Kommentar

Paradox der Armutsbekämpfung

Der UN Gipfel zur Bewertung des Fortschritts bezüglich der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) wird alle Regierungen unter Rechtfertigungsdruck setzen. Mittlerweile wird wieder deutlich, dass wirtschaftlicher Erfolg in manchen Regionen Armutsprobleme in anderen verschärfen kann.


[ Von Hans Dembowski ]

Wenn sich im September die Spitzenpolitiker der Welt zum MDG-Gipfel treffen, werden die Ziele zwei bis sieben leicht zu behandeln sein. Denn in Sektoren wie Kindergesundheit, Grundbildung, HIV-Eindämmung oder Wasserversorgung gibt es klare Fortschritte. Die Vertreter der ärmsten Länder werden erklären müssen, warum beispielsweise die Dynamik bei der Reduzierung der Müttersterblichkeit der bei den Einschulungsraten weit hinterher hinkt. Klar ist aber, dass der Trend in die richtige Richtung geht.

Das ist bei MDG acht – der Schaffung einer entwicklungsfreundlichen Weltordnung – nicht der Fall. Hier sind vor allem die reichen Nationen und die aufstrebenden Schwellenländer gefragt. Dass viele OECD-Mitglieder ihre Entwicklungshilfe noch nicht wie versprochen aufgestockt haben, ist dabei noch vergleichsweise harmlos. Schwerer wiegt, dass sie bislang nicht zu Konzessionen bereit waren, um ein für arme Länder förderliches Welthandelsregime zu ermöglichen und dass die Klimapolitik (die allerdings nicht explizit auf der MDG-Agenda steht) kaum vorankommt.

Besonders spannend wird aber die Auseinandersetzung um MDG eins, die Bekämpfung des Hungers als schlimmstem Ausdruck von Armut. Die Zahl der Notleidenden ist weltweit in jüngster Zeit gestiegen, nicht gesunken. Das hat mehrere Ursachen. Dazu zählen unter anderen Ernteausfälle, nur noch langsam steigende agrarische Produktivität und die erheblich verstärkte Nachfrage nach Fleisch in aufstrebenden Schwellenländern. Getreide, mit dem Vieh gemästet wird, steht nicht mehr für die menschliche Ernährung zur Verfügung.

Die Volksrepublik China ist das Land, das absolute Armut mit dem spektakulärsten massenhaften Erfolg zurückgedrängt hat. Erfreulicherweise genießen fast alle Chinesen heute einen höheren Lebensstand als vor 20 Jahren. Das äußert sich auch in den Streiks der vergangenen Monate, in denen Arbeitnehmer oft höhere Löhne durchgesetzt haben. Die paradoxe Wirkung der erfolgreichen Armutsbekämpfung in China und anderen Schwellenländern ist aber, dass ihr höherer Bedarf an Agrarrohstoffen die Preise in die Höhe treibt und die Ernährungssicherheit in ärmeren Weltgegenden beeinträchtigt.

Keine Frage: asiatische oder lateinamerikanische Konsumenten haben einen ebenso berechtigten Anspruch auf Fleisch wie Verbraucher in Europa und Nordamerika. Dass sie zunehmend auch über die Kaufkraft verfügen, ihn geltend zu machen, trägt aber zur jetzt wahrnehmbaren Verknappung bei – und deutet darauf hin, dass das westliche Konsummodell nicht im globalen Maßstab praktikabel ist.

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