Energie

Rascher Wandel

Die Idee des Wandels zu einer auf erneuerbaren Energien basierenden Wirtschaft gewinnt in Indien an Fahrt. Die Kräfte des Marktes und neue politische Prioritäten treiben die Entwicklung voran.
Pionierarbeit: Aufbau eines Windparks in Tamil Nadu im Jahr 2002. Boethling/Photography Pionierarbeit: Aufbau eines Windparks in Tamil Nadu im Jahr 2002.

Die Regierung des 2014 gewählten indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi unterstützt das Ziel einer Energieversorgung mit innovativen und umweltfreundlichen Technologien. In ihrem New Energy Outlook 2017 schätzt sie, dass die Energieversorgung Indiens bis zum Jahr 2040 zu 49 Prozent aus erneuerbaren Energien bestritten wird. Umweltaspekte und die Frage der Energiesicherheit fließen gleichermaßen in die Überlegungen ein – nicht zuletzt, weil Indien ein ölimportierendes Land ist.

Tatsächlich sind die Preise für Strom aus Wind- und Solarenergie stark gesunken und inzwischen fast so niedrig wie die für Kohlestrom. Nach Angaben der Central Electric Authority (CEA) hatte das indische Stromnetz am 31. Oktober 2017 eine installierte Kapazität von 330 Gigawatt – der Gesamtstromverbrauch lag 2016/2017 aber nur bei einem Drittel davon.

Zwar werden noch immer viele Inder gar nicht oder nur unzureichend mit Elektrizität versorgt. Aber in der Vergangenheit war der Stromsektor nicht einmal in der Lage, die Nachfrage der am Netz angeschlossenen Kunden zu bedienen. Verändert haben sich auch der Energiemix und die Struktur der Nachfrage: Wegen des Klimawandels und der Sorgen um die Energiesicherheit sind Wind- und Solarenergie attraktiver geworden.

Nichtsdestotrotz machen fossile Brennstoffe in Indien noch immer 95 Prozent der primären Energieträger aus. Mit 55 Prozent bildet die Kohle, ein in Indien reichhaltig vorhandener Rohstoff, den Löwenanteil. Öl und Gas dagegen müssen importiert werden. Bei der Stromerzeugung macht die Kohle 59 Prozent der installierten Kapazität aus, wogegen erneuerbare Energien (Wasserkraft nicht mitgerechnet) einen Anteil von 18 Prozent haben – die Hälfte davon wird aus Wind generiert.


Ländliches Defizit

Mehr als die Hälfte der indischen Bevölkerung hat bisher keinen oder nur einen schlechten Zugang zur Stromversorgung. Das Stromnetz ist lückenhaft und unzuverlässig. In abgelegenen Dörfern können die Menschen nur von einem Stromanschluss träumen. Was jedoch funktioniert, sind auf erneuerbaren Energien basierende lokale Versorgungssysteme.

Die geografische Lage Indiens bietet ein großes Potenzial: Mit mehr als 300 Sonnentagen im Jahr ist es eines der sonnigsten Länder der Welt und könnte bis zu 5 000 Billionen Kilowattstunden Strom im Jahr allein durch Photovoltaik erzeugen – mehr als jetzt auf konventionelle Weise. Würde die Sonneneinstrahlung effizient genutzt, könnte Indiens Strombedarf bereits 2030 komplett durch Solarenergie gedeckt werden.

Die Privatwirtschaft ist sich des großen Potenzials bewusst. Der Solarenergiemarkt erlebt einen Boom, sowohl online als auch im stationären Handel. Online-Plattformen machen die Technik für die Massen zugänglich, Großkonzerne sind in den Markt eingestiegen, Banken finanzieren Investitionen. Experten sagen dem Solarsektor ein Wachstum von 250 Prozent binnen zwölf Monaten voraus.

In der sich rasant entwickelnden indischen Volkswirtschaft mit ihren wachsenden Industrien und dem Ausbau der Infrastruktur steigt der Energiebedarf dramatisch. Schätzungen zufolge könnte er sich binnen zehn Jahren verdoppeln. Wegen der steigenden Preise für konventionelle Energieträger steigt der Bedarf an günstigen Alternativen. Wind- und Solarkraftanlagen werden voraussichtlich in Zukunft die indische Landschaft prägen.

Der Preis von Solarpanelen ist in den vergangenen Jahren stark gesunken. Batterien mit großen Speicherkapazitäten erobern den Markt, und die Kosten für Solaranlagen dürften sich schnell weiter reduzieren.

