Gute Regierungsführung

Wissensbasierte Entscheidungen

In Malawi wird die soziale Politikfolgenabschätzung künftig zum Regelfall. Das Kabinett verabschiedete voriges Jahr eine entsprechende Verwaltungsvorschrift. Seit 2002 hat das Land bereits mehrfach einen Ansatz verwendet, den die Weltbank mit Unterstützung von Gebern und bilateralen Durchführungsorganisationen entwickelt hat.


[ Von Elke Kasmann und Sook-Jung Dofel ]

Der Ansatz der armutsorientierten Politikfolgenabschätzung (Poverty and Social Impact Analysis, PSIA) dient dazu, Projekte und Programme hinsichtlich des Wohlergehens verschiedener Bevölkerungsgruppen zu bewerten. Der Fokus liegt auf armen und benachteiligten Menschen. PSIA wurde von der Weltbank in Kooperation mit bilateralen Gebern entwickelt (siehe Box). Das Konzept deckt ökonomische, soziale, politische und institutionelle Themen ab.

Wenn PSIAs vor Reformentscheidungen stattfinden, können sie die politisch Verantwortlichen auf drei Ebenen unterstützen:
– PSIAs zeigen auf, wie sich Interventionen auf die Lebensbedingungen verschiedener sozialer Gruppen auswirken. Das hilft, negative Folgen zu erkennen und gegebenenfalls durch Modifikation der Politik zu vermeiden.
– PSIAs analysieren Akteursinteressen inklusive formeller und informeller Machtbeziehungen und möglichen Oppositionskoalitionen. Sie untersuchen also, ob und wie Reformen implementierbar sind.
– PSIAs können Raum schaffen für den politischen Dialog von Regierung, Institutionen, Parlament, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gebern und der allgemeinen Öffentlichkeit.

Der PSIA-Ansatz muss in die Politikabläufe eingebettet werden, um wirklich effektiv zu sein. Das ist die größte Herausforderung. Die beste Analyse bleibt wertlos, wenn die Entscheidungsträger sie nicht beachten. Die Erfahrungen, die Malawi mit PSIAs gemacht hat, bieten interessante Einblicke in die Praxis und lassen erste Schlüsse zu.

Fünf Mal PSIA in Malawi

2002 führte die Weltbank die ­erste PSIA in Malawi durch. Es ging um ein altes Streitthema zwischen Weltbank, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Malawis Regierung: die Privatisierung der „Agricultural Development and Marketing Cooperation“ (ADMARC). ADMARC war damals ein Verlust machendes, halbstaatliches Unternehmen, das Agrarprodukte vermarkten und die Entwicklung bäuerlicher Kleinbetriebe fördern sollte. Das Unternehmen spielte auch eine Rolle für die Ernährungssicherheit, weil es im ganzen Land Mais zu erschwinglichen Preisen verkaufte. Auch die Lagerung von Getreide gehörte zu den Aufgaben von ­ADMARC.

Wie von Weltbank und IWF empfohlen, implementierte Malawis Regierung schrittweise ein Liberalisierungsprogramm in der Landwirtschaft. Subventionen, von denen ADMARC abhing, sollten reduziert und das Wachstum des agrarischen Privatsektors gefördert werden. Die Privatisierung von ADMARC war jedoch heiß umstritten. Bürger, zivilgesellschaftliche Organisationen und viele Politiker empfanden ADMARC als zentrale Institution, weil sie
– für die Bereitstellung von Saatgut und Dünger sorgte,
– die Maispreise stabil hielt und
– Mais auch in Knappheitsperioden zu akzeptablen Preisen verkaufte.

Tatsächlich zeigte die PSIA, dass die Privatisierung echte Risiken für einige Menschen mit sich bringen würde. Trotz diverser Mängel sicherte ADMARC in Zeiten von Knappheit in abgelegenen Gebieten den Zugang zu Mais. Entsprechend änderte die Weltbank ihr Strukturanpassungsprogramm für Malawi.

Die malawische Regierung hatte sich derweil gedrängt gefühlt, die Privatisierung voranzutreiben, um einen neuen Kredit der Weltbank nicht zu gefährden. Das Parlament hatte entsprechend ein Gesetz beschlossen – und zwar bevor die Weltbank die PSIA-Ergebnisse veröffentlichte. Der Kredit wurde später wie vorgesehen ausgezahlt, aber die Reform von ADMARC kam nicht voran. Das Gesetz war nicht implementierbar.

Die zweite PSIA in Malawi untersuchte die Tabakwirtschaft. Das ist Malawis wichtigstes Exportgut. Dass die Leistung der Branche steigen sollte, war Dauerthema im Dialog von Regierung und Gebern. Die Weltbank zeigte besonderes Interesse daran. Über die Ziele bestand Konsens, es ging um höhere Produktivität, bessere Vermarktung und stärkere Beteiligung der Kleinbauern an den Exporteinnahmen.

