Stadtentwicklung

Kein Wasser – oder zu viel

Während der Dürre im Sommer 2019 versiegten alle Wasserleitungen der indischen Megastadt Chennai. Auch Grundwasserbrunnen trockneten aus. Nicht einmal vier Jahre zuvor hatte dagegen Hochwasser viele Stadtteile überschwemmt.
Zu viel Wasser: Flut im Dezember 2015. Atul Yadav/picture-allianace/AP Photo Zu viel Wasser: Flut im Dezember 2015.

In unserer Stadt, die früher Madras hieß, stellen wir uns auf große Unsicherheiten ein, wenn der Sommer naht. Vor der Pandemie waren die Hauptstraßen früher zwar ein erfreulicher Anblick mit Straßenhändlern, die mit Salz und Chillies gewürzte Mangoscheiben verkauften. In den heißesten Monaten März bis Mai waren auch saftige Wassermelonen, gefrorene Äpfel und Kokosnussmilch gefragt. Leider ist dies aber auch die Zeit, in der sich Menschen in Seitenstraßen drängen und mit leeren Töpfen und sonstigen Behältern auf Wasserlieferungen warten. Lastwagen von kommerziellen Firmen und Ämtern bringen die lebenswichtige Ressource in die Stadtteile. Niemand weiß genau, wann sie ankommen – manchmal ist das mitten in der Nacht. 

Weil Wasser knapp ist, muss unser 10-Millionen-Ballungsraum an den heißesten und schwülsten Tagen mit möglichst wenig auskommen. Der Mai ist am schlimmsten – und diesmal herrschte wegen des Coronavirus obendrein Ausgangssperre. 

Viele erinnern sich an den schrecklichen Sommer von 2019, als die städtischen Wasserleitungen komplett versiegten. Für mich persönlich war besonders befremdlich, dass bald darauf mein Buch über die Flut von 2015 erschien. Bei jeder Lesung werde ich seither gefragt, ob ich auch über die Trockenheit schreiben werde. Die Entscheidung habe ich noch nicht getroffen. Klar ist aber, dass Chennais Infrastruktur weder auf Dürren noch auf Fluten, wie sie die Klimakrise immer wahrscheinlicher macht, eingestellt ist.


Vom Monsun abhängig

Chennais Wasserversorgung beruht auf Regenwasser, das in vier großen Stauseen gesammelt wird. Fällt der Monsun zu schwach aus, lähmt Wassermangel die Metropole.

Sie ist die Hauptstadt des indischen Bundesstaats Tamil Nadu. 2017 und 2018 waren unsere Landespolitiker derart mit chaotischen Streitigkeiten beschäftigt, dass sie nicht bemerkten, wie wenig Regen fiel. Die Rechnung kam im Sommer 2019, als der größte Stausee namens  Chembarambakkam Lake komplett austrocknete. Nachrichtenbilder zeigten tote Fische auf trockenem Grund.

Paradoxerweise war derselbe Stausee auch für die Flut von 2015 ursächlich. Es regnete so stark, dass er überlief. Hunderte von Familien, die an den Ufern von städtischen Gewässern gelebt hatten, mussten in abgelegene Vororte umziehen. Sie verloren über Nacht nicht nur ihr Hab und Gut, sondern auch ihr Recht auf Stadt. Die Infrastruktur der Siedlungen, in denen sie jetzt leben, ist besonders schlecht, so dass sie im vergangenen Sommer etwa ein Viertel ihres Einkommens für Wasser ausgeben mussten. 

Der Nordostmonsun bringt von September bis November den größten Teil (60 Prozent ) des Wassers, das Chennai bekommt. 2019 fielen in dieser Zeit nur 45 Prozent der langjährigen Durchschnittsmenge. In der Folge kollabierte die Wasserversorgung.

Normalerweise ist die Stadtverwaltung für die Wasserversorgung zuständig. Wir bezahlen dafür  Gebühren. Dennoch hatte das Haus, in dem ich lebe, voriges Jahr in 15 Tagen nur ein einziges Mal Wasser in der Leitung – und zwar fünf Minuten lang. Anderswo war es noch schlimmer.

Wenn die Wasserleitung leer bleibt, nutzen wir eigentlich Grundwasser. Auf dem Gelände unseres Gebäudes steht eine Pumpe. Erstmals seit fast 17 Jahren lieferte sie aber 2019 gar kein Wasser mehr aus der Tiefe. Auch diese Quelle war versiegt

Wie die meisten indischen Städte nutzt Chennai Grundwasser für den täglichen Bedarf. Vielerorts ist diese Ressource längst übernutzt. Tamil Nadu war deshalb einer der ersten Bundesstaaten, der eine Gesetzespflicht zum Auffangen von Regenwasser erließ. Sie gilt für Wohngebäude und gewerbliche Bauten. Ohne Regen bringt das Gesetz aber nichts.