Auch die Windkraft ist in Indien auf dem Vormarsch, aber bislang werden erst 22 Prozent des Potenzials genutzt. Für die Windenergie spricht zum einen, dass die Technologie ausgereift und kosteneffizient ist. Außerdem ist die Energie sauber, und Windanlagen brauchen nur einen kleinen Teil des Lands, auf dem sie errichtet werden. Der Rest kann anderweitig genutzt werden, vor allem für die Landwirtschaft.

Im Gegensatz zu thermischen, Atom- und Solaranlagen kommen Windparks zudem mit sehr wenig Wasser aus. Kleine Windkraftwerke können ohne Anschluss an das Stromnetz installiert werden und so die Lebensqualität in abgelegenen Gegenden verbessern. Windenergie hat das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag zu einem kohlenstoffarmen und inklusiven Wachstum zu leisten.

Im Haushaltsjahr 2016/2017 hat Indien 5 400 Megawatt (MW) an Windkraftkapazität zugebaut und damit sein Ziel von 4 000 MW Zubau deutlich übertroffen. Vorreiter ist der südliche Bundesstaat Tamil Nadu, der im Bezirk Muppandal die größte Windfarm Indiens beherbergt. Mit einer Kapazität von 1 500 MW wird allein in diesem Komplex ein Fünftel der Windkraft von Tamil Nadu produziert. Führend im Bereich der Windenergie sind auch die Bundesstaaten Andhra Pradesh mit fast 2 200 MW und Gujarat mit fast 1 300 MW.

Eine weitere wichtige regenerative Energiequelle ist die Biomasse. Das Stromerzeugungspotenzial durch Biomasse liegt bei 17 500 MW. Tatsächlich erzeugen Biomassekraftwerke in Indien bereits mehr als 5 900 MW, wovon knapp 1 000 MW nicht am Stromnetz hängen. Die Zentralregierung arbeitet an einer Strategie zum Ausbau dieser Technik.


Umweltbedenken

Neben der Kostenfrage und dem zunehmenden Strombedarf ist die Umweltverschmutzung ein wichtiger Antrieb für den Wandel des Energiesektors. Smog und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken sind ein großes Problem in Indien (siehe Roli Mahajan in E+Z/D+C e-Paper 2018/04, S. 12). Die wesentliche Ursachen ist die Verbrennung von Kohle, wobei andere Faktoren – wie der CO2-Ausstoß im Straßenverkehr – ebenfalls bedeutsam sind.

Die Gefahr durch Treibhausgase wird in Indien mittlerweile erkannt – und die Verantwortung für den Klimaschutz wird nicht mehr nur den Industriestaaten zugeschoben. Dafür gibt es verschiedene Gründe:

  • Indien ist klimabedingten Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen, Dürren und Stürmen ausgesetzt,
  • der weltweite Wettbewerb um die Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien nimmt zu und
  • es gibt die Einsicht, dass der Pro-Kopf-Stromverbrauch steigt.

Laut einem Bericht des indischen Umweltministeriums verbrauchte das Land 2010 2,1 Milliarden Tonnen CO2. Damit liegt Indien auf Platz drei der größten Umweltverschmutzer der Welt. Pro Kopf stoßen die Inder allerdings nur moderate 1,7 Tonnen CO2 aus (ausgenommen Emissionen aus der Land- und Forstwirtschaft). Wenn alle Menschen ihren CO2-Ausstoß auf zwei Tonnen begrenzen würden, könnte die Klimaerwärmung gestoppt werden – Indien liegt in diesem Bereich. Doch je mehr Menschen der Armut entkommen, desto mehr steigt auch der Stromverbrauch.

Internationale Experten raten Indien dazu, langfristig auf erneuerbare Energien zu setzen. Aus ihrer Sicht könnte die Regierung hier noch mehr tun. Sie warnen, dass der Streit um Landrechte Investitionen in Windparks verhindern könnte, und raten dazu, transparente Ausschreibungsverfahren für die Energieerzeugung zu schaffen. Einige fordern, dass das Energieministerium eine gemeinsame Strategie zur Förderung von Solar- und Windkraft entwickelt.


Madhuchandrika Chattopadhyay leitet Ausbildungsmaßnahmen und Projekte am Chandradeep Solar Research Institute, einem Privatunternehmen mit Sitz in Kalkutta.
http://www.csrinstitute.co.in

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