Die Reichweite der Reform war indessen umstritten. Also einigten sich Regierung und Weltbank 2003 auf eine PSIA. Es ging darum,
– zu erfahren, ob die Produzenten (und insbesondere die Kleinbauern) in den Entscheidungsgremien der verschiedenen ­Institutionen angemessen vertreten ­waren,
– Schwachstellen in der Wertschöpfungskette zu identifizieren, die unter anderem zu übertrieben hohen Margen für manche Marktteilnehmer führten und
– Empfehlungen zu formulieren, wie der Vertrieb und die Wettbewerbsfähigkeit so verbessert werden konnten, dass die Einkommen der Landwirte gesteigert und das Wachstum der Branche beschleunigt würden.

Die PSIA identifizierte Schwachstellen des Wirtschaftszweigs. Typische Merkmale einiger Institutionen waren ausgeprägte Interessenkonflikte und geringe technische Kompetenz. Monopole und Oligopole boten Chancen zu Rent-seeking (profitmaximierendes Verhalten ohne nennenswerte ­Eigenleistung). Darunter litten die Einkommen der Produzenten, vor allem der Kleinbauern.

Die PSIA-Ergebnisse führten zur Abschaffung verschiedener Abgaben und zur Einrichtung von Außenstellen der zentralen ADMARC-Auktionsplattform im ländlichen Raum. Zudem wurde den Kleinbauern eine stärkere Repräsentation in der „Tobacco Control Commission“ (TCC) zugestanden. Empfehlungen zu weiter reichenden Reformen wurden allerdings nicht umgesetzt.

Malawis dritte PSIA behandelte die Wasserversorgung. Sie sollte untersuchen, wie sich die Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung auf die informellen Siedlungen in den Städten Blantyre und Lilongwe auswirken würde. Die zentrale Frage war, ob der Zugang zu Wasser und die Qualität für die Kunden besser oder eher beeinträchtigt werden würde.

Die PSIA zeigte, dass ein konventionelles Privatisierungskonzept in der Tat Risiken für bestimmte Gruppen barg. So wären etwa Jobs im Wassersektor überflüssig geworden und der Wasserpreis wäre gestiegen. Vor allem aber wäre kaum angemessen in die Infrastruktur der ärmeren Gegenden investiert worden, weil es dort kein Leitungsnetz gibt. Private Anbieter konzentrieren sich aber in der Regel darauf, wohlhabende Abnehmer an bestehende Netze anzuschließen. Also empfahl die PSIA, die Wasserversorgung nicht komplett zu priva­tisieren, sondern bereits existierende privat­­wirtschaftliche Initiativen auf Gemeinde­ebene weiter zu ermutigen und sanft zu regulieren – etwa privaten Haushalten den Weiterverkauf von Wasser, den Betrieb von privaten Wasserkiosken oder den Verkauf von Wasser aus Tankwagen zu erlauben.

Das Ministerium für wirtschaftliche Planung und Entwicklung und das Ministerium für Bewässerung und Wasserversorgung steuerten diese PSIA; Unterstützung leisteten UNDP und GTZ. Die Kooperation zwischen den Ministerien erwies sich allerdings als schwierig. Letztlich wurde die kommunale Wasserversorgung nicht privatisiert. Mit der Zustimmung der Weltbank ist Malawis Politik für die Versorgung ärmerer Stadtviertel nun auf privates Engagement an der Basis ausgerichtet.

Beim vierten Mal nutzte Malawi den PSIA-Ansatz, um Möglichkeiten der regionalen Integration besser zu verstehen. Die Initiative ging vom National Technical Commitee for SADC aus. Malawi ist Mitglied der Southern African Development Community und nimmt an deren Freihandelszone samt Planung einer Zollunion teil.

Die PSIA sollte herausfinden, welche Folgen der stufenweise Zollabbau haben würde. Es zeigte sich, dass der Verlust an Einnahmen geringer als befürchtet ausfallen würde, denn wegen diverser Rabatte waren viele Importe bereits de facto zollfrei. Das Aufkommen der bestehenden Einfuhrsteuer würde über die Jahre nicht sinken. Die Auswirkungen auf die armen Haushalte wurden kurzfristig als geringfügig eingeschätzt, weil sie vor allem lokal produzierte Güter konsumieren. Langfristig sagte die PSIA aber voraus, dass die Liberalisierung die Lebenssituation der armen Menschen durch Wachstum und zunehmende ökonomische Chancen verbessern würde.

