die Konkurrenz wächst, die Arbeitsbedingungen werden schlechter. Unsere Reportage schildert das Schicksal von drei Männern.


[ Von Veronica Frenzel ]

Den Ort, wo sein Leben besser werden sollte, hatte sich der Senegalese Moussa S. (31) anders vorgestellt. Die Straßenkreuzung in La Mojonera bei Almería ist grau und staubig, farblose Hausklötze du­cken sich vor dem ständigen Wind. Seit zwei Monaten sieht Moussa hier jeden Morgen die Sonne aufgehen. Er hofft täglich auf einen „Chef“, der ihm ein paar Stunden Arbeit gibt.

Moussa drückt sich an eine Hauswand, die Mütze tief im Gesicht, die Hände in den Taschen, und starrt geradeaus. Hält ein Lastwagen, eilen seine Augen zum Fahrer – er könnte der Heilsbringer sein. Doch niemand hält. Moussa blickt nur in die flehenden Augen der anderen Einwanderer, die mit ihm warten. Jeden Tag werden es mehr.

„Die Gewächshäuser an der Küste von Almería sind der Wartesaal Europas für illegale Einwanderer”, sagt Spitu Mendy von der Landarbeitergewerkschaft SOC. „Mit einer Arbeitsgenehmigung darf man hier gar nicht erst nach einem Job fragen.“ Die Löhne auf den Auberginen-, Zucchini- und Tomatenplantagen sind kümmerlich. 30 Euro für acht Stunden sind hier gutes Geld, die Landwirte zahlen weniger seit der Wirtschaftskrise.

Seit das spanische Wirtschaftswunder vorbei ist, gibt es keine Arbeit mehr auf dem Bau. Zeitungen melden ständig neue Arbeitslosenrekorde – und illegale Einwanderer wie Moussa finden kaum noch Jobs. Die Spanier kehren selbst auf die Felder zurück. Auch Illegale, die bisher Häuser gebaut haben, suchen jetzt ihr Glück in der Landwirtschaft. Rund ein Viertel der vier­einhalb Millionen in Spanien gemeldeten Einwanderer ist derzeit arbeitslos, es werden immer mehr.

Die Illegalen – die spanische Regierung geht von rund einer weiteren Million Menschen aus – stehen noch schlechter da. Laut Schätzungen der Europäischen Kommission macht die Schattenwirtschaft, die es laut Gesetz gar nicht geben dürfte und die selbstverständlich nicht nur auf unrechtmäßiger Einwanderung beruht, in den Mitgliedsländern 12 bis 23 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Spanien liegt in dieser Statistik vorn.

Menschen und Tomaten

„Mit dem Lohn für die Arbeiter ist es wie mit dem Preis für die Tomaten: Je mehr Angebote es gibt, desto weniger wird bezahlt.” Manuel Sabio Perez steht in seinem Gewächshaus in Almería, über 30 Grad sind es unter dem Plastikdach, draußen nur 15 Grad. Unzählige Tomatenpflanzen reihen sich aneinander, in den benachbarten Gewächshäusern sieht es ähnlich aus. Allein in der Provinz Almería wachsen Tomaten auf 26 000 Hektar.

Moussa kam im Januar mit einem Holzboot von Marokko nach Spanien, um Frau, Sohn und Eltern ein besseres Leben zu verschaffen. 400 Euro hat er dafür bezahlt, alles, was er hatte. Schon die Reise nach Marokko kostete mehr als 1000 Euro.

Als die Polizei das Boot bei Cádiz aufgriff, dachte er, es sei vorbei. Er kam in das Internierungslager von Algeciras. 40 Tage lang fürchtete er, zurück in den Senegal zu müssen. Am 41. Tag drückten ihm die Beamten einen Zettel in die Hand und setzten ihn vor die Tür. Er müsse Spanien sofort verlassen und dürfe in den nächsten fünf Jahren nicht wieder einreisen, stand auf dem Papier, das Moussa seitdem bei sich trägt. Es ist alles, was er hat. Auf der Straße erwarteten ihn Mitarbeiter vom Roten Kreuz. Mit einem Abschiebebescheid habe er kaum Chancen auf eine Arbeitserlaubnis, sagten sie und gaben ihm ein Busticket nach Almería.

Seit drei Monaten ist er nun hier, seiner Familie hat er noch keinen Cent geschickt, anrufen kann er nur, wenn ihm jemand Geld gibt. Mit zehn anderen Senegalesen wohnt er in einem heruntergekommenen Haus am Ortsausgang von La Mojonera, mit Blick auf die schmutzigen Plastikplanen der Gewächshäuser. Sie teilen sich zu dritt zehn Quadratmeter. Er kann nicht einmal die Matratze, auf der er schläft, bezahlen. „Meine Frau versteht nicht, wieso ich nicht arbeite”, sagt Moussa. „Sie hat Recht. Ich bin nicht gekommen, um nur herumzusitzen.”

