Klimawandel

Teufelskreis am Tschadsee

In der Tschadsee-Region schwelen Konflikte, die durch den Klimawandel weiter verschärft werden. Ein Teufelskreis – denn diese Konflikte hindern die Bevölkerung wiederum daran, auf den Klimawandel zu reagieren. Das Forschungsinstitut adelphi macht diese Zusammenhänge in einer Studie deutlich und sucht nach Lösungsstrategien.
Ein Fischer und sein Sohn auf dem Tschadsee im Tschad. picture alliance/dpa Ein Fischer und sein Sohn auf dem Tschadsee im Tschad.

Unter Leitung von adelphi führt die Gruppe der sieben bedeutendsten Industrienationen der westlichen Welt (G7) derzeit eine Risikoanalyse in der Tschadsee-Region in Kamerun, Tschad, Niger und Nigeria durch. Mithilfe der Analyse sollen die Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebensgrundlagen sowie dessen Einfluss auf Sicherheitsrisiken und die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung festgestellt werden. Nun liegt ein aktueller Zwischenbericht zur Lage in der Region vor, der den Klimawandel als Multiplikator bestehender Risiken und Spannungen sieht. Die Autoren meinen, dass er in Zukunft enormen Einfluss auf die Stabilität von Staaten und Gesellschaften nehmen kann.

Der Klimawandel rufe die Konflikte in der Tschadsee-Region zwar nicht unmittelbar hervor, verschärfe aber bestehende, heißt es in dem Bericht. Außerdem würden nachhaltige Entwicklung und Friedensbildungsprozesse zusätzlich erschwert. Allerdings seien die Rolle des Klimawandels in der Region und die politischen Zusammenhänge noch nicht ausreichend erforscht.

Das will die Risikoanalyse ändern. Ziel ist es, gemeinsam mit Akteuren vor Ort Möglichkeiten zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit in der Bevölkerung zu erforschen. Außerdem sollen Handlungsempfehlungen für außenpolitische Entscheidungsträger gefunden werden, wie mit Klima-Fragilitäts-Risiken angemessen umzugehen ist. Die Autoren wollen außerdem sicherstellen, dass die humanitäre und offizielle Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) so adressiert wird, dass sie sowohl kurz- als auch langfristig angemessen auf die Auswirkungen des Klimawandels in der Region reagieren kann.


Sicherheitsrisiken

Die Region am Südrand der Sahara ist von Armut, niedrigem Bildungsstand und schwacher sozioökonomischer Entwicklung geprägt. Mehr als sieben Millionen Menschen litten der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) zufolge im vergangenen Jahr unter einer unzureichenden Nahrungsmittelversorgung. In Folge jahrzehntelanger politischer Marginalisierung hat die Bevölkerung das Vertrauen in die Regierung verloren. Viele können sich mit politischen Institutionen nicht identifizieren.

All das hat dazu geführt, dass bewaffnete Oppositionsgruppen wie die islamistische Boko Haram in der Region stark wurden und Anhänger rekrutieren konnten, zunächst in Nigeria, später auch über die Landesgrenzen hinweg. Gruppen wie die Boko Haram gefährdeten die Sicherheit der Region enorm. Sie terrorisieren die Bevölkerung durch Vergewaltigungen und systematische Exekutierungen. Ihnen gegenüber stehen militante Bürgerwehrgruppen, die sich zur Selbstverteidigung gebildet haben. Konflikte zwischen dem nigerianischen Staat, Bürgerwehrgruppen und Oppositionsgruppen verschlimmerten die Spannungen weiter, so der Bericht.

Die Sicherheitslage hat starke Auswirkung auf die Resilienz der Bevölkerung. Der Terror sowie die Kontrolle über Ressourcen führen zu Flucht und Vertreibung, sowohl innerhalb der Länder als auch über die Landesgrenzen hinaus, erklären die Autoren. Durch die Fluchtbewegungen entstünden neue Konflikte und ein Wettbewerb um Ressourcen – zwischen Geflüchteten und der lokalen Bevölkerung.

Die bestehenden Konflikte tragen dazu bei, dass die Bevölkerung die Herausforderungen durch den Klimawandel in der Region nicht bewältigen kann, heißt es in dem Bericht. Der Klimawandel erschwere die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen. Hinzu komme, dass der Zugang zu Ressourcen durch die Konfliktparteien kontrolliert werde.

Gruppen wie Boko Haram kontrollieren Territorien und schwächten die Ökonomie in der Region. Sie zerstören die Ernte und die Infrastruktur wie Straßen, was es den Händlern unmöglich macht, ihre Waren zu transportieren. Dies hat verheerende Folgen für die Lebensmittelsicherung in der Region, wo 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung von Landwirtschaft, Fischerei und Viehzucht leben. Diese Branchen leiden zusätzlich stark unter den Klimaveränderungen, so der Bericht.


Extreme Veränderung

Der Klimawandel hat dazu geführt, dass sich das Tschadbecken flächenmäßig extrem verändert hat. Der Wasserstand des Sees ist immer schwerer vorherzusehen, das Klima schwankt sehr und die Niederschläge variieren stark. Das Tschadsee-Becken konstituiert sich aus acht Prozent des afrikanischen Kontinentes und umfasst dabei verschiedenste Klimazonen: Wüste im Norden, aber auch feuchte Hitze im Süden. Die Unvorhersehbarkeit der Niederschläge stellt die lokale Bevölkerung vor große Herausforderungen und hat verheerende Folgen für die Nahrungsmittelwirtschaft.

Wenn dieser Teufelskreis aus Klimawandel und Konflikten nicht unterbrochen wird, wird sich die aktuelle Krise verstärken und die Region weiter in Instabilität zerfallen. Die Autoren raten, für zukünftige Lösungen vier Aspekte zu berücksichtigen:

  • Bewaffnete Gruppen besitzen eine hohe Anpassungsfähigkeit. Sie erweisen sich als äußerst widerstandsfähig und entwickeln Strategien, um auf Veränderung zu reagieren.
  • Es haben sich zahlreiche Selbstverteidigungsarmeen als Reaktion gegen die bewaffneten Gruppen gebildet. Ihre zukünftige Rolle innerhalb der Konflikte und in Bezug auf Stabilität ist noch sehr unklar – so wie die Frage, ob sie sich später wieder demobilisieren lassen, wenn die Gefahr der bewaffneten Gruppen geringer ist.
  • Es gibt eine zunehmende Urbanisierung und Umsiedlungsprozesse, die gemeistert werden müssen. Dies beinhaltet die Herausforderung, nachhaltige Lebensräume für die Menschen in den Städten zu schaffen sowie Geflüchteten eine Rückkehr in ursprüngliche Gebiete zu ermöglichen.
  • Außerdem sei es wichtig, humanitäre Hilfe und ODA transparent und langzeitorientiert zu gestalten. Dabei müssten vor allem die Ursachen der Krise in den Blick genommen werden.


Link
Nagarajan, C., et al, 2018.: Climate-fragility profile: Lake Chad Basin.
https://www.adelphi.de/de/system/files/mediathek/bilder/Lake%20Chad%20Climate-Fragility%20Profile%20-%20adelphi.pdf

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