Malawis fünfte PSIA läuft derzeit – abermals mit UNDP-Finanzierung. Das Thema ist wieder regionale Integration: Die Regierung will ihre Optionen in den Verhandlungen über „Economic Partnership Agreements“ (EPAs) mit der EU besser verstehen. Die EU handelt solche Verträge mit regionalen Organisationen wie der SADC aus. Malawi ist aber Mitglied mehrerer solcher Regionalorganisationen, und die Regierung will wissen, in welchem Bündnis sie den Nutzen für ihr Land maximieren und zugleich die Nachteile minimieren kann.

Erste Lehren

Regierung, Geber und Zivilgesellschaft haben die vier abgeschlossenen PSIA-Studien Malawis ausgiebig diskutiert. Die Erfahrungen wurden ausgewertet, so dass erste Schlüsse möglich sind.

Ein Ergebnis ist, dass es sehr wichtig ist, wer bei einer PSIA die Regie führt. In den ersten beiden Fällen (ADMARC und Tabakwirtschaft) war der Gebereinfluss hoch. Beide Vorhaben wurden von der Weltbank ­initiiert, finanziert und durchgeführt. Beide waren auch unmittelbar an Weltbankkredite geknüpft. Im ADMARC-Fall erkannte die Regierung Malawis die Chance, mit Hilfe der PSIA Fortschritte bei einem Streitthema zu machen. In der Tat unterstützten die Ergebnisse letztlich die Haltung der Regierung und großer Teile der Zivilgesellschaft gegenüber der Weltbank, obwohl Letztere die Untersuchung initiierte und steuerte.

Bei der Tabak-PSIA sahen dagegen viele Malawier die Rolle der Weltbank in weniger günstigem Licht. Der Versuch, eine Verhandlungsplattform für alle Akteure zu schaffen – was die Geber seit langem forderten – war nur teilweise erfolgreich. Einige Empfehlungen wurden zwar realisiert, aber die PSIA führte nicht zur Umsetzung längerfristiger Maßnahmen. Teile des Staatsapparats und der Tabakwirtschaft verweigerten sich – unter anderem mit dem Argument, die PSIA hänge mit einem Weltbankkredit zusammen. Die Kleinbauern, die mit Sicherheit die Reformgewinner gewesen wären, hatten derweil keine Chance, sich zu äußern.

Auch bei der PSIA zur Wasserversorgung erwies sich die Regieführung als problematisch, weil die beiden Ministerien schlecht kooperierten. Nicht alle Schlüsselakteure konnten zur Teilnahme bewegt werden, so dass zum einen Input fehlte, und es zum anderen nicht zu breitem Konsens über die Ergebnisse kam. Diese PSIA hätte mehr bewirkt, wenn sich alle relevanten Akteure beteiligt hätten.

Diese PSIA zeigte zudem, dass das „Timing“ sehr wichtig ist. Ergebnisse müssen rechtzeitig vorliegen, um Entscheidungen zu beeinflussen. Die Wasser-PSIA fand so spät statt, dass die Entscheidungen auf der Basis vorläufiger Ergebnisse fielen. Die abschließende Bewertung wurde erst danach fertig.

Bei der vierten PSIA, die SADC-Zölle prüfte, lag die Regie komplett in der Hand der Regierung. Diese PSIA fand rechtzeitig statt. Allerdings wurden nicht alle wichtigen Stakeholder einbezogen, weil die Regierung sich nicht klar darüber war, ob sie ungünstige Ergebnisse würde veröffentlichen wollen. Diese Erfahrung lehrt, dass es sinnvoll ist, PSIAs von einer unabhängigen Organisation durchführen zu lassen. Das dient der breiten Teilhabe und der öffentlichen Dis­kussion.

Schritte zur Institutionalisierung

Die malawische Regierung ist von PSIA überzeugt. 2006 entschied sie, diesen Ansatz generell für die Politikkonzipierung zu nutzen. Mit finanzieller und technischer Unterstützung von Weltbank, UNDP und GTZ formulierte ein Expertenteam daraufhin einen „PSIA Institutionalisation Framework“. Zu den Kernpunkten gehört,
– dass PSIAs in existierende Strukturen und Verfahren eingebettet werden,
– dass ein unabhängiges Forschungszentrum beziehungsweise Think-tank eingerichtet wird,
– dass Kompetenzstärkung auf administrativer wie wissenschaftlicher Ebene betrieben wird und
– dass alle Behörden auf die Möglichkeiten von PSIA aufmerksam gemacht werden, damit die Nachfrage steigt.

Nach breiter öffentlicher Diskussion wurden die Kernpunkte in einer Verwaltungsvorschrift zusammengefasst, die das Kabinett im vergangenen Jahr verabschiedet hat. Nun muss aus der Theorie Praxis werden: Die laufende PSIA zu den EPAs erfolgt bereits nach den neuen Vorgaben.

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