Flüchtlinge

Flucht entgegenwirken

Die aktuelle Flüchtlingskrise plagt Europa, aber sie geht von anderen Weltgegenden aus. Experten vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) plädieren für eine clevere Entwicklungspolitik, die bei den Ursachen ansetzt.
Flüchtlingslager im Libanon. Hassan Amar/AP Photo/picture-alliance Flüchtlingslager im Libanon.

Was oft übersehen wird: Ende 2014 bewegten sich von den 60 Millionen Flüchtlingen weltweit 86 Prozent zwischen und in Entwicklungs- und Schwellenländern. Das schreiben Experten vom DIE in einer aktuellen Analyse. Die zehn Länder, die 2015 am meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, liegen nicht in Europa. Ganz vorne stehen die Türkei, Pakistan, Iran und Äthiopien. Auch der Libanon ist besonders betroffen. Dort sind fast ein Fünftel der 4,5 Millionen Einwohner syrische Flüchtlinge.

Die Autoren beziehen sich auf Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention. Die legt fest, wer ein Flüchtling ist: ein Mensch, der vor Krieg, Gewalt, Unterdrückung, Hunger oder Naturkatastrophen fliehen muss. In Europa wird oft übersehen, dass weltweit nicht nur in Syrien und Irak Menschen massenhaft vertrieben werden, sondern auch in Sudan, Südsudan, Afghanistan, Kolumbien oder der Demokratischen Republik Kongo (DRC).

Mittelfristige Stabilitätskerne

Die meisten Menschen fliehen vor bewaffneten Konflikten. Laut DIE-Analyse ist deshalb humanitäre Hilfe gefragt. Sie müsse „Stabilitätskerne“ in Heimat- und Aufnahmeländern schaffen – Räume, in denen Menschen die einfachsten Mittel zum Überleben bekommen.

Wenn die Übergangslösungen aber zum Dauerzustand werden, reicht das nicht mehr, warnen die Wissenschaftler. Bislang fehlten nachhaltige Strategien, um die Camps mittelfristig besser zu verwalten. Viele Flüchtlinge aus den Auffangstationen im Libanon oder in Jordanien ziehen weiter nach Europa, weil die Lebensbedingungen in den Lagern so schlecht sind.

Das DIE-Papier verweist hier auf die Forderungen des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR). Geflüchtete Lehrer, Ärzte und Ingenieure müssten ihre Kompetenzen besser nutzen können. Die Camps bräuchten eine demokratische Selbstverwaltung. Und die Behörden in den Aufnahmeländern müssten unterstützt werden, um sowohl den Flüchtlingen als auch der heimischen Bevölkerung Perspektiven bieten zu können.

Die DIE-Autoren beanstanden, für langfristig angelegte Übergangslösungen fehle das Geld. Trotz anhaltender Krise sei die internationale Nothilfe seit Jahren unterfinanziert. Mehr und längerfristige Finanzierungen seien erforderlich.

Blinde Flecken vermeiden

Mit jeder neuen Krise werden die alten vergessen, warnen die Wissenschaftler. Momentan zögen  Syrien und seine Nachbarländer die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Dabei entstünden „blinde Flecken“ auf der Landkarte. Schon länger bestehende Krisenherde wie Jemen, Libyen und viele Länder in Subsahara-Afrika verschwänden vom Radar.

Eine angemessene Entwicklungspolitik kann jedoch verhindern, dass alte Konflikte zu neuen werden. Laut DIE-Papier sollte sich die Entwicklungspolitik neu orientieren, sich mehr auf Krisenprävention und Friedensförderung in fragilen Staaten konzentrieren. Obwohl die Krisenländer in den vergangenen Jahren stark zunähmen, habe etwa Deutschland die Zahl der Partnerländer mit Schwerpunkt Krisenprävention auf zwei zurückgefahren.

Für Post-Konflikt-Länder empfehlen die Experten, am „multidimensionalen Peacekeeping“ festzuhalten, bei dem internationale Kräfte unter multilateraler Führung gebündelt werden. Diese Strategie habe sich besonders in Sierra Leone, Liberia und im Libanon bewährt. Wichtig für die Stabilität eines Landes bleibe aber:

  • die Jugendarbeitslosigkeit zu verringern,
  • die wirtschaftliche Produktivität zu fördern,
  • die Ernährung zu sichern, und
  • die Anpassung an den Klimawandel.

Die Politikberater setzen zudem stark auf Demokratieförderung, die sie wieder ins Zentrum der Entwicklungspolitik rücken wollen. Autoritäre Regime hätten viel zu lange von westlichen Ländern profitiert, bis 2011 gleich mehrere im Chaos versanken. Auch heute unterstützten Geber viele Autokratien in Nord- und Subsahara-Afrika. Das sollten sie nur unter der Bedingung demokratischer Reformen beibehalten, mahnen die Autoren. Ziel müsse immer sein, das Wohl der Bürger zu verbessern und ihre Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen.

Theresa Krinninger

Link:
DIE-Stellungnahme:
http://www.die-gdi.de/uploads/media/AuS_14.2015.pdf

 

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