Wanderweidewirtschaft

Vieh frisst Ernte

Ackerbauern und wandernde Viehzüchter streiten in großen Teilen Afrikas um Ressourcen wie Land und Wasser, insbesondere südlich der Sahara. Im Tschad nimmt der Konflikt von Jahr zu Jahr zu und kostet immer mehr Menschenleben. Die Praktiken der Viehzüchter wandeln sich, neue Akteure kommen hinzu, und allzu oft sind staatliche Akteure parteiisch.
Ein Viehzüchter hat Ordnungskräfte zu Hilfe gerufen, um Bauern einzuschüchtern, weil er die Felder als Weideland für seine Herde nutzen will. Mbaiornom/Ngaoubourandi Ein Viehzüchter hat Ordnungskräfte zu Hilfe gerufen, um Bauern einzuschüchtern, weil er die Felder als Weideland für seine Herde nutzen will.

Die einen brauchen das Land, um Feldfrüchte anzubauen, die anderen als Weidegrund für ihre Tiere. Beide benötigen außerdem Wasser. Diese Ressourcen sind knapp im Tschad, und so geraten Bauern und wandernde Viehzüchter immer wieder aneinander.

Tausende Tiere laufen frei herum. Sie zerstören jedes Jahr Hunderte Hektar Ackerland kurz vor oder während der Ernte. Auch Nebensaisonkulturen wie Maniok und Gemüse sowie der Obstanbau sind betroffen.

Die Folgen sind gravierend. Bauern können ihren Lebensunterhalt nicht mehr mit der Landwirtschaft bestreiten, dörfliche Gemeinschaften zerbrechen. Zudem werden die Konflikte oft gewaltsam ausgetragen. Schwere Verletzungen und sogar der Verlust von Menschenleben sind die Folge.

Betroffene sowie Behörden und Vertreter der Zivilgesellschaft suchen nach Lösungen für das Problem. Beispielsweise haben lokale Behörden gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen Arbeitsgruppen zur Bewältigung und Prävention von Konflikten zwischen Bauern und Viehzüchtern eingesetzt.

Der Austausch führte allen Beteiligten vor Augen, dass die landwirtschaftliche Nutzung von Land durch unkontrollierte Wanderweidewirtschaft, auch Transhumanz genannt, gefährdet ist. Die Tragweite des Problems wurde ebenso deutlich wie die Tatsache, dass eine gerechte Lösung kaum zu finden ist.

Die Treffen der Arbeitsgruppen förderten folgende konfliktverschärfende Faktoren zutage:

  • Zivile und militärische Autoritäten, die für die Regelung der Konflikte zuständig sind, sind parteiisch.
  • Verursacher von Schäden, insbesondere Hirten und Besitzer frei herumlaufender Tiere, werden nicht bestraft.
  • Tierhalter respektieren die Sitten und Gebräuche der Bauern nicht.
  • Behörden richten Transhumanz-Korridore, Weideflächen sowie Pflanz- und Aussähzeiten gemäß den Bedürfnissen kommerzieller Viehzüchter ein.
  • Lokale Autoritäten greifen in Gerichtsverhandlungen ein beziehungsweise blockieren den Prozess der Konfliktbearbeitung.
  • Die Justiz gilt als korrupt, und allgemeiner Einschätzung nach gewinnen die Konfliktparteien mit dem meisten Geld Prozesse.



Streit spitzt sich zu

In Logone Occidentale, der kleinsten der 22 Re­gionen des Tschad und im Süden des Landes gelegen, hat sich der Streit um Ressourcen in den vergangenen zehn Jahren zugespitzt. Diese müssen von besonders vielen Menschen geteilt werden: Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte liegt in Logone Occidentale bei 93 Einwohnern pro Quadratkilometer, während der nationale Durchschnitt bei 8,7 Einwohnern pro Quadratkilometer liegt. In manchen sehr dicht besiedelten Gebieten kommen sogar 150 bis 200 Einwohner auf einen Quadratkilometer.

