Ende der Vormundschaft

Die Entwicklung Chinas, Indiens und anderer asiatischer Staaten ist zu unterschiedlich verlaufen, als dass sich aus ihren enormen Erfolgen ein kohärentes Politikprogramm für alle armen Länder ableiten ließe. Sicher wäre Afrika derartiger Fortschritt zu wünschen. Doch bislang treiben vor allem höhere Rohstoffpreise die stolzen Wachstumsraten an, die Europas südlicher Nachbar nach langer Stagnation endlich wieder verbucht. Höhere Rohstoffnachfrage in Asien bleibt mithin bislang wichtiger als eigene Entwicklung.

Einige Lehren lassen sich schon ziehen. So ist beispielsweise klar, dass der Privatsektor eine große Rolle spielt. Wo staatliche Vorgaben Unternehmertum zu eng begrenzen oder gar völlig unterbinden, herrschen Stagnation und Not. So war es in Indien zu Zeiten Jawaharlal Nehrus und erst recht in China in der Ära Mao Zedong. Andererseits ist aber die schiere Größe einer Volkswirtschaft für sich genommen schon ein Erfolgsfaktor, wenn Entwicklung einmal in Gang kommt. Auf den potentiell gigantischen Märkten Indiens und Chinas will kein international tätiger Konzern Chancen verpassen. Dieser Investitionsanreiz trägt für sich genommen schon zum Boom bei.

Klar ist auch, dass die erfolgreichen Regierungen Südost- und Ostasiens sich nicht an die wirtschaftspolitischen Doktrinen gehalten haben, die westliche Geber in den achtziger und frühen neunziger Jahre verkündeten. Sie öffneten ihre Ökonomien nicht schnell und pauschal, sie griffen ins Geschehen ein und päppelten ganze Industriebranchen zur Wettbewerbsfähigkeit.

In den Entwicklungsländern glauben nun manche, diese Erfolge ließen sich vor allem auf diktatorische Führungsstile zurückführen. Wäre indessen Despotie der Schlüssel zum Erfolg, wären Afghanistan, Kambodscha und Myanmar heute unter den Vorbildern. Richtig ist lediglich, dass manche autoritären Regime auf Wachstum ausgerichtete Politik betrieben, anstatt ihre Länder auszuplündern. Dazu trug vermutlich ein gewisser systemischer Leistungsdruck bei, der in den Zeiten des Ost-West-Konflikts in Asien herrschte. Obendrein scheint sich die These zu bewahrheiten, dass ökonomisch erfolgreiche Regime nach und nach zur Liberalisierung tendieren. Anzeichen dafür lassen sich selbst in China finden. Die Gesellschaft ist noch längst nicht frei, aber der totalitäre Terror der Mao-Jahre ist Vergangenheit.

Unterschätzt werden sollte indessen nicht, dass Indien auf demokratischem Weg viel erreicht hat, seit es die Überregulierung lockert, welche die ersten Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit prägten. Dort – noch mehr aber im kleinen Nachbarland Bangladesch – haben regierungsunabhängige Organisationen bewiesen, dass sie in begrenztem Umfang das Versagen staatlicher Strukturen kompensieren können, beispielsweise im Bildungs- oder Gesundheitswesen. Auch daraus ließen sich anderswo Lehren ziehen.

Seit der Jahrtausendwende spürt Afrika zunehmend asiatische Einflüsse. Wie kaum anders zu erwarten, prägen wirtschaftliche Interessen das Auftreten der neu erstarkten Partner. Manche Fachleute in etablierten Geberländern fürchten nun, Geld aus China, Indien oder anderswo könnte „ihre“ Bemühungen um bessere Governance südlich der Sahara unterminieren. Dazu ist zweierlei anzumerken. Erstens: Die neu aufkommende Konkurrenz birgt nicht nur Risiken, sondern bietet auch Chancen – etwa in Form zusätzlicher Infrastrukturinvestitionen. Zweitens: Wer meint, asiatischer Einfluss wirke in Afrika auf alle Fälle destruktiv, traut der Ownership der Zielländer recht wenig zu. Entwicklung wird nicht gelingen, wenn sie nur unter westlicher Vormundschaft läuft.

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