Vor einem Jahr wurden dann hektisch Brunnen gebohrt. Dabei gerieten Nachbarn oft in heftigen Wettstreit um Grundwasser. An manchen Stellen stießen sie erst ab einer Tiefe von mehr als 200 Metern auf Wasser. Die fieberhafte Aktivität zeigte auf erschreckende Weise, was die Eskalation der Klimakrise bedeuten wird. Amtlichen Statistiken zufolge waren die Grundwasservorkommen in 22 der 38 Distrikten Tamil Nadus weitgehend ausgelaugt.

Irgendwann kam für alle der Moment, an dem sie Wasser zu Marktpreisen kaufen mussten. Für die Armen war das besonders hart. Sie bekommen Wasser normalerweise gratis von einer speziellen Wasserbehörde der Landesregierung. Diese verlangte aber vor einem Jahr 700 Rupien (umgerechnet etwa neun Euro) für 9000 Liter. Das mag billig erscheinen und war auch das preisgünstigste Angebot, die Wartezeiten waren aber sehr lang. Unsere Lieferung kam erst nach 20 Tagen.

Letztlich hingen alle von Privatunternehmen ab. Die Preise stiegen von 2600 Rupien für 9000 Liter  am Sommeranfang auf den Spitzenwert von 4600 Rupien. Im Rückblick erscheint es absurd, aber für sauberes Wasser musste sogar ein Aufschlag bezahlt werden. Ansonsten kippte der Tankwagen den Haushalten verschlammtes Wasser in die Vorratsbecken. Der teuere, gewerblich betriebene Wasserhandel machte armen und ausgegrenzten Gemeinschaften am meisten zu schaffen – und ganz besonders den Frauen (siehe Box).

Die Krise traf unsere Landesregierung unvorbereitet. Der Minister für Kommunalverwaltungen, SP Velumani, bezeichnete die Dürre sogar als mediengemachtes Gerücht. Bald darauf musste Wasser per Eisenbahn nach Chennai gebracht werden.

Wasser ist in Tamil Nadu eine hochemotionale Angelegenheit. Im Landtagswahlkampf überbieten sich die Politiker regelmäßig mit Versprechen, wie viel sie den Bauern für Bewässerungszwecke zur Verfügung stellen werden. Unsere Landesregierung streitet mit denen der Nachbarstaaten über Flüsse, Staudämme und Stauwasser. Der älteste Konflikt betrifft den Fluss Kaveri und den Bundesstaat Karnataka. Er lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Voriges Jahr bot Kerala, ein anderer Nachbarstaat, Wasserlieferungen an, die unsere Landesregierung aber ablehnte. Absorbiert von politischem Alltagsstreit, vernachlässigte sie das Gemeinwohl.

Wenn es gut läuft, lieben unsere Minister Fototermine an Staudämmen und Kanälen, und tun so, als hätten sie persönlich für Wasser gesorgt. Wenn es schlecht läuft, übernehmen sie aber keine Verantwortung – weder für Dürren noch für Hochwasser. 

Um die Probleme langfristig in den Griff zu bekommen, braucht Chennai eine bessere Infrastruktur. Unzählige städtische Gewässer, die – teils legal, teils illegal – für Landgewinnung aufgefüllt wurden, müssen wiederhergestellt werden. Dann wird auch der Grundwasserspiegel wieder steigen. Die Dichter unserer Antike priesen tamilische Könige für die Teiche, die sie anlegten. Im Gegensatz zu  unseren heutigen Politikern verstanden sie, wie wichtig Gewässer sind. 

Im Detail lassen sich die Auswirkungen des Klimawandels schwer vorhersagen. Die entsprechende Infrastruktur zu bauen ist noch schwieriger. Wir müssen uns aber zügig vorbereiten. Immerhin erkennt die Landesregierung das Problem an. In ihrem kürzlich veröffentlichten Katastrophenplan kommt „Klimawandel“  55-mal vor. Der Plan stellt die Rehabilitierung beschädigter Ökosysteme in Aussicht und geht auf diverse Klimarisiken ein. Verbindliche Versprechen sind das nicht, aber immerhin zeigte die Landesregierung Problembewusstsein. 

Das reicht natürlich nicht. Die Probleme müssen gelöst werden, wobei besonders die verletzlichsten Menschen Schutz brauchen. Nötig ist eine Infrastruktur, welche die Lebenslage armer und ausgegrenzter Gemeinschaften verbessert. Leitungswasser darf nicht das Privileg der Wohlhabenden bleiben.


Krupa Ge ist eine Journalistin aus Chennai. Ihr Buch „Rivers remember – #Chennairains and the shocking truth of a man-made flood“ erschien voriges Jahr bei Context (Neu Delhi).  
krupa.ge@gmail.com

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