Zivilgesellschaftliche Organisationen haben in Logone Occidentale weitreichende Veränderungen als Grund der Verschärfung des Konflikts zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern identifiziert. Eine davon ist die Änderung der langen Routen, die die Wanderherden nehmen, um an möglichst ergiebige Ressourcen wie Wasser und Weideflächen auf neuem Land zu kommen. Eine andere sind neue Haltungsmethoden und ein verändertes Verhalten der Viehzüchter.

Tierhalter haben es geschafft, überall kurze Korridore für die Wandertierhaltung zu schaffen. Möglich wurde das durch Machtmissbrauch von Behördenvertretern und traditionellen Führern. Andererseits wurden Viehzüchter sesshaft gemacht und sowohl in dörflichen Gegenden als auch rund um städtische Zentren angesiedelt.

Konfliktverschärfend wirkt sich darüber hinaus eine neue Gruppe von Viehzüchtern aus, die unter anderem aus Verwaltungsangestellten und Händlern besteht, die lohnabhängige Hirten beschäftigen. Letztere sind oft Kinder oder Jugendliche, die von ihren Auftraggebern mit Waffen und Telefonen ausgestattet werden und äußerst dreist agieren.


Alle Gruppen an einem Tisch

Der Verein Ngaoubourandi (deutsch: Regenbogen) veranstaltete im März zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und lokalen Autoritäten Workshops, um ein friedliches Zusammenleben von Viehzüchtern und Bauern zu erreichen. An diesen Treffen nahmen auch Vertreter der Viehzüchter und der Bauern teil sowie Abgeordnete und religiöse Führer aus der Region, Kantonchefs und Verwaltungsbeamte sowie Experten. Gemeinsam legten sie eine Reihe dringend notwendiger Maßnahmen fest:

  • Weidekorridore, die informell unter Missachtung von Vorschriften willkürlich geschaffen wurden, müssen beseitigt werden.
  • Umstrittene Landvergabe durch traditionelle und administrative Autoritäten muss rückgängig gemacht werden.
  • Die Landverwaltung, Regelungen und organisatorische Maßnahmen müssen Sitten und Gebräuche der betroffenen Gruppen respektieren.
  • Die Beschäftigung von Hirten muss dahingehend geregelt werden, dass nur Erwachsene angestellt werden, und zwar in ausreichender Anzahl, bezogen auf die Größe der Herden.

Auch mittelfristige Maßnahmen wurden definiert. In Gegenden mit hoher Bevölkerungsdichte, wie in Logone Occidental, sind die derzeitigen Produktionsweisen schädlich für die Umwelt und gefährden den sozialen Frieden. Daher müssen zum einen neue Methoden für das Management natürlicher Ressourcen entwickelt, zum anderen neue Produktionsmethoden eingeführt werden, die weniger Platz verbrauchen: Es gilt, mit Hilfe staatlicher Unterstützung von einer extensiven Landwirtschaft und Viehzucht zu einer intensiveren Produktionsweise zu kommen.

Landbesitz sollte gemäß den Prinzipien festgeschrieben werden, nach denen die Gemeinschaften in den einzelnen Kantonen leben. Traditionellen Führern kommt dabei die Aufgabe zu, auf den Schutz und Erhalt traditionellen Besitzes zu achten. Auf dem Land gibt es keine gewählte Instanz, die für die Erarbeitung eines Flächennutzungsplans, der den Erfordernissen der Landwirtschaft Rechnung trägt, zuständig ist. Gleichermaßen ungeregelt sind Entscheidungen über kollektives Brachland, Landrodung, Artenschutz auf den Äckern, Wegerechte, die Begrenzung von Anbauflächen und den Schutz individueller und kollektiver Ernten. Indem traditionelle Führer diese Aufgaben übernehmen, können sie dazu beitragen, Konflikte zu verhindern.


Djeralar Miankeol ist Agraringenieur und arbeitet für den Verein Ngaoubourandi, der sich für die Rechte der Armen im Tschad einsetzt. Er ist außerdem Mitglied der Peace Resources Group, eines internationalen Zusammenschlusses von Friedensfachkräften.
djeralar@peaceresources.net
http://www.peaceresources.net/

Update: Der Autor wurde kürzlich verhaftet. Amnesty Interantional hält das Vorgehen für willkürlich und fordert seine Freilassung: 

http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-138-2015/aktivist-angeklagt?destination=

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