Moussa hatte sich alles so einfach vorgestellt, als er in Dakar aufbrach. Ein paar Jahre wollte er in Spanien arbeiten, am liebsten auf einem Fischerkahn. Er ist Matrose. Er wollte seiner Familie ein Haus kaufen, wie die anderen, die in Europa arbeiteten und Geld schickten. Er dachte sich: „Wieso soll meine Familie nicht auch besser leben?“

2008 kamen ein Viertel weniger illegale Immigranten in Booten nach Spanien als im Vorjahr – aber immer noch mehr als 13 000. Wegen der verschärften Kontrollen in Spanien wählen die Schlepper nun andere Routen: Im vergangenen Jahr erreichten doppelt so viele Einwanderer Italien und Malta wie 2007.

Jeden Morgen fährt außer den Lastwagen die Guardia Civil an der Kreuzung von La Mojonera Streife. Die Beamten blicken den Arbeitssuchenden in die Augen, diese blicken zu Boden. Aber sie bleiben. In der Frühe ist die Polizei nicht gefährlich. Erst wenn alle auf den Feldern sind, knüpfen sie sich den vor, der nicht arbeitet. Nach acht Uhr verlässt Moussa nicht mehr das Haus.

Konkurrenzkampf der Erntehelfer

Zweihundert Kilometer nördlich von La Mojonera steht Mamadou D. (27) am Busbahnhof von Úbeda. Er wartet auf einen Landbesitzer, für den er im Olivenhain arbeiten kann. Seit zwei Wochen ist er hier, Oliven hat er noch nicht gesehen. Den Tag verbringt er in dem grauen Gebäude, wo es zieht und keine Heizung gibt. Nachts schläft er auf dem Bürgersteig. Er breitet Kartons aus, die er im Müll findet, und rollt sich in die Wolldecke, die ihm ein Freund gegeben hat. Vor einer Woche hat er das letzte Mal geduscht. Die Leute halten sich die Nase zu, wenn sie an ihm vorbeigehen. Außer ihm wollen rund 5000 Immigranten in der Provinz Jaen bei der Olivenernte helfen.

Vor zweieinhalb Jahren setzte Mamadou aus dem Senegal auf die Kanaren über. Die Küstenwache griff ihn auf, er kam in ein Internierungszentrum. Am 41. Tag brachte man ihn zum Flughafen. Er dachte, er müsse zurück. Doch die Maschine landete in Barcelona, wo ihn ein Sozialarbeiter vom Roten Kreuz erwartete. Er gab ihm ein Zimmer, erklärte, dass es schwierig werden würde, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, brachte ihm ein paar Wörter Spanisch bei. Nach zwei Wochen musste er raus, auf eigenen Beinen stehen – die nächsten Neuankömmlinge von den Kanaren waren da. Er fand ein Bett in einem Zimmer mit zwei anderen Senegalesen und Arbeit auf dem Bau.

„Ich verdiente gut“, berichtet Mamadou. Er bekam mehr als 1000 Euro für acht Stunden an sechs Tagen pro Woche. Jeden Monat schickte er seinen Eltern und Geschwistern mindestens 200 Euro. Anfang vergangenen Jahres war das vorbei. Seitdem zieht Mamadou von Ernte zu Ernte, von Ort zu Ort, auf der Suche nach ein paar Stunden Arbeit. Bisher ohne Glück.

In einer Bar in Úbeda hängt ein Zettel am Schwarzen Brett: „Spanier, erfahren, zuverlässig, bietet sich für die Olivenernte an, José.“ Darunter eine Nummer. José ist groß und breit, Mitte 40, erfahren in der Olivenernte. Kürzlich hat er seine Arbeit auf dem Bau verloren, jetzt ist er wieder auf dem Feld. Der Agrartarifvertrag in Jaen sieht 50 Euro für sechs­einhalb Stunden vor. „Die Immigranten nehmen uns die Arbeit weg“, sagt er. „Sie arbeiten mehr Stunden für weniger Geld“.

