Kommentar

Diagnose: Stillstand

Im Rahmen der UN-Konvention über die biologische Vielfalt kommen die Verhandlungen über Access und Benefit-sharing (ABS) kaum voran. Eigentlich hätte in diesem Jahr ein Protokoll zum Thema verabschiedet werden sollen – doch ob die Vertragsstaatenkonferenz Ende Oktober in Nagoya das zustande bringt, steht in den Sternen.

[ Von Hartmut Meyer ]

In Montreal, dem Sitz des CBD-Sekretariats, gehen die Umweltdiplomaten ein und aus. Im Juli trafen sie sich zu einer kurzfristig angesetzten Interimskonferenz, um das geplante Protokoll „ministerreif“ zu machen: Der Vertragstext sollte so weit vorbereitet werden, dass die Ressortchefs der Vertragsstaaten sich nur noch über die letzten Kernpunkte würden einigen müssen. Das Ergebnis blieb im Juli aber so mager, dass die Diplomaten sich im September wieder in Montreal treffen müssen.

Die CBD wurde 1993 beschlossen. Ihre drei Säulen sind unumstritten:
– Die biologische Vielfalt der Natur muss geschützt werden,
– sie muss nachhaltig genutzt werden, und
– die Vorteile aus ihrer Nutzung müssen gerecht verteilt werden.
Diese Prinzipien gelten auch für das geplante ABS-Protokoll. Von den Umsätzen, die mit der wirtschaftlichen Nutzung genetischer Ressourcen erzielt werden, könnte dann Geld in den Naturschutz geleitet werden.

Die Grundidee ist klar – aber leider ist die internationale Gemeinschaft seither kaum damit vorangekommen, sie praktisch umzusetzen. In Montreal stehen im September deshalb wieder altbekannte Streitpunkte auf der Tagesordnung:
– Die Entwicklungsländer sind mehrheitlich der Ansicht, dass die ABS-Regeln rückwirkend ab 1993 gelten sollen, weil das dem Geist der damals beschlossenen Konvention entsprechen würde. Die Industrieländer fordern dagegen, dass das Protokoll erst 90 Tage nach der Ratifizierung durch den 50. Vertragsstaat in Kraft tritt. Das entspricht zwar der üblichen Praxis, würde aber noch Jahre dauern.
– Die Entwicklungsländer neigen zu der Position, dass die ABS-Regeln generell gelten sollen. Die Industrieländer wollen dagegen keine Einschränkungen zum Zugang zu Krankheitserregern akzeptieren. In der Vergangenheit hat es Streit gegeben, weil in den USA ein Patent für eine Impfung gegen ein Virus aus Indonesien angemeldet wurde, ohne dass das südostasiatische Land an den wirtschaftlichen Vorteilen beteiligt worden wäre.
– Umstritten ist das Verhältnis der CBD zu anderen internationalen Regelwerken. Die Entwicklungsländer meinen, das Protokoll solle grundsätzlich alle anderen künftigen Verträge binden – wohingegen reiche Nationen anderweitige spezifische Abkommen (zum Beispiel über den Zugang zu bestimmten Krankeitserregern) zulassen wollen.
– Voraussichtlich wird sich die Auffassung durchsetzen, dass das ABS-Protokoll nicht für Species gilt, die das FAO-Abkommen über pflanzengenetische Ressourcen erfasst. Offen ist aber, was mit Nutztieren ist, für die es keine FAO-Regeln gibt.
– Konfliktträchtig ist auch der Geltungsbereich des Protokolls. Die reichen Nationen wollen die Antarktis sowie Meere außerhalb nationaler Hoheitsgewässer ausnehmen.

Kompromisse sind denkbar. Zum Beispiel könnte die Geltung des Protokolls in zwei Stufen geregelt werden. Dann würden zwar die Bestimmungen über den Zugang zu genetischen Ressourcen nicht rückwirkend in Kraft treten, aber Benefit-sharing wäre für alle Nutzungen seit 1993 vorgeschrieben.

Ein wichtiges Hindernis auf dem Weg zur Einigung ist sicherlich, dass sich bislang nur sehr schwer abschätzen lässt, was Benefit-sharing finanziell bedeuten wird. Es gibt praktisch keine seriöse Schätzungen. Das liegt daran, dass die ökonomische Nutzung von genetischen Ressourcen bislang nicht systematisch erfasst wurde – weder auf nationalstaatlicher Ebene und schon gar nicht weltweit. Es gibt nur wenige Beispiele, in denen Zahlen offengelegt wurden.

Bislang herrscht Stillstand. Um ihn zu überwinden, sind Mut und Kompromissbereitschaft nötig. Dass die CBD wichtige Grundlagen für die internationale Politik geschaffen hat, ist unumstritten. Die reichen Nationen sollten sich nun auch auf die Implementierung einlassen, zumal sie ohnehin am längeren Hebel sitzen. Wenn sie in manchen Punkten ihre gewohnte Hinhaltetaktik aufgeben, werden ihnen die Entwicklungsländer vermutlich in anderen Punkten noch weiter entgegenkommen, als sie das schon getan haben.

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