Sexualisierte Gewalt

Im Krieg wie im Frieden

Die Aufmerksamkeit für sexualisierte Gewalt in Konflikten konzentriert sich zurzeit stark auf ihre strategischen Aspekte. Entscheidend ist jedoch, systematische Benachteiligung von und Gewalt gegen Frauen auch in Friedenszeiten anzugehen, um wirksame Prävention und Unterstützung für Überlebende zu gewährleisten.
Demonstrant*innen verurteilen die Berichterstattung der britischen Rundfunkanstalt BBC zu sexueller Gewalt gegen weibliche Hamas-Geiseln. picture-alliance/ZUMAPRESS.com/Tayfun Salci; Sarah Eick Demonstrant*innen verurteilen die Berichterstattung der britischen Rundfunkanstalt BBC zu sexueller Gewalt gegen weibliche Hamas-Geiseln.

Erst seit den 1990er-Jahren wird sexualisierte Kriegsgewalt als schweres Menschenrechtsverbrechen anerkannt. Diese Anerkennung war ein Meilenstein im Einsatz für den Schutz und die Rechte von Frauen und Mädchen weltweit. Bis dato herrschte das Narrativ vor, sexualisierte Kriegsgewalt sei „Kollateralschaden“. Dieses wurde unter anderem durch den unermüdlichen Einsatz von Aktivist*innen und Überlebenden gebrochen, die über erlebte Gewalt öffentlich sprachen, etwa nach dem Bosnienkrieg vor rund 30 Jahren. Ihre Aussagen belegten die grausame Anwendung sexualisierter Gewalt als Teil der Kriegstaktik.

Aktuell werden Kriegsvergewaltigungen vermehrt thematisiert, insbesondere seit der Ausweitung des russischen Angriffskriegs auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 und dem Überfall durch die Hamas und andere bewaffnete Gruppen auf Israel am 07. Oktober 2023. Dabei wird der Fokus vor allem auf den strategischen Aspekt der Gewalt gelegt, das heißt auf die Frage, ob sexualisierte Gewalt gezielt als Kriegstaktik oder „Waffe“ eingesetzt wird.

Die Verfolgung und Ächtung sexualisierter Gewalt als Teil der Kriegsstrategie ist wichtig. Gleichzeitig gilt: Meist braucht es gar keinen expliziten Befehl zu vergewaltigen. Es reicht oft aus, wenn innerhalb des Militärs oder bewaffneter Gruppen sexualisierte Übergriffe durch Vorgesetzte geduldet werden und eine Atmosphäre geschaffen wird, die zu dieser Gewalt ermutigt. Hinzu kommt, dass die meist männlichen Täter oft keine oder kaum Strafverfolgung fürchten müssen.

Auch aus einem anderen Grund greift der Fokus auf sexualisierte Gewalt als „Kriegswaffe“ zu kurz. Im Krieg eskaliert, was vorher schon vorhanden war – systematische Benachteiligung von und Gewalt gegen Frauen, transportiert durch patriarchale Strukturen. In Nachkriegsgesellschaften gehen diese frauenfeindlichen Strukturen sogar oft gestärkt aus dem Konflikt hervor. Das heißt, sexualisierte Gewalt existiert im Kontinuum und gehört auch in Friedenszeiten zur Realität vieler Frauen und Mädchen. Auch queere Menschen, nichtbinäre und Transpersonen sowie Jungen und Männer erleben jene Gewalt.

Nur wenn diskriminierende Macht- und Herrschaftsverhältnisse als Ursachen der Gewalt erkannt werden, lassen sich Gegenmaßnahmen entwickeln, die den Bedarfen aller Betroffenen entsprechen und neue Gewalt verhindern.

Noch immer stigmatisiert

Sexualisierte Gewalt kann massive und lang­anhaltende gesundheitliche und soziale Folgen haben. Priorität müssen daher die Bedarfe der Überlebenden haben: Sie brauchen ganzheitliche Unterstützung durch körperliche und materielle Sicherheit sowie stress- und traumasensible psychosoziale und medizinische Unterstützung. Sie benötigen zudem rechtliche Beratung und einkommensschaffende Maßnahmen.

Wie stark und dauerhaft Folgen eines Traumas sind, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab – etwa von Erfahrungen, die Überlebende in ihrem sozialen Umfeld machen. Noch immer wird vielen Betroffenen nicht geglaubt, sie werden ausgegrenzt und stigmatisiert.

Die Unterstützung Überlebender und die Bekämpfung sexualisierter Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Justiz, Politik und Zivilgesellschaft – sie alle müssen hier Verantwortung übernehmen und zu Dokumentation, Wahrheitsfindung, Erinnerungskultur und Wiedergutmachung beitragen.

Wichtig ist auch, falsche Informa­tionen und eine Instrumentalisierung von Überlebenden zu erkennen. Wenn sexualisierte Gewalt so häufig im Kontext von Krieg und Krisen thematisiert wird, kann dies ein Zeichen dafür sein, dass es nicht nur um die Bedarfe der betroffenen Frauen, sondern auch um politische Interessen geht. Oft wird nur so lange über sexualisierte Gewalt gesprochen, wie es diesen Interessen dienlich ist. Die auch zu Friedenszeiten zugrunde liegenden patriarchalen Strukturen werden zu selten erkannt oder infrage gestellt.

Ziel muss sein, sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt zu verhindern und ihre Ursachen zu überwinden. Gleichzeitig gilt, das Leid der Betroffenen anzuerkennen und die Kraft zu würdigen, mit der sie Gewalt und Unrecht überlebt haben.

Sara Fremberg ist die Bereichsleitung Politik und Kommunikation bei medica mondiale.
sfremberg@medicamondiale.org 

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