30 bis 40 Euro bekommen sie pro Tag, schwarz, ohne Zusatzkosten. Bis zum Sonnenuntergang ernten sie Oliven. In Úbeda wartet der Bordstein, daheim die Familie auf eine bessere Zukunft. „Was sollen wir machen?“, fragt ein Landwirt. „Sie sind nun einmal da, sollen wir sie etwa nicht einstellen?“

„Wenn ich gewusst hätte, wie Europa wirklich ist, wäre ich nie gekommen”, sagt Mamadou. Sein Magen knurrt. Er wärmt sich die Hände an dem Feuer, das er mit ein paar anderen Afrikanern an der Straße gemacht hat. „In Europa gibt es für uns kein Leben.“

Die Diskoabende sind vorbei

Auch Hugo P. (26) aus Paraguay lebt als Nomade. Dabei war er schon angekommen – dachte er. In Marbella, der Stadt der Schönen und Reichen, baute er an einer Luxusurbanisation mit. Am Wochenende ging er an den Strand, manchmal in die Disko. Jetzt lebt er in Archena, einem grauen Ort bei Murcia, fern vom Meer. „Seit mein Vater gestorben ist, wird es immer schlechter“, sagt Hugo.

Er kam nach Spanien, weil der krebskranke Vater Medikamente brauchte. Mit dem, was er zuhause verdiente, hätte er sie nie bezahlen können. Aus Spanien schickte er, soviel er konnte, dennoch musste sein Vater Geld leihen. Als er starb, hinterließ er Hugo Tausende Euro Schulden. Kurz darauf wurde Hugo gekündigt. Er fand keine Arbeit mehr, musste sein WG-Zimmer aufgeben und zog bei Bekannten aufs Sofa. In die Disko ging er nicht mehr, auch nicht ans Meer. Freunde, die wie er illegal in Marbella lebten, griff die Polizei vor der Disko auf und zerrte sie aus den Internetcafés, von denen aus sie ihre Familie anriefen und Geld schickten. Hugo traute sich nicht mehr aus dem Haus.

Ein Freund verschaffte ihm in Archena einen Job auf den Obstplantagen. „Es hängt von dir ab, ob du bleibst”, sagte er. Auf dem Feld verstand Hugo, was der Freund meinte. Zusammen mit fünf anderen Immigranten erntete er Zitronen, bezahlt wurde das Team nach Kisten. Er pflückte ohne Handschuhe, rammte sich die Dornen in die Hände, rannte mit dem vollen Eimer zu den Kisten und mit dem leeren zurück, ohne aufzuschauen, ihm wurde schwindlig, er hielt nicht an. Trotzdem waren die anderen doppelt so schnell. Nach vier Wochen hatte Hugo zehn Kilo Gewicht verloren. Seit drei Jahren ist er nun in Spanien. Er träumt von einer Arbeitserlaubnis – er braucht nur einen Chef, der ihn unter Vertrag nimmt. Mit Papieren könnte er in die Heimat fahren und das Grab seines Vaters besuchen.

Straßen ohne Hoffnung

In drei Monaten schafft es Moussa gerade mal, einen Tag auf einer Tomatenplantage zu arbeiten. Er durfte für einen kranken Mitbewohner einspringen. Der Chef erklärte ihm in breitem Andalusisch, was er tun sollte. Moussa verstand nichts, beobachtete nur die Hände der anderen, die Blüten von Stielen abbrachen und die dick­ste stehen ließen. Moussa arbeitete schnell und konzentriert. Er wollte so gut sein wie kein anderer. Unter dem Plastikdach wurde es immer heißer. Sein Rücken tat weh, der Schweiß rann in seine Augen. 28 Euro verdiente er – ausbezahlt vom kranken Freund. Er kaufte eine Prepaid-Karte für sein Handy und Essen für alle. Jetzt steht er wieder jeden Morgen an der Kreuzung.

Eines Abends verteilen Sozialarbeiter im Heim in Úbeda Bustickets. In Villanueva del Arzobispo gebe es Arbeit, sagen sie. Mamadou ist morgens um fünf an der Busstation. Aber auch in Villanueva gibt es keinen Chef für ihn. Sein Ticket galt nur für die Hinfahrt. 40 Kilometer sind es zurück nach Úbeda. Mamadou beschließt, sich stattdessen nach Almería durchzuschlagen. Ein Freund ist dort Feldarbeiter, Mamadou hofft, dort auch sein Glück zu finden. Ohne Erfolg.

Nun steht Mamadou jeden Morgen in einem Nachbarort von La Mojonera an der Straße. Um halb sechs klingelt der Handywecker. Dann rollt er die Decke ein, die er im Wohnzimmer eines senegalesischen Freundes auslegt, und schleicht aus dem Haus. Um acht Uhr ist er zurück. Er wagt sich nicht vor die Türe, wenn er keine Arbeit hat.

Er sitzt auf dem abgesessenen Sofa und starrt in den Fernseher. Gerade läuft ein Musikvideo aus dem Senegal. „Le chemin de l’espoir” – Weg der Hoffnung – heißt es und handelt von einem jungen Mann, der nach Europa aufbricht, um sein Glück zu suchen. Zuhause hätte Mamadou dazu getanzt.

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