Editorial

Die Glaubwürdigkeit der Geber

Viele Beobachter halten in Pakistan alles für möglich. An Schreckensszenarien herrscht kein Mangel, wie die Stichworte Atomwaffen, islamistischer Fundamentalismus und bittere Armut belegen. Doch dass in Karatschi und anderswo die Anwälte massenhaft für Rechtsstaatlichkeit und demokratische Gewaltenteilung demonstrieren würden, hätten bis März wohl nur wenige erwartet.

Ob die Bewegung Erfolg hat oder doch noch von Militär und Polizei unterdrückt wird, ist offen. Die Zivilcourage der Anwälte zeigt aber bereits jetzt wichtige Dinge auf. So bedeutet etwa Globalisierung mehr als Freihandel. Zumindest gebildete städtische Mittelschichten orientieren sich heute auch an Normen mit weltweitem Anspruch, nicht nur an traditionellen Strukturen und generationenalter Repressionserfahrung. Das liegt auch am grenzüberschreitenden Informationsfluss via Internet und Satellitenschüssel.

Wichtiger noch: pakistanische Juristen fordern in einer muslimischen Gesellschaft ein universelles Prinzip der Aufklärung ein. In der Tat muss die Justiz in der Lage sein, frei und unbefangen die Rechtmässigkeit von Regierungshandeln zu prüfen – und damit anderen Amtsträgern unbequem zu werden. Das liegt im Interesse der Bevölkerung, die berechenbare Verhältnisse statt Willkürherrschaft verdient.

Demokratie beruht eben nicht nur auf Wahlen, sondern auch auf Institutionen, welche die Staatsgewalt kontrollieren. Von „Checks and Balances“ sprachen die Gründungsväter der USA – und die Gewaltenteilung, die sie einführten, hat seither so manchen Präsidenten in Washington geärgert. Auch Regierungschefs in anderen Demokratien finden es nicht nur erfreulich, dass ihre Macht Grenzen hat.

Pakistans Präsident Pervez Musharraf kennt solche Einschränkungen bisher nicht. Der General hat sich an die Macht geputscht und dann versprochen, als Staatschef seine Militärkarriere abzubrechen. Letzteres hat er nicht getan. Er kommandiert die Streitkräft weiter. Es scheint, als werde er auch seine politische Macht verstetigen, obwohl um in diesem Jahr oder Anfang nächsten Jahres Neuwahlen anstehen. Musharraf könnte sich aber zuvor vom bisherigen Parlament eine weitere Amtszeit geben lassen oder ein Bündnis mit Benazir Bhutto eingehen, der einflussreichen Ex-Premierministerin, die seit Jahren im im Exil lebt und im Ruf der Korruption steht.

Musharraf macht den Regierungen vieler reichen Länder Kopfzerbrechen. Sie wissen, dass sein Regime in vieler Hinsicht fragwürdig ist. Aber sie vertrauen darauf, dass es den Fundamentalismus in Schach hält. In der Tat schlug er sich nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 schnell auf die Seite Washingtons. Er ließ sofort die fundamentalistischen Taliban fallen, die ohne paktistanische Unterstützung nie die Macht in Kabul errungen hätten. Dennoch dient das pakistanische Grenzgebiet den Taliban bis heute als Rückzugsraum, und in Afghanistan treten sie von Monat zu Monat massiver auf.Daran haben die Ordnungstruppen wenig geändert, die Musharraf in die Region schickte und die dort unter der Zivilbevölkerung gewütet haben.

Pakistans Probleme sind kompliziert, einfache und schnelle Lösungen gibt es nicht. Westliche Regierungen sollten Musharraf aber klar machen, dass er die aktuellen Proteste nicht brutal unterdrücken darf. Wenn ihre Good-Governance-Rhetorik keine Konsequenzen hat, wird ihre Glaubwürdigkeit leiden – nicht nur in der islamischen